2.3.2.1 Regelungsinhalt

 

Rz. 85

§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB verlangt neben einer Bewertung auf Grundlage der Verhältnisse zum Abschlussstichtag (Rz 61 ff.) die einzelne Bewertung der im Jahresabschluss ausgewiesenen (selbständigen) VG und Schulden. Die bereits in § 240 Abs. 1 HGB geforderte Einzelbewertung entspringt dem Vorsichtsprinzip[1] (Rz 97) und soll – jenseits der bestehenden Ausnahmeregelungen infolge von handelsrechtlichen Spezialvorschriften oder Ausnahmen i. S. d. § 252 Abs. 2 HGB (Rz 149 ff.) – eine Zusammenfassung bzw. abhängige Bewertung und/oder Saldierung (i. S. d. Bewertung) von VG und Schulden – mitunter auch zwecks Objektivierung des Jahresabschlusses – ausschließen. Eine von anderen VG und Schulden bzw. deren Wertverhältnissen beeinflusste Bewertung ist dabei unter einer Zusammenfassung zu subsummieren. Entsprechend dürfen weder VG mit anderen VG oder Schulden mit anderen Schulden zusammengefasst noch VG mit Schulden saldiert werden, solange sie voneinander abzugrenzen sind. Darin spiegelt sich letztlich der Grundgedanke des HGB wider, das Vermögen am Abschlussstichtag und nicht einen Unternehmenswert zu ermitteln.[2]

Grundlage der Einzelbewertung bildet die Identifizierung und Abgrenzung von/zwischen einzelnen VG und Schulden und damit die Frage nach der Selbstständigkeit dieser. Nicht selbständige bzw. nicht voneinander abgrenzbare VG und Schulden sind dann korrespondierend von einer getrennten Bewertung ausgeschlossen.

[1] Mit einer Darlegung der Verknüpfung des Einzelbewertungsgrundsatzes mit dem Vorsichts- bzw. dem Realisations- und Imparitätsprinzip als Ausprägung dieses Fülbier/Federsel, in Küting/Weber, HdR-E, § 252 HGB Rn 63, Stand: 6/2021.
[2] Vgl. Hoffmann/Lüdenbach, NWB-Kommentar Bilanzierung, 14. Aufl. 2022, § 252 HGB Rz 44.

2.3.2.2 Abgrenzung von Bewertungsobjekten

 

Rz. 86

Mangels einer gesetzlichen Vorgabe zur Abgrenzung zwischen Bewertungsobjekten im Handelsrecht obliegt dem Kfm. dabei die Verantwortung zur – im Zweifelsfall einzelfallbezogenen – sachgerechten Trennung dieser.[1] Die Abgrenzung zwischen einzelnen VG und Schulden beschränkt sich auf die Klärung wirtschaftlicher Aspekte.[2] Allerdings kommt den rechtlichen Abgrenzungskriterien durchaus eine Indikatorfunktion zu, die Anhaltspunkte für wirtschaftliche Trennungskriterien liefern kann.[3]

 

Rz. 87

Unter wirtschaftlichen Aspekten ist die wirtschaftlich einheitliche Verfügung, d. h. letztlich die wirtschaftlich selbstständige Nutzbarkeit bzw. die Einzelverwertbarkeit, zu verstehen. Infolge eines BFH-Urteils[4] hat sich in diesem Kontext auch der Begriff des "betrieblichen Nutzungs- und Funktionszusammenhangs" herauskristallisiert.[5] In Abhängigkeit vom Kontext können zwei identische VG entsprechend sowohl als einzelner VG als auch als Teil einer Einheit mit anderen VG betrachtet und entsprechend sowohl getrennt voneinander sowie zusammengefasst bewertet werden. Relevant sind die wirtschaftlichen Gegebenheiten auf Ebene des Kfm. bzw. Unt. Häufig wird bei der Abgrenzung von einzelnen Bewertungsobjekten auch auf etwaig bestehende technische Verbindungen bzw. Einheiten abgestellt.

 
Praxis-Beispiel

Technische Verbindungen/Einheiten als Abgrenzungskriterium

Als Beispiel der Nutzung technischer Verbindungen als Abgrenzungskriterium – bzw. im Umkehrschluss als Kriterium für eine wirtschaftliche unselbständige Nutzung – von VG können etwa Pkw dienen.

Werden Pkw-Teile aus dem Lager entnommen oder just-in-time geliefert und mit den weiteren benötigten Teilen zur technischen Einheit Pkw verbunden, ist infolge der technischen Verbindung von einer wirtschaftlichen Einheit auszugehen.

Auf Ebene der Lagerhaltung, d. h. vor der Herstellung der technischen Verbindung, scheidet ein analoges Vorgehen dagegen aus (Rz 90). Gleiches gilt etwa, wenn die Geschäftsleitung Sitze, die sonst in einem Pkw des Unt verbaut werden, als Empfangsstühle nutzt.

 

Rz. 88

Unproblematisch sind aber auch die Definitionen der wirtschaftlich selbständigen Nutzbarkeit oder des betrieblichen Nutzungs- und Funktionszusammenhangs oder der Rückgriff auf technische Verbindungen in deren Kontext nicht (§ 246 Rz 16 ff.). Die in (Steuer-)Rechtspraxis und Schrifttum mitunter verwendeten Unterkriterien, gemeinsame Zweckbestimmung, Festigkeit und Zeitraum etwaiger Verbindungen sowie äußeres Erscheinungsbild[6], lösen dieses Dilemma nicht.[7] Unterschiede hinsichtlich der Abgrenzungsergebnisse sind auch in Abhängigkeit der verwendeten Abgrenzungsdefinition, also etwa "wirtschaftlich selbständige Nutzbarkeit" oder "betrieblicher Nutzungs- und Funktionszusammenhang" zu erwarten. Ebenfalls ist unklar, ob bereits die Erfüllung eines Unterkriteriums ausreicht, um einen entsprechenden Zusammenhang als gegeben zu erachten oder es dazu einer Erfüllung zweier, dreier oder aller Kriterien bedarf. Dazu im Folgenden einige Beispiele.

 
Praxis-Beispiel

Unterkriterien der wirtschaftlich selbständigen Nutzbarkeit/­des betrieblichen Nutzungs- und Funktionszusammenhangs

Sachverhalt I

Eine Transportfluggesellschaft hat jedes ihrer zehn Transportflugzeuge (zehn verschiedene M...

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