Leitsatz
Bei der Abgrenzung, ob Umzugskosten eines verheirateten Arbeitnehmers Aufwendungen für die Lebensführung oder deshalb nahezu ausschließlich beruflich veranlasst sind, weil sich die Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte regelmäßig arbeitstäglich um insgesamt mindestens eine Stunde verkürzen, sind die Fahrzeitveränderungen der Ehegatten nicht zu saldieren.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 12 Nr. 1 Satz 2, § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 26, § 26b EStG
Sachverhalt
Die Kläger werden als Eheleute zur ESt zusammen veranlagt. Der Kläger ist als Angestellter in A, die Klägerin als Lehrerin in B nichtselbstständig tätig. Im Streitjahr zogen die Kläger von ihrer gemieteten Wohnung in A in ein Einfamilienhaus nach B, das nahe bei der Schule liegt, in der die Klägerin tätig ist. Sie musste vor dem Umzug eine Entfernung von 35 km zurücklegen, um von A nach B zu gelangen, während der Kläger statt bisher lediglich 4 km nun 33 km fahren muss, um seine Arbeitsstelle in A zu erreichen.
Die in der ESt-Erklärung der Kläger bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbstständiger Arbeit als Werbungskosten geltend gemachten Umzugskosten erkannte das FA nicht an. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger.
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Zu Unrecht habe das FG zur Prüfung der Fahrzeitverkürzung umzugsbedingte Fahrzeitveränderungen beider Kläger zusammengerechnet und ferner den Umstand des Umzugs in ein zuvor erworbenes Einfamilienhaus als privates Motiv herangezogen.
Hinweis
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Umzugskosten als Werbungskosten abziehbar, wenn der Umzug nahezu ausschließlich beruflich veranlasst ist, private Gründe (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG), also eine allenfalls ganz untergeordnete Rolle spielen. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn der Umzug den erforderlichen Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wesentlich, d.h. um mindestens eine Stunde täglich vermindert (vgl. BFH, Urteil vom 23.3.2001, VI R 175/99, BFH-PR 2001, 325).
2. Dies gilt auch für den Fall, dass diese Fahrzeitverkürzung für den Arbeitnehmer mit einer Fahrzeitverlängerung für dessen Ehegatten verbunden ist. Denn die Fahrzeitveränderungen von Ehegatten sind weder zu addieren (BFH, Urteil vom 27.7.1995, VI R 17/95, BStBl II 1995, 728) noch zu saldieren (so der BFH unter Bezugnahme auf Schmidt/Drenseck, § 19 Rz. 60, Stichwort Umzugskosten mwN; aA Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz. 600, Stichwort Umzugskosten m.w.N.).
Grundlage dafür ist das Prinzip der Individualbesteuerung: Nach § 26 Abs. 1, § 26b EStG erzielt jeder Ehegatte für sich Einkünfte, wenn er in seiner Person den Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht. Erst im Anschluss an die für jeden Ehegatten gesondert vorzunehmende Ermittlung der Einkünfte werden die von den Ehegatten erzielten Einkünfte bei der Zusammenveranlagung gem. § 26b EStG zunächst zusammengerechnet und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet. Zuvor sind nach dem Grundsatz der persönlichen Leistungsfähigkeit nur solche Aufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen, welche die persönliche Leistungsfähigkeit des einzelnen Ehegatten mindern (BFH, Urteil vom 2.12.1999, IX R 45/95, BStBl II 2000, 310). Denn die Verlängerung der Wegstrecke zur Arbeit in der Person des anderen Ehegatten ist allein bedingt durch dessen Mitumzug als Folge der gemeinsamen Lebensführung der Ehegatten.
Diesen dem Grund nach privaten Veranlassungsgrund kann das ESt-Recht nicht ohne Verstoß gegen das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Verbot, die Vereinbarkeit von Ehe und Berufsausübung beider Ehegatten zu erschweren, bei der Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von "Doppelverdienern" unberücksichtigt lassen (BVerfG, Beschluss vom 4.12.2002, 2 BvR 400/98 und 1735/00, BStBl II 2003, 534). Deshalb dürfen Aufwendungen zur Gewährleistung der Berufstätigkeit nicht allein deshalb als beliebig disponibel betrachtet werden, weil sie privat (mit-)veranlasst sind.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 21.2.2006, IX R 79/01