Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Leitsatz
Versäumt eine Ehefrau aufgrund ihrer Depression, rechtzeitig auf Behördenpost zu reagieren, trifft den Ehemann kein grobes Verschulden daran. Daher kann ein bestandskräftiger Steuerbescheid später noch aufgrund neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu seinen Gunsten geändert werden.
Sachverhalt
Der Vater dreier Söhne erhielt Post von der Familienkasse, die nachfragte, ob einer der Söhne mittlerweile seine Schulausbildung abgeschlossen hatte. Nachdem der Vater nicht auf die Anfrage reagiert hatte, hob die Familienkasse die entsprechende Kindergeldfestsetzung ab September 2008 auf. Erst nach Bestandskraft des Aufhebungsbescheides reichte der Vater einen entsprechenden Ausbildungsnachweis nach, der den Kindergeldanspruch belegte. Die Familienkasse setzte daraufhin mit neuem Bescheid Kindergeld ab April 2010 fest, ging aber davon aus, dass eine zurückreichende Gewährung wegen der Bestandskraft des Aufhebungsbescheids nicht mehr möglich ist. Der Vater hielt dem entgegen, dass seine Ehefrau sich in der Familie um sämtliche Verwaltungsangelegenheiten gekümmert habe und sie in jüngster Vergangenheit an einer Depression erkrankt war. Er selbst habe von der Erkrankung nichts bemerkt und das Problem erst durch eine Vollstreckungsankündigung erkannt. Somit müsse ihm das Kindergeld auch noch für den Zeitraum September 2008 bis März 2010 gewährt werden.
Entscheidung
Das FG entschied, dass dem Vater trotz des bestandskräftigen Ablehnungsbescheids noch Kindergeld für September 2008 bis März 2010 zu gewähren ist. Der Bescheid kann noch aufgrund neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu Gunsten des Vaters geändert werden. Ein grobes Verschulden, das eine Änderung ausschließen würde, liegt im Urteilsfall nicht vor.
Vorliegend war die depressive Ehefrau uneingeschränkt für die Erledigung von Behördenaufgaben zuständig gewesen. Nach der Einschätzung ihrer Therapeuten habe die Depression durchaus dazu führen können, dass die Frau wichtige Post nicht bearbeiten konnte. Das FG schloss daraus, dass die Krankheit die Frau daran gehindert hatte, rechtzeitig Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid einzulegen.
Dass der Ehemann die Erledigung der Behördenangelegenheiten seiner Ehefrau überlassen hatte (die diese im Übrigen bis zu ihrer Erkrankung auch zuverlässig erledigt hatte), stellt keine Pflichtverletzung des Mannes dar. Auch kann ihm kein "Überwachungsverschulden" angelastet werden, da die Ehefrau anschaulich beschrieben hatte, wie es ihr gelungen war, die Folgen ihrer Erkrankung vor der Familie zu verbergen. Ohne solche konkreten Hinweise war für den Ehemann nicht zwangsläufig erkennbar, dass er die Erledigung der Behördenpost hätte überwachen müssen.
Hinweis
Die Revision wurde nicht zugelassen.
Link zur Entscheidung
FG des Saarlandes, Gerichtsbescheid vom 17.08.2012, 2 K 1303/11