Rz. 40

Ein wesentliches Problem stellt die Anwendung des Niederstwerttests auf die Bestände (§ 253 Rz 279) dar. Bei der vorverlegten Stichtagsinventur werden die Bestände an einem Tag vor dem Abschlussstichtag aufgezeichnet, zum Durchschnittswert bewertet und zu Bestandsgruppen zusammengefasst. Abgänge nach dem Inventurstichtag werden zu den ermittelten Durchschnittswerten ausgebucht. Zugänge nach dem vorverlegten Inventurstichtag werden jedoch nicht der Menge nach, sondern nur mit ihrem Zugangswert erfasst. Soweit sich Preisminderungen bis zum Abschlussstichtag ergeben, verfügt der Kfm. nicht über eine Bestandsmenge, die er auf den niedrigeren beizulegenden Wert abwerten kann. Deshalb birgt die vorverlegte Stichtagsinventur die Gefahr der Überbewertung der Bestände zum Abschlussstichtag. Bei der Gruppenbildung muss der Kfm. deshalb darauf achten, dass die in der Gruppe zusammengefassten Bestände der gleichen Wertentwicklung unterliegen. Die Abwertung einer Gruppe von Beständen kann dann bspw. mithilfe von Preisindizes erfolgen.[1]

 
Praxis-Beispiel

Der Abschlussstichtag des Kfm. ist der 31.12.; er nimmt am 15.11. eine vorverlegte Stichtagsinventur vor. In seinem Bestand befindet sich eine große Zahl Schraubensorten. Die Schrauben werden nach Gewicht abgepackt. Die Wertentwicklung der Schrauben sei stark vom Weltmarktpreis von Metallen abhängig.

Im Rahmen der vorverlegten Stichtagsinventur am 15.11. erfasst und bewertet der Kfm. seine gesamten Bestände und erstellt ein besonderes Inventar. Für die Schraubenbestände bildet er Bestandsgruppen nach dem Gewicht der Schraubenpäckchen.

Für die Schraubenpäckchen mit 500 g Gewicht soll sich folgendes besonderes Inventar ergeben haben:

 
Art Menge Wert
Sorte 1 X Stück X EUR
Sorte 2 Y Stück Y EUR
Sorte N N Stück N EUR
Schrauben 500 g 2.175 Stück 4.350 EUR

Damit ergibt sich ein Durchschnittswert von 2 EUR je Päckchen Schrauben zu 500 g.

Nach dem Inventurstichtag entnimmt der Kfm. 450 Päckchen und erwirbt 300 Päckchen zu 1,50 EUR neu hinzu. Dadurch ergibt sich folgende Wertfortschreibung:

 
Bestand 15.11. 4.350 EUR
Abgänge (450 Päckchen zu 2 EUR) –900 EUR
Zugänge (300 Päckchen zu 1,50 EUR) 450 EUR
Bestand 31.12. 3.900 EUR

Vom 15.11. bis 31.12. soll sich der Wert eines Päckchens Schrauben aufgrund des gesunkenen Weltmarktpreises für Metalle im Durchschnitt von 2 EUR auf 1,50 EUR vermindert haben, er ist also um 25 % gesunken. Der Kfm. muss deshalb den Bestand aufgrund des Niederstwertprinzips abwerten.

Da bei der vorverlegten Stichtagsinventur die Bestandsmengen normalerweise nicht fortgeschrieben werden, ist es vertretbar, die allgemeine Preisentwicklung für Schrauben auf den fortgeschriebenen Bestandswert anzuwenden:

 
Fortgeschriebener Bestand 31.12. 3.900 EUR
Wertminderung 25 % –975 EUR
Bilanzansatz 31.12. 2.925 EUR

Bei einer mengenmäßigen Bestandsfortschreibung wäre ein Bestand von 2.025 Päckchen Schrauben ermittelt worden, der bei einem Wert am Abschlussstichtag von 1,50 EUR zu einem Bilanzansatz nach Wertberichtigung von 3.037,50 EUR geführt hätte. Der Bewertungsfehler durch die Indizierung des Endbestands statt der Abwertung anhand der tatsächlichen Bestandsmenge ist bei der vorverlegten Stichtagsinventur i. d. R. hinnehmbar klein (im Beispiel ca. 3,5 % Unterbewertung des Bestands); im Übrigen führen konstant sinkende Preise nach dem Erfassungsstichtag bei diesem Verfahren regelmäßig zu Unterbewertungen, wenn Zugänge zu geminderten Preisen zu verzeichnen sind. Überbewertungen sind nur bei schwankenden Preisen nach dem Erfassungsstichtag denkbar.

 

Rz. 41

Ein weiteres Problem stellt die Anwendung des Lifo-Verfahrens dar (§ 256 Rz 25). Das Lifo-Verfahren geht davon aus, dass die zuletzt erworbenen Bestände zuerst wieder entnommen werden. Da die Bestandsfortschreibung nur dem Wert, nicht aber der Menge nach erfolgt, ist die Ermittlung des Lifo-Abgangswerts von Abgängen nach dem Inventurstichtag nicht möglich; deshalb ist bei Anwendung des Lifo-Verfahrens zusätzlich eine art- und mengenmäßige Fortschreibung erforderlich.[2]

 

Rz. 42

Ein grundlegendes Problem der nachverlegten Stichtagsinventur ist, dass bei Problemen mit der Bestandsrückrechnung die Inventur nicht den GoI entspricht. In der Praxis ist eine nachverlegte Stichtagsinventur deshalb nur zu empfehlen, wenn der Kfm. Probleme mit der Bestandsrückrechnung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen kann. Es ist empfehlenswert, die Bestandsfortschreibung zunächst im Rahmen einer vorverlegten Stichtagsinventur zu testen und erst in späteren Jahren zur nachverlegten Stichtagsinventur überzugehen.

[1] Vgl. ADS, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995–2001, § 241 HGB Rz 38.
[2] Vgl. Störk/Philipps, in Beck Bil-Komm., 13. Aufl. 2022, § 241 HGB Rz 60.

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