Leitsatz
1. Nach § 22 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 2006 gilt zwar die Veräußerung der im Rahmen eines qualifizierten Anteilstauschs erhaltenen Anteile als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Rückwirkungsfiktion). Die Korrektur eines bereits bestandskräftig gewordenen Steuerbescheids zur Erfassung eines durch die Veräußerung ausgelösten Einbringungsgewinns II gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO setzt aber des Weiteren voraus, dass der Veräußerungstatbestand nach Erlass des zu ändernden Bescheids verwirklicht worden ist.
2. Wird die übernehmende Kapitalgesellschaft innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist formwechselnd in eine Personengesellschaft umgewandelt, führt dies zu einer Veräußerung des eingebrachten Anteils i.S. des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006.
Normenkette
§ 22 Abs. 2, § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 2006, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Die Klägerin war Alleingesellschafterin der C GmbH, D Alleingesellschafter einer spanischen Kapitalgesellschaft (B SLU). Die genannten Personen kamen überein, ihre jeweiligen Beteiligungen in einer gemeinsamen Holdinggesellschaft zusammenzuführen. Zu diesem Zweck brachten sie ihre Geschäftsanteile gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten zum ...9.2007 in die B GmbH ein (qualifizierter Anteilstausch). Steuerlich setzte diese die eingebrachten Geschäftsanteile gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 2006 mit einem Wert an, der unterhalb des gemeinen Werts lag. Zum ...8.2008 wurde die B GmbH gemäß § 190 UmwG in die B OHG formwechselnd umgewandelt. Die Eintragung des Formwechsels im Handelsregister erfolgte am ...9.2008. Steuerlich wurde der Formwechsel gemäß § 9 i.V.m. §§ 3ff. UmwStG 2006 zu Buchwerten vollzogen.
Das FA erblickte im Formwechsel eine innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist vollzogene Veräußerung i.S.d. § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006, änderte deshalb den gegenüber der Klägerin für das Jahr 2007 ergangenen Einkommensteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und erfasste auf diese Weise einen Einbringungsgewinn II. Den Einspruch gegen den Bescheid wies das FA ebenso zurück wie den von der Klägerin gestellten Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen.
Die Klage blieb erfolglos (Hessisches FG, Urteil vom 10.7.2018, 2 K 406/16, Haufe-Index 13053537, EFG 2019, 941).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte im verfahrensrechtlichen Teil aus den oben genannten Gründen Erfolg, da die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt werden konnte. Wegen der im Raum stehenden Korrektur gemäß § 173 Abs. 1 AO war die Sache zurückzuverweisen.
Hinweis
1. Die Entscheidung enthält eine wichtige verfahrensrechtliche Aussage und eine noch wichtigere materiell-rechtliche. Im verfahrensrechtlichen Teil widerspricht der BFH der Auffassung der Finanzverwaltung, im materiell-rechtlichen Teil schließt sich der BFH dem UmwStErlass an.
2. Beim verfahrensrechtlichen Teil geht es um Folgendes: Kommt es nach einer steuerneutral gestalteten Einbringung von Unternehmensanteilen oder beim Anteilstausch später innerhalb der sog. Sperrfrist zu Veräußerungen, dann wird der Einbringungsvorgang rückwirkend besteuert. Das ist die Kernaussage von § 22 Abs. 1 und Abs. 2 UmwStG. Das Gesetz spricht selbst von "rückwirkend" und ordnet ausdrücklich auch an, dass die Veräußerung als rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gilt (§ 22 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 UmwStG) gilt. Fraglich ist, ob mit diesem Verweis auf die AO-Korrekturvorschrift allein das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses fingiert wird ("gilt") und die weiteren Voraussetzungen der Korrekturnorm zu prüfen sind oder ob allein die Tatsache der Veräußerung stets die Änderungsbefugnis auslöst. Der BFH hat sich der erstgenannten Auffassung angeschlossen. Zu den weiteren Voraussetzungen einer Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gehört aber, dass das Ereignis, dem rückwirkende Kraft innewohnt, nach Erlass des zu ändernden Bescheids eingetreten ist. Mit diesem Merkmal werden die Anwendungsbereiche des § 173 AO einerseits, des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO andererseits sachgerecht abgegrenzt. Und diese Abgrenzung macht auch im Anwendungsbereich des § 22 UmwStG Sinn.
3. Im materiell-rechtlichen Teil nimmt der BFH zu einer "alten Streitfrage" Stellung: Inwieweit handelt es sich bei Umwandlungen um Veräußerungen i.S.d. Ertragsteuerrechts? Die Frage ist gerade bei Folgeumwandlungen von großer Bedeutung. Um eine solche Folgeumwandlung ging es auch im Streitfall. Die Klägerin hatte zunächst einen Anteilstausch durchgeführt. Später wurde die übernehmende Kapitalgesellschaft formwechselnd in eine Personenhandelsgesellschaft umgewandelt. Wenn diese Folgeumwandlung als Veräußerung i.S.d. § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG zu qualifizieren wäre, dann hätte dies im Streitfall einen Einbringungsgewinn II ausgelöst. Das FA bejahte diese Frage und konnte sich auf entsprechende Aussagen im UmwStErlass stützen. Auch der B...