Leitsatz
Haben die Eltern eines Kindes einen Elternteil als Kindergeldberechtigten bestimmt, so erlöschen die Rechtswirkungen der Bestimmung, wenn sich die Eltern trennen und das Kind ausschließlich im Haushalt eines der beiden Elternteile lebt. Die ursprüngliche Berechtigtenbestimmung lebt nicht wieder auf, wenn die Eltern und das Kind wegen eines Versöhnungsversuchs wieder in einem gemeinsamen Haushalt leben.
Normenkette
§ 64, § 67 EStG, § 37 Abs. 2 AO
Sachverhalt
Der Kläger lebte mit seiner damaligen Ehefrau, der Beigeladenen, und dem 2005 geborenen gemeinsamen Sohn bis April 2008 in einer Wohnung. Das Kindergeld war gegenüber dem Kläger festgesetzt worden, da er als Berechtigter bestimmt worden war. Nach der Trennung im April 2008 gehörte der Sohn zum Haushalt der Mutter. Von Oktober bis Dezember 2008 lebten der Kläger, die Beigeladene und der Sohn vorübergehend wieder zusammen. Danach kam es zur endgültigen Trennung.
Im Januar 2009 beantragte die Beigeladene Kindergeld. Die Familienkasse hob die Festsetzung gegenüber dem Kläger auf und forderte das für Mai bis Dezember 2008 gezahlte Kindergeld zurück. Zur Begründung seines erfolglosen Einspruchs trug der Kläger vor, das Kindergeld sei auf das Konto der Beigeladenen gezahlt worden.
Das FG gab der Klage statt, soweit sie den Zeitraum Oktober 2008 bis Dezember 2008 betraf (Hessisches FG, Urteil vom 30.4.2014, 12 K 1044/11, Haufe-Index 7954135). Es war der Ansicht, die nicht widerrufene ursprüngliche Berechtigtenbestimmung sei wieder aufgelebt.
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung des FG-Urteils, soweit dieses den Zeitraum Oktober 2008 bis Dezember 2008 betrifft; auch insoweit wies der BFH die Klage ab.
Hinweis
1. Von mehreren Berechtigten erhält das Kindergeld, wer das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG, Obhutsprinzip). Wohnen Eltern und Kind zusammen in einem gemeinsamen Haushalt, so bestimmen die Eltern untereinander den Berechtigten (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG). Ohne einvernehmliche Regelung wird der Berechtigte auf Antrag vom Familiengericht bestimmt (§ 64 Abs. 2 Satz 3 EStG).
2. Trennen sich die Eltern eines Kindes und leben sie fortan in verschiedenen Haushalten, so wird eine zuvor getroffene Berechtigtenbestimmung regelmäßig gegenstandslos, weil das Kindergeld dann zwingend an den Elternteil zu zahlen ist, in dessen Haushalt das Kind nunmehr lebt. Ein Widerruf der Berechtigtenbestimmung ist entbehrlich, da die Anspruchskonkurrenz entfällt.
Nur ausnahmsweise, wenn das Kind nach der Trennung der Eltern in annähernd gleichwertigem Umfang bei beiden Elternteilen lebt, wirkt die vor der Trennung getroffene Berechtigtenbestimmung fort (BFH, Urteil vom 23.3.2005, III R 91/03, BFH/NV 2005, 1186, BFH/PR 2005, 286).
Einvernehmliche Zuordnung bei gleichwertiger Haushaltsaufnahme nach Trennung möglich
Ist ein Kind annähernd gleichwertig in die beiden Haushalte seiner allein stehenden Eltern aufgenommen, so können diese einvernehmlich z.B. das Kindergeld durch Berechtigtenbestimmung der Mutter und den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende dem Vater zuordnen (BFH, Urteil vom 28.4.2010, III R 79/08, BFH/NV 2010, 1716, BFH/PR 2010, 426).
3. Befindet sich das Kind nach der Trennung der Eltern nicht mehr im Haushalt beider Elternteile, wird der mit dem Kind zusammenlebende Elternteil vorrangig kindergeldberechtigt. Die Trennung lässt die Rechtswirkungen der früheren gemeinsamen Berechtigtenbestimmung entfallen. Wird danach (z.B. aufgrund eines Versöhnungsversuchs, der eine Zusammenveranlagung ermöglichen kann) wieder ein gemeinsamer Haushalt begründet, bedarf es einer neuen Berechtigtenbestimmung; die gegenstandslos gewordene Berechtigtenbestimmung lebt nicht wieder auf. Tatsächlich besteht für diesen Zeitraum, was das Urteil nicht ausführt, eine ungelöste Anspruchskonkurrenz, die durch Einigung der Eltern oder Entscheidung des Familiengerichts gelöst werden muss.
4. Es ist ein häufiger Fehler, dass der Elternteil, zu dessen Gunsten das Kindergeld aufgrund der Berechtigtenbestimmung festgesetzt worden war, die Familienkasse nicht über die Beendigung seiner Obhut in Kenntnis setzt, sondern sie lediglich anweist, künftig auf das Konto des anderen Elternteils zu zahlen. Die Familienkasse muss dann, sobald sie von der Änderung der Haushaltszugehörigkeit des Kindes erfährt, die bisherige Kindergeldfestsetzung rückwirkend aufheben und zugunsten des anderen Elternteils neu festsetzen (§ 70 Abs. 2 EStG). Das Kindergeld wird dann an den anderen Elternteil ausgezahlt, während es von dem als berechtigt bestimmten Elternteil zurückgefordert wird, da dieser trotz der nachfolgenden Zahlung an einen Dritten Leistungsempfänger i.S.d. § 37 Abs. 2 AO bleibt (BFH, Urteil vom 10.3.2016, III R 29/15, BFH/NV 2016, 1278).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.5.2017 – III R 11/15