Rz. 10
Ist ein MU nach §§ 290–293 HGB konzernrechnungslegungspflichtig, ist zu prüfen, ob das MU gem. Art. 4 der IFRS-VO verpflichtet ist, seinen Konzernabschluss nach den in EU-Recht übernommenen internationalen Rechnungslegungsstandards aufzustellen. Adressat der Verordnung, die zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 297/2008 geändert worden ist, sind damit nur MU, die einen Konzernabschluss aufzustellen haben. Dabei wird zusätzlich eine Kapitalmarktorientierung i. S. d. IFRS-VO des MU vorausgesetzt. Keine Rolle spielt dabei, ob dieses MU selbst wieder ein TU eines übergeordneten MU ist, für das eine uneingeschränkte Pflicht zur Konzernrechnungslegung nach handelsrechtlichen Grundsätzen besteht. Eine Anwendung des Abs. 1 kommt daher auch für solche MU in Betracht.
Rz. 11
I. S. d. Art. 4 der IAS-VO sind dies solche MU, die unter den Rechtsformbegriff "Gesellschaft" i. S. d. der IFRS-VO fallen und
- die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen (Rz 12) und
- deren Wertpapiere (Rz 13)
- an einem geregelten Markt i. S. d. Art. 1 Abs. 13 der RL 93/22/EWG des Rates vom 10.5.1993 über Wertpapierdienstleistungen zum Handel in einem beliebigen Mitgliedstaat der EU zugelassen sind (Rz 14).
Rz. 12
Unter "Gesellschaft" i. S. d. IFRS-VO werden nach Art. 48 des Vertrags von Rom solche Unt verstanden, die nach dem Zivil- oder dem Handelsrecht gegründet wurden, einschl. Genossenschaften und anderen juristischen Personen, die unter das öffentliche Recht oder unter das Privatrecht fallen, ausgenommen jener, die keinen Erwerbscharakter haben. Die IFRS-VO gilt somit nur für EU-Ges., die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurden und auch ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der EU haben. Für nicht nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Ges. (Nicht-EU-Ges.) ist Art. 4 nicht anwendbar; es gilt das jeweils anwendbare nationale Recht.
Rz. 13
Wenngleich die Verordnung keine Definition von Wertpapieren enthält, ist es nach der hier vertretenen Auffassung wegen des Verweises auf die Wertpapierdienstleistungs-Richtlinie hinsichtlich des geregelten Markts in Art. 4 sachgerecht, diese ebenfalls zur Auslegung des Begriffs Wertpapiere heranzuziehen. Wertpapiere sind demnach
- Aktien,
- andere, Aktien vergleichbare Wertpapiere,
- Schuldverschreibungen und sonstige verbriefte Schuldtitel,
- die auf einem Kapitalmarkt gehandelt werden können, und
- alle anderen üblicherweise gehandelten Titel, die zum Erwerb solcher Wertpapiere durch Zeichnung oder Austausch berechtigen oder zu einer Baahlung führen,
- mit Ausnahme von Zahlungsmitteln.
Die Definition ist mit der des § 2 Abs. 1 WpHG vergleichbar, jedoch nicht identisch. Es handelt sich daher sowohl um festveinsliche als auch um nicht festveinsliche Papiere.
Rz. 14
Der Begriff des geregelten Markts umschreibt einen Markt für Finanzinstrumente und entspricht inhaltlich den in Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 der zweiten Finanzmarktrichtlinie formulierten Eigenschaften eines solchen Markts. Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 der zweiten Finanzmarktrichtlinie wurde durch das zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz in deutsches Recht umgesetzt. Danach wird ein geregelter Markt in § 2 Abs. 11 WpHG auch als organisierter Markt bezeichnet. Ein geregelter Markt ist definiert als ein von einem Marktbetreiber betriebenes und/oder verwaltetes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach seinen nicht diskretionären Regeln in einer Weise zusammenführt oder das Zusammenführen fördert, die zu einem Vertrag in Bezug auf Finanzinstrumente führt, die gem. den Regeln und/oder den Systemen des Markts zum Handel zugelassen wurden, sowie eine Zulassung erhalten hat und ordnungsgemäß und gem. den Bestimmungen des Titels III der RL 2014/65/EU funktioniert.
Rz. 15
Als Anwendungsbeispiele für § 315e Abs. 1 HGB kommen in Betracht:
Beispiel 1: Ein MU, das selbst einen geregelten Markt durch Ausgabe von Wertpapieren (Schuldtitel oder Aktien an einem organisierten Markt) in Anspruch nimmt und das aufgrund der Überschreitung der Größenklassen in § 293 HGB einer Pflicht zur Konzernrechnungslegung nach §§ 290–293 HGB unterliegt.
Beispiel 2: Ein MU, das selbst einen geregelten Markt (nicht Freiverkehr) durch Ausgabe von Wertpapieren (Schuldtitel oder Aktien) in Anspruch nimmt, aber trotz der Unterschreitung der Größenklassen (§ 293 HGB) einer Pflicht zur Konzernrechnungslegung nach §§ 290–293 HGB unterliegt (§ 293 Abs. 5 HGB).
Beispiel 3: Ein TU eines übergeordneten MU, das selbst MU ist (Teilkonzern) und das eine Zulassung seiner Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt (nicht Freiverkehr) beantragt hat oder das den Kapitalmarkt bereits durch Ausgabe von solchen Wertpapieren in Anspruch nimmt (ungeachtet der Größenklassen).
Exkurs: Die größenabhängige Befreiung des § 293 HGB ist wegen § 293 Abs. 5 HGB nicht anwendbar; es besteht daher grds. eine Pflicht zur Konzernrechnungslegung, sofern keine Befreiung n...