Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
1. Beteiligt sich ein Kapitalanleger an einem sog. Schneeballsystem, mit dem ihm vorgetäuscht wird, in seinem Auftrag und für seine Rechnung würden Geschäfte auf dem Kapitalmarkt getätigt, so ist der vom Kapitalanleger angenommene Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen.
2. Bei der Entscheidung, ob einer der in § 20 EStG oder § 23 EStG aufgeführten Tatbestände erfüllt ist, kommt es entscheidend darauf an, wie sich das jeweilige Rechtsgeschäft aus der Sicht des Kapitalanlegers als des Leistungsempfängers bei objektiver Betrachtungsweise darstellt. : ,
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 ESTG 1989 , § 22 Nr. 2 EStG 1989 , § 23 Abs. 1 Nr. 1b EStG 1989
Sachverhalt
Ein angebliches Brokerunternehmen bot 1987 durch Telefonverkäufer Kapitalanlagen auf dem amerikanischen Markt an, und zwar u.a. Differenzgeschäfte mit Treasury-Bills und Treasury-Bonds. Es hat jedoch keine Börsengeschäfte getätigt oder vermittelt, sondern ihre Hintermänner haben die an sie überwiesenen Gelder der Anleger unterschlagen und veruntreut. Falls die Auszahlungen angeblich erzielter Gewinne von den Anlegern gewünscht wurde, wurde die Auszahlung mit den Einzahlungen anderer Kunden (sog. Schneeballsystem) bewirkt. Anfang 1990 brach das Firmengeflecht zusammen.
Der Kläger hatte mit diesem Unternehmen 1989 mehrere "Sondervereinbarungen" mit folgendem Inhalt geschlossen: "Sie erhalten Treasury-Bond-Optionen, Einschuss ..... US-$. Den bereits angelaufenen Gewinn i.H.v. ..... US-$ sichern wir durch Stop-Setzung ab und garantieren Ihnen hiermit die Rückzahlung am ..... i.H.v. mind. ..... US-$."
Zwischen den Daten der Sondervereinbarungen und den Rückzahlungsterminen lag ein Zeitraum zwischen sieben Tagen bis viereinhalb Monaten. Der Kläger erhielt 1989 über die Gewinne jeweils Abrechnungen und Gutschriften im Gesamtbetrag von über 7.000.000 DM.
Das FA erfasste diesen Betrag im Einkommensteuerbescheid der Kläger für 1989 als Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Das FA wies die Klage als unbegründet ab.
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil im Wesentlichen (in einem Fall nahm er an, dass das Glattstellungsgeschäft aufgelöst und nur noch als Kursdifferenz aufgrund eines Zinsterminkontrakts (Zins-Future-Geschäft) fortgeführt wurde. Auch Treasury-Bond-Optionen, die an amerikanischen Terminbörsen gehandelt würden, könnten im Glattstellungsgeschäft Gegenstand eines Spekulationsgeschäfts sein. Die Gewinne seien mit ihrer Gutschrift auf dem Konto des Klägers zugeflossen, solange das Unternehmen die Auszahlung nicht verweigere.
1989 habe auch noch kein verfassungswidriges Vollzugsdefizit bei Spekulationsgeschäften bestanden (für die Zeit ab 1994 vgl. BFH, Urteil vom 1.6.2004, IX R 35/01, BFH-PR, 2004, 394). Es sei für die Entscheidung auch ohne Bedeutung, dass die Länderfinanzverwaltungen zur rechtlichen Beurteilung solcher Geschäfte ggf. unterschiedliche Meinungen vertreten hätten.
Hinweis
Der BFH hat sich bereits in den sog. Ambros-Fällen eingehend zur Besteuerung von Scheinrenditen der getäuschten Anleger im Schneeballsystem geäußert (vgl. u.a. BFH, Urteil vom 10.7.2001, VIII R 35/00, BFH-PR 2001, 339). Auch im vorliegenden Fall geht es um eine Variante dieses Systems. Der BFH betont erneut, dass das jeweilige Rechtsgeschäft auch nach Einkommensteuerrecht danach zu beurteilen ist, wie es sich bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des getäuschten Kapitalanlegers darstellt.
Im Streitfall ging es um die Anwendung dieses Grundsatzes auf vorgetäuschte Optionsgeschäfte (hier: den Handel mit Treasury-Bond-Optionen an amerikanischen Terminbörsen). Inhalt eines Optionsgeschäfts ist der Erwerb eines Rechts (Option) durch den Käufer der Option (Optionsnehmer) vom Verkäufer der Option (Optionsgeber, Stillhalter) gegen Zahlung eines Entgelts (Optionsprämie), innerhalb eines bestimmten Zeitraums (sog. amerikanische Option) oder zu einem vorausbestimmten Zeitpunkt (sog. europäische Option) einen bestimmten Basiswert (Waren, Aktien; Anleihen; Devisen u.a.) zu einem vereinbarten Basispreis kaufen (sog. Call) oder verkaufen (sog. Put) zu können. Danach muss der Erwerber der Option grundsätzlich bei Beginn des Geschäfts eine Optionsprämie zahlen, kann diese Prämie aber – regelmäßig als Differenzausgleich – auch erst bei Glattstellung, Ausübung oder Verfall der Option entrichten.
Nimmt man zugunsten des Klägers im Streitfall an, dass dieser sich ein solches "Glattstellungsgeschäft" vorgestellt hat, stellt sich die Frage, wie die Glattstellungsgeschäfte von den nichtsteuerbaren Differenzgeschäften abzugrenzen sind; ein innerhalb der Spekulationsfrist abgewickeltes Glattstellungsgeschäft ist nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerpflichtig, ein bloßes Differenzgeschäft ist nicht steuerbar (vgl. etwa zu Börsentermingeschäften BFH, Urteil vom 25.8.1987, IX R 65/86, BStBI II 1988, 248). Die Antwort: Es kommt darauf an, ob sich die Differenz aus einem Veräußerungsgeschäft (über ein Wirtschaftsgut) und der Verrechnung mit einem Gegengeschäft ergibt oder ob...