5.1 Konzept der Maßgeblichkeit
Rz. 127
§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG schreibt die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz vor, d. h., in der Steuerbilanz ist grds. das Betriebsvermögen anzusetzen, das sich nach den handelsrechtlichen GoB ergibt. Hierbei sind zwei mögliche Sichtweisen zu unterscheiden:
- Die materielle Maßgeblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn die Steuerbilanzansätze mit den handelsrechtlichen GoB abstrakt vereinbar sind. Die Ausübung von Ansatz- und Bewertungswahlrechten kann nach dieser Sichtweise in Handels- und Steuerbilanz unterschiedlich ausgeübt werden.
- Die formelle Maßgeblichkeit stellt demgegenüber auf eine enge Verknüpfung zwischen Handels- und Steuerbilanz ab. Hiernach sind in der Handelsbilanz enthaltene Wertansätze in die Steuerbilanz zu übernehmen.
Rz. 128
Dass die früher vorherrschende formelle Maßgeblichkeit mit Inkrafttreten des BilMoG beendet wurde, ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut, der in § 5 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. EStG klarstellt, "es sei denn, im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts wird oder wurde ein anderer Ansatz gewählt". Diese Maßgeblichkeit, auch bezeichnet als subsidiäre Maßgeblichkeit, unterscheidet nicht mehr zwischen solchen steuerlichen Wahlrechten, die auch handelsrechtlich bestehen (sog. GoB-konforme Wahlrechte), und solchen, die den handelsrechtlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften nicht entsprechen (sog. GoB-inkonforme Wahlrechte). Vielmehr sieht das Konzept der subsidiären Maßgeblichkeit vor, dass alle steuerlichen Wahlrechte unabhängig von der Handelsbilanz ausgeübt werden können.
Während sich seit Verabschiedung des BilMoG eine breite Diskussion über die Reichweite der Maßgeblichkeit entsponnen hat, stellt die Finanzverwaltung mit dem BMF-Schreiben vom 12.3.2010 ihre Sichtweise klar; auch wenn diese möglicherweise nicht vollumfänglich mit der des BilMoG-Gesetzgebers übereinstimmt, ist dies die für die Bilanzierenden relevante Sichtweise, zumal weiterhin keine erneuten Aktivitäten von gesetzgeberischer Seite absehbar sind. Die Möglichkeit, eine hiervon abweichende Rechtsauffassung gegenüber den Finanzbehörden im Wege eines Rechtsbehelfs- und anschließenden Finanzgerichtsverfahrens durchzusetzen, bleibt den Bilanzierenden offen. Hierauf wird im Folgenden nicht eingegangen.
5.2 Wahlrechtsausübung in der Steuerbilanz
Rz. 129
Die Ausübung steuerlicher Wahlrechte kann für den Steuerpflichtigen erhebliches Gestaltungspotenzial bieten, z. B. auch bei Betriebsprüfungen.
Das BMF-Schreiben vom 12.3.2010 nennt zunächst folgende, z. T. schon länger gültige Grundsätze zu GoB-konformen Wahlrechten:
- Handelsrechtliche Aktivierungsgebote und Aktivierungswahlrechte führen zu steuerlichen Aktivierungsgeboten, es sei denn, es existiert ein spezielles steuerliches Ansatzverbot (z. B. unterliegen nach § 248 Abs. 2 HGB in der Handelsbilanz aktivierte selbst geschaffene immaterielle VG des Anlagevermögens in der Steuerbilanz gem. § 5 Abs. 2 EStG einem Aktivierungsverbot).
- Handelsrechtliche Passivierungsgebote gelten vorbehaltlich spezieller steuerlicher Regelungen auch für die Steuerbilanz (z. B. besteht für nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB gebildete Drohverlustrückstellungen in der Steuerbilanz ein Passivierungsverbot nach § 5 Abs. 4a EStG).
- Passivierungsverbote und Passivierungswahlrechte in der Handelsbilanz führen zu Passivierungsverboten in der Steuerbilanz (z. B. besteht für sog. Aufwandsrückstellungen i. S. v. § 249 Abs. 2 HGB ein Passivierungsverbot in der Handels- und Steuerbilanz).
- Bestehen in der Handelsbilanz Bewertungswahlrechte, ohne dass eine spezielle steuerliche Vorschrift existiert, sind sie in der Steuerbilanz genauso auszuüben wie in der Handelsbilanz (z. B. sind nach § 240 Abs. 3 HGB angesetzte Festwerte auch in der Steuerbilanz anzusetzen).
- Bestehen für Bilanzposten sowohl handels- als auch steuerrechtlich Wahlrechte, können diese in Handels- und Steuerbilanz unterschiedlich ausgeübt werden (z. B. besteht in der Handelsbilanz ein Bewertungswahlrecht gem. § 256 HGB zur Berücksichtigung von Verbrauchsfolgeverfahren, dem steuerlich ein [engeres] Bewertungswahlrecht zur Verbrauchsfolgefiktion nach § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG gegenübersteht; weitere wichtige Anwendungsfälle sind planmäßige Abschreibungen auf VG des Anlagevermögens).
Derzeit existieren folgende GoB-konforme Wahlrechte:
- Planmäßige Abschreibungen auf VG des Anlagevermögens: Hier bestehen sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich eigenständige Vorschriften (§ 253 Abs. 3 Satz 1 HGB, § 7 Abs. 1, Abs. 4 EStG).
- Herstellungskosten: Das ...