Leitsatz
Die Besteuerung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i.d.F. ab 1999 ist verfassungsgemäß.
Normenkette
Art. 3 Abs. 1 GG, § 93 Abs. 7, § 93b AO, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 24c, § 45d EStG, § 24c KWG
Sachverhalt
Der Kläger erwarb und veräußerte im Streitjahr (1999) Wertpapiere und erzielte daraus Gewinne, die er neben weiteren hier nicht streitigen Einkünften in der Einkommensteuerveranlagung als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.H.v. 70.276 DM erklärte. Diese Einkünfte legte das FA erklärungsgemäß dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr zugrunde.
Im Klageverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid rügte der Kläger die Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Dem folgte das FG nicht. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidung
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr 1999 geltenden Fassung begegnet nach Auffassung des BFH keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil die Voraussetzungen für eine Vollziehbarkeit der Norm durch das Kontenabrufverfahren nunmehr gegeben seien.
Hinweis
Nach dem Urteil des BVerfG vom 9.3.2004, 2 BvL 17/02 (BStBl II 2005, 56) war § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i.d.F. für die Jahre 1997 und 1998 wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig. Im Streitfall war zu entscheiden, ob dieses Vollzugsdefizit der neugefassten Vorschrift auch im Jahr 1999 noch gegeben war.
1. Ein derartiges normatives Defizit bei den Erhebungsregeln besteht jedenfalls nach der Einführung des sog. Kontenabrufverfahrens – so der BFH – nicht mehr. Nach § 93 Abs. 7 AO kann das FA bei den Kreditinstituten über das Bundesamt für Finanzen einzelne Daten aus den nach § 93b Abs. 1 AO zu führenden Dateien abrufen, wenn dies zur Festsetzung oder Erhebung von Steuern erforderlich ist und ein Auskunftsersuchen an den Steuerpflichtigen nicht zum Ziel geführt hat oder keinen Erfolg verspricht. Der einzelfallbezogene, bedarfsgerechte und gezielte Zugriff auf Kontostammdaten ermöglicht nämlich weitere Ermittlungen, um sie aufzufinden. Denn nur dann, wenn das FA erfahren hat, bei welchem Kreditinstitut der Steuerpflichtige ein Konto oder ein Depot unterhält, kann es vom Kreditinstitut nach § 93 Abs. 1 AO Auskunft über Konten- oder Depotbewegungen verlangen. Deshalb führt die Kontenabfrage zur Effektivierung bestehender Ermittlungsmöglichkeiten.
2. Aufgrund des Kontenabrufverfahrens können Erkenntnisse auch bezogen auf das Streitjahr 1999 gewonnen werden.
Selbst wenn § 24c KWG erst ab dem 1.4.2003 anwendbar ist, erfasst die Vorschrift auch Sachverhalte der Vergangenheit, z.B. Tatsachen aus dem Veranlagungszeitraum des Streitjahrs. So kann in die Datei des Kreditinstituts die Nummer eines Depots aufgenommen werden, das bereits im Jahr 1999 oder vorher errichtet worden ist (§ 24c Abs. 1 Nr. 1 KWG), sowie der Name des steuerpflichtigen Verfügungsberechtigten (§ 24c Abs. 1 Nr. 2 KWG). Entsprechendes gilt für das erst mit Wirkung ab 1.4.2005 eingeführte Kontenabrufverfahren (§ 93 Abs. 7, § 93b AO).
Da die Festsetzungsfrist bei hinterzogenen Steuern nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre beträgt – und die Steuer auf nicht erklärte Veräußerungsgeschäfte regelmäßig objektiv hinterzogen ist (vgl. dazu BFH, Urteil vom 4.5.2004, VII R 64/03, BFH/NV 2004, 1516) –, können die Finanzbehörden für den Veranlagungszeitraum des Streitjahrs noch ermitteln. Sie können direkt Daten aus dem Jahr 1999 abrufen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Steuerpflichtige Veräußerungsgeschäfte nicht deklariert hat.
Hinzu kommt, dass das Kontenabrufverfahren in eine Vielzahl von Maßnahmen eingebettet ist, die der Gesetzgeber seit dem Jahr 1999 unternommen hat, um die Vollziehbarkeit der Einkünfte aus Kapitalvermögen wirksamer zu gestalten und die sich auch auf die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen auswirken. So nutzt die Finanzverwaltung das Kontrollverfahren gem. § 45d EStG in der durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 geänderten Fassung nicht nur dazu herauszufinden, ob und bei welchen Kreditinstituten der Steuerpflichtige Kapitalerträge hat freistellen lassen, sondern auch dazu, Einkünfte aus Wertpapierveräußerungsgeschäften zu ermitteln (so die Stellungnahme des BMF in diesem Verfahren).
Die zurzeit noch bestehenden praktischen und technischen Probleme beim Umsetzen des Kontenabrufs stehen der Vollziehbarkeit der Norm nicht entgegen. Vielmehr ist der Finanzverwaltung eine Anlaufphase zuzubilligen, in der sie die Voraussetzungen für ein rasches Funktionieren des Verfahrens schafft. Denn gegenwärtig bestehen – so der BFH – keine tatsächlichen Zweifel daran, dass es sich bei den in der mündlichen Verhandlung geschilderten wesentlich technisch bedingten Unzulänglichkeiten um unschädliche Umsetzungsprobleme in der Anlaufphase handelt.
3. Verfassungsrechtliche Zweifel bestehen gegen die Vorschriften über den Kontenabruf nicht. § 93 Abs. 7 AO räumt der Finanzbehörde das Ermessen ein, ob es vom Kontenabruf Gebrauch macht...