Prof. Dr. Stefan Müller, Lina Warnke
Rz. 43
Unter tatsächlichen Gegebenheiten, die zur Aufgabe der Fortführungsprämisse führen, sind primär wirtschaftliche Umstände bzw. Probleme zu verstehen, die bereits eingetreten sind oder mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten werden und infolge ihrer schwerwiegenden Auswirkungen einem Fortbestehen des Unt entgegenstehen. Darüber hinaus können auch nicht-wirtschaftliche Tatbestände zu einer Durchbrechung des Grundsatzes der Unternehmensfortführung führen. Zu den (möglichen) tatsächlichen Gegebenheiten zählen etwa:
- eingetretene oder erwartete negative Zahlungssalden;
- Schulden übersteigen das Vermögen;
- Kredite ohne realistische Aussichten auf Verlängerung oder Rückzahlung;
- übermäßige kurzfristige Finanzierung langfristiger Vermögenswerte;
- erhebliche Betriebsverluste oder erhebliche Wertminderungen bei betriebsnotwendigem Vermögen;
- Ausschüttungsrückstände oder Aussetzung der Ausschüttung;
- Notwendigkeit zum Verzicht auf Skonto;
- Wegfall von Lieferantenkrediten;
- fehlende Finanzmittel für wichtige Entwicklungen/Investitionen;
- angespannte finanzielle Situation im Konzernverbund;
- ersatzloses Ausscheiden von Schlüsselpositionen;
- Verlust eines Hauptabsatzmarkts;
- Verlust von Hauptlieferanten;
- Verlust von wesentlichen Kunden;
- Kündigung von bedeutenden Franchise-Verträgen;
- gravierende Personalprobleme;
- unerfüllbare zu erwartende Schadensersatzverpflichtungen;
- Änderungen in der Gesetzgebung oder Politik mit entsprechend negativen wirtschaftlichen Konsequenzen (z. B. Atomausstieg);
- fehlende Unternehmernachfolge.
Rz. 44
Die tatsächlichen Gegebenheiten sind dabei stets im gesamtwirtschaftlichen Kontext eines Unt unter Berücksichtigung des unternehmerischen Ziels (geplante Liquidation/Fortführungswille) sowie etwaiger Sanierungsmaßnahmen zu betrachten. Infolge der Konsequenzen einer Durchbrechung(soffenlegung) für eine Sanierung (Rz 42) und mangels objektiver Kriterien bzw. Schwellenwerte für tatsächliche Gegebenheiten dürfte eine Aufgabe der Fortführungsprämisse in der Praxis unter Berufung auf tatsächliche Gegebenheiten zumindest dann kaum vorzufinden sein, wenn der Unternehmer bzw. das Management das Unt fortführen/retten will.
Rz. 45
Die tatsächlichen Gegebenheiten sind dabei gewissermaßen als Vorstufe zu den rechtlichen Gegebenheiten zu betrachten. Werden sie nicht erkannt oder scheinen geplante Sanierungsmaßnahmen geeignet, diese Umstände zu beseitigen, erzielen dann aber letztlich nicht die geplanten Effekte, so führen schlussendlich stets rechtliche Gegebenheiten zur Aufgabe der Fortführung.