Dr. Gerlind Wendt, Michael Wendt
Leitsatz
1. Es ist zweifelhaft, ob die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen von Selbstständigen nach § 10 Abs. 3 EStG verfassungskonform ist.
2. Ein Steuerpflichtiger kann sich gegen die Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung eines betrieblichen Wirtschaftsguts nicht auf einen Gleichheitsverstoß berufen, weil private Veräußerungsgewinne nicht voll erfasst werden. Eine darin liegende Ungleichbehandlung könnte nur dadurch beseitigt werden, dass auch solche Gewinne umfassend der Einkommensteuer unterworfen würden.
3. Die Besteuerung inflationsbedingter Scheingewinne aus Wertsteigerungen betrieblicher Wirtschaftsgüter verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.
4. Auch im Revisionsverfahren kann über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage durch Zwischenurteil nach § 99 Abs. 2 FGO vorab entschieden werden.
5. Nach § 90a FGO a.F. konnte trotz begehrter mündlicher Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, wenn ausschließlich über Rechtsfragen zu entscheiden war und die Beteiligten hinreichend Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme hatten.
(Leitsätze nicht amtlich)
Normenkette
Art. 3 Abs. 1 GG , § 2 Abs. 2 EStG , § 10 Abs. 3 EStG , § 90a, § 99 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Ein Steuerberater (verheiratet, ein Kind) wandte sich gegen den ESt-Bescheid 1989 aus mehreren Gründen:
- Die Besteuerung der beim Verkauf eines betrieblichen Pkws aufgedeckten stillen Reserven von 4 356 DM verstoße gegen den Gleichheitssatz
- Das Existenzminimum für den Grundbedarf der dreiköpfigen Familie sei um 9 213 DM zu niedrig angesetzt worden
- Vorsorgeaufwendungen für Selbstständige müssten in größerem Umfang steuerfrei gestellt werden.
Das FG hatte das Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG zum Familienleistungsausgleich zunächst ausgesetzt und wies dann die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Entscheidung
Der BFH traf zwei Entscheidungen:
Hinsichtlich der Frage, ob die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen von Selbstständigen verfassungswidrig ist, forderte der BFH das BMF zum Beitritt und zur Stellungnahme auf. Damit schloss sich der IV. Senat für das streitige Jahr 1989 der vorangegangenen Entscheidung des XI. Senats an (Beschluss vom 23.1.2001, XI R 17/00, Streitjahre 1990 und 1997).
In Bezug auf die anderen Streitpunkte erließ der BFH ein klageabweisendes Zwischenurteil.
Hinweis
1. Der BFH hat zunächst in dem Verfahren XI R 17/00 (BFH-PR 2001, 179) und anschließend auch in dem hiesigen Streitfall das BMF aufgefordert, dem Verfahren beizutreten und Stellung zu der Frage zu nehmen, ob die Höchstbeträge für den Sonderausgabenabzug bei Selbstständigen verfassungskonform sind. Dazu bezog er sich auf eine Entscheidung des BVerfG, wonach dem Steuerpflichtigen sein Einkommen nicht nur in Höhe des gegenwärtigen Grundbedarfs, sondern auch insoweit steuerfrei belassen werden muss, als Aufwendungen erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen im Fall der Erwerbslosigkeit – insbesondere im Alter – eine das Existenzminimum sichernde Rente zu gewährleisten. Bis zur Klärung dieser für Unternehmer sehr bedeutsamen Frage sollten alle Veranlagungen offen gehalten werden, sofern sich die Finanzverwaltung nicht zu einem entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk entschließt.
2. Die unterschiedliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen bei betrieblichen und privaten Wirtschaftsgütern ist ein Grundproblem des dualen Einkünftesystems nach dem EStG. Wenn darin allerdings ein Gleichheitsverstoß liegen sollte, könnte er nach der hier geäußerten Meinung des BFH nur durch eine Ausweitung der Besteuerung privater Veräußerungsgewinne beseitigt werden, nicht durch Steuerbefreiung betrieblicher Gewinne. Das BVerfG wird dazu Stellung nehmen können, wenn es die gegen das Besprechungsurteil erhobene Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annimmt (Az. 2 BvR 616/01).
3. Wenn eine Rechtsfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung ist, ein abschließendes Urteil aber noch nicht ergehen kann, darf nicht nur ein FG, sondern auch der BFH durch Zwischenurteil entscheiden. Hierdurch kann dem Steuerpflichtigen beschleunigt die Möglichkeit zur Anrufung des BVerfG gegeben werden. Denn das Zwischenurteil des BFH bedeutet für die entschiedene Rechtsfrage eine Erschöpfung des Rechtswegs und ermöglicht die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde. In geeigneten Fällen sollte deshalb die Entscheidung durch Zwischenurteil angeregt werden.
4. Die vom Kläger hier gewünschte mündliche Verhandlung hatte das FG dadurch umgangen, dass es durch Gerichtsbescheid entschied und die Revision zuließ. Dann konnte nach dem Wortlaut des § 90a FGO a.F. kein Antrag auf mündliche Verhandlung mehr gestellt werden. Wegen des Verlusts einer Tatsacheninstanz bestanden gegen diese Verfahrensweise Bedenken (BFH vom 28.6.2000, V R 55/98, BStBl II 2001, 31). Zwischenzeitlich hat sich die Rechtslage geändert: nach § 90a Abs. 2 FGO n.F. kann immer mündliche Verhandlung beantragt werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Zwischenurteil und Urteil vom 1.3.2001, IV R 90/99