Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Leitsatz
Bei ordnungsgemäß nachgewiesenen Bewirtungsaufwendungen sind 20 % (seit dem 1.1.2004: 30 %) der Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig. Für diese Aufwendugen besteht nach § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG auch kein Vorsteuerabzug. Diese - zum 1.4.1999 eingeführte - Beschränkung des Vorsteuerabzugs verstößt nach Auffassung des FG München gegen die Vorgaben des Art. 17 der 6. EG-RL, so dass sich der Unternehmer auf die für ihn günstigere Regelung berufen kann.
Sachverhalt
Der Kläger bewirtete nach dem 31.3.1999 Geschäftskunden und zog aus den ordnungsgemäß nachgewiesenen Bewirtungsaufwendungen in vollem Umfang die Vorsteuer nach § 15 UStG ab. Da ertragsteuerlich nach § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG nur 80 % (ab 1.1.2004: 70 %) der nachgewiesenen Aufwendungen als Betriebsausgaben abgezogen werden können, versagte das Finanzamt dem Unternehmer den vollen Vorsteuerabzug aus diesen Bewirtungsaufwendungen unter Hinweis auf die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2002/2002 eingeführte Beschränkung nach § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG. Danach können - seit dem 1.4.1999 - Vorsteuerbeträge insoweit nicht abgezogen werden, wie sie mit nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben im Zusammenhang stehen.
Entscheidung
Das FG München hat die zum 1.4.1999 eingeführte Beschränkung des Vorsteuerabzugs für die ertragsteuerlich nicht abzugsfähigen Bewirtungsaufwendungen als nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar angesehen. Nach Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL kann der Unternehmer die ihm von anderen Unternehmern in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen, wenn er diese Leistungen für besteuerte Leistungen verwendet. Das Gemeinschaftsrecht sieht - derzeit - keine Beschränkungen des Vorsteuerabzugs für in Anspruch genommene Bewirtungsaufwendungen vor.
Die in Deutschland zum 1.4.1999 eingeführte Beschränkung des Vorsteuerabzugs für die Bewirtungsaufwendungen verstößt nach Auffassung des FG München gegen die sog. Stand-Still-Klausel, nach der zu Lasten des Unternehmers keine nachteiligen - über die Regelungen des Gemeinschaftsrechts hinausgehenden - Vorschriften in das nationale Recht aufgenommen werden dürfen. Da zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gemeinschaftsrechts (1978/1979) der Unternehmer in Deutschland unabhängig von der ertragsteuerlichen Abzugsfähigkeit der Bewirtungsaufwendungen den vollen Vorsteuerabzug aus solchen Eingangsleistungen für sein Unternehmen hatte, stellt die Regelung des § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG bezüglich des Anteils der Bewirtungsaufwendungen eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nachträgliche Schlechterstellung des deutschen Unternehmers dar. Damit kann sich der Unternehmer auf das für ihn günstigere Gemeinschaftsrecht berufen.
Unerheblich ist für das FG München auch, dass zur Zeit eine Beschränkung des Vorsteuerabzugs für Repräsentationsaufwendungen gemeinschaftsrechtlich geprüft wird. Diese ausstehende gemeinschaftsrechtliche Regelung kann nicht von den Mitgliedstaaten im Vorgriff schon in nationales Recht umgesetzt werden. Eine Ermächtigung zur Einführung einer solchen Beschränkung nach Art. 27 der 6. EG-RL ist von der Bundesregierung auch nicht eingeholt worden.
Hinweis
Das FG München hatte schon mit Beschluss vom 2.12.2002 im Aussetzungsverfahren ernstliche Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit des Ausschlusses vom Vorsteuerabzug in diesem Fall geäußert. Insoweit ist das Urteil die konsequente Entscheidung zu diesem - wahrscheinlich jeden Unternehmer betreffenden - Problem. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das FG die Revision beim BFH zugelassen, die Chancen für eine aus Sicht des Unternehmers positive Entscheidung des BFH stehen nicht schlecht. Der Unternehmer sollte aus diesem Grunde alle Veranlagungen seit 1999 offen halten. Zumindest in den Fällen, in denen kein Bescheid zur Umsatzsteuer erlassen wurde (die Steuererklärung gilt, soweit kein Bescheid erlassen wird, als Veranlagung unter Vorbehalt der Nachprüfung), kann die Festsetzungsverjährung nach § 169 f. AO für Besteuerungszeiträume ab 1999 frühestens Ende 2004 eintreten. Insoweit besteht noch kein akuter Handlungsbedarf. Zumindest gegen Ende 2004 oder in den Fällen, in denen Bescheide ohne Vorbehalt der Nachprüfung zur Umsatzsteuer erlassen werden, sollte Einspruch gegen die Veranlagung eingelegt werden und Ruhen des Verfahrens beantragt werden.
In der laufenden Buchhaltung muss der Unternehmer selber entscheiden, ob er den vollen Vorsteuerabzug aus den Bewirtungsaufwendungen vornimmt oder - vorerst - nur aus den ertragsteuerlich abzugsfähigen 70 %. Allerdings sollte unbedingt im Zusammenhang mit der Voranmeldung oder der Jahressteuererklärung darauf hingewiesen werden, dass der Vorsteuerabzug in vollem Umfang vorgenommen worden ist. Das Finanzamt wird dann gegebenenfalls - soweit keine Weisung des BMF erfolgt - eine geänderte Festsetzung vornehmen, auf die dann mit Einspruch und gegebenenfalls Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bzw. Ruhen lassen des Verfahrens reagiert werden muss.
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