Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Ermessensausübung des FA bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens
Leitsatz (NV)
1. Die fehlende Bestandkraft einer Steuerfestsetzung lässt einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das FA nicht von vornherein als ermessensfehlerhaft erscheinen.
2. Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist allerdings dann ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, wenn er nur der Existenzvernichtung des Steuerpflichtigen oder als Druckmittel für die Abgabe von Steuererklärungen bzw. Steueranmeldungen dienen soll oder wenn die geltend gemachte Steuerforderung nach Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen keinen Bestand mehr haben könnte bzw. eine Bagatellforderung darstellen würde.
3. Der Frage, ob die Einleitung einer Vollstreckungsmaßnahme nur in den Fällen rechtsmissbräuchlich ist, in denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der Kläger die gegen ihn geltend gemachten Steuerrückstände überhaupt nicht schuldet, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; AO 1977 §§ 251, 256
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 09.07.2004; Aktenzeichen 13 K 4218/01) |
Tatbestand
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Finanzgericht (FG) die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) mit dem Antrag, den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) zur Zurücknahme des beim Amtsgericht (AG) gestellten Insolvenzantrages zu verpflichten, abgewiesen. Ob es sich im Streitfall um eine Leistungs- oder um eine Anfechtungsklage handelt, ließ das FG dahingestellt sein und urteilte, dass jedenfalls die Ermessensentscheidung des FA nicht beanstandet werden könne. Ein Ermessensfehlgebrauch sei nicht erkennbar. Im Streitfall habe das FA von der Zahlungsunfähigkeit des Klägers ausgehen können. Auch führe der Umstand, dass im Zeitpunkt der Antragstellung Steuerforderungen noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden seien, nicht zu einem Ermessensfehler. Denn ein Insolvenzantrag setze lediglich die Vollziehbarkeit, nicht jedoch die Bestandskraft des der Vollstreckung zugrunde liegenden Bescheides voraus. Ein Ermessensfehler könne auch nicht darin gesehen werden, dass das FA den Insolvenzantrag gestellt habe, obwohl über den Einspruch gegen den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges noch nicht abschließend entschieden worden sei. Die im Einspruchsverfahren angesprochene Problematik könne auf den Streitfall nur dann Auswirkungen haben, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einem für den Kläger erfolgreichen Ausgang des Verfahrens über die Verlustfeststellung zu rechnen sei. Eine solche Prognose lasse sich jedoch nicht treffen. Schließlich ergebe sich ein Ermessensfehler auch nicht daraus, dass das Insolvenzverfahren zu einem Widerruf der Bestellung des Klägers als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer führen könnte. Umstände, die einem solchen Antrag aufgrund der besonderen Umstände in der Person des Klägers entgegenstünden, habe dieser nicht vorgetragen. Aufgrund dessen Einlassungen gegenüber dem FA sei eine Beschwer durch einen eventuellen Widerruf der Bestellung nicht greifbar.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im erstinstanzlichen Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers, die er im Wesentlichen auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und der Divergenz stützt (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO). Unzutreffend sei die Rechtsansicht des FG, dass andere Gesichtspunkte als die nicht ausgesetzte Vollziehung des Steuerbescheides, wie z.B. die mit einem Insolvenzverfahren einhergehende Existenzvernichtung, bei der Ermessensausübung nicht berücksichtigt werden müssten. Von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) weiche auch die Rechtsauffassung des FG ab, dass die Vollstreckung nur dann einzustellen sei, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststünde, dass der Kläger die gegen ihn geltend gemachten Steuerrückstände gar nicht schulde. Selbst für die Aussetzung der Vollziehung (AdV) sei eine überwiegende Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels nicht erforderlich. Daher habe das FA auf die Durchführung einer existenzvernichtenden Maßnahme bereits bei einer wesentlich geringeren Wahrscheinlichkeit der Rechtmäßigkeit der Steuerforderungen zu verzichten.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn die vom Kläger behauptete Divergenz liegt nicht vor; im Übrigen entspricht die Beschwerde nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
1. Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats lässt die fehlende Bestandskraft einer Steuerfestsetzung einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens durch das FA nicht von vornherein ermessensfehlerhaft erscheinen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. April 1988 VII B 176/87, BFH/NV 1988, 762, sowie vom 11. Dezember 1990 VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787). Dieser Grundsatz gilt auch für den Antrag des FA auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2003 VII B 265/01, BFH/NV 2004, 464). Denn die zur Konkursordnung (KO) ergangene Rechtsprechung zur Ermessensausübung im Falle eines Konkursantrages hat durch die Einführung des Insolvenzverfahrens, das zum 1. Januar 1999 das Konkursverfahren abgelöst hat, keine Änderung erfahren. Die maßgeblichen abgabenrechtlichen Vorschriften (vgl. § 251 Abs. 1 und § 256 der Abgabenordnung --AO 1977--) sind unverändert geblieben. In § 251 Abs. 2 AO 1977 sind lediglich die Verweise auf die Vorschriften der KO und der Vergleichsordnung durch einen Verweis auf die Vorschriften der Insolvenzordnung ersetzt worden.
Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Insolvenzantrag allerdings dann rechtswidrig, weil ermessensfehlerhaft, wenn der Antrag nur der Existenzvernichtung des Steuerpflichtigen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23. Juli 1985 VII B 29/85, BFH/NV 1986, 41, und in BFH/NV 2004, 464) oder lediglich als "Druckmittel" für die Abgabe von Steuererklärungen bzw. Steueranmeldungen dienen würde (Senatsbeschluss vom 1. März 1990 VII B 155/89, BFH/NV 1990, 787).
Von diesen Grundsätzen ist das FG bei seiner Urteilsfindung nicht abgewichen. Ausweislich der Urteilsbegründung ist es zutreffend davon ausgegangen, dass das FA die vom Kläger beanstandete Vollstreckungsmaßnahme treffen konnte, obwohl eine bestandskräftige Steuerforderung im Zeitpunkt des Insolvenzantrages noch nicht vorlag. Im Übrigen hat das FG den vom Kläger angeführten Rechtssatz, dass nämlich der Gesichtspunkt einer drohenden Existenzvernichtung bei der Ermessensausübung nicht berücksichtigt werden müsste, überhaupt nicht aufgestellt. Vielmehr hat sich das FG auch mit den möglichen Folgen eines Widerrufs der Bestellung zum Steuerberater befasst und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, dass besondere Umstände des Einzelfalles einen Insolvenzantrag als ermessensfehlerhaft erscheinen lassen könnten. Wäre das FG bei seiner gemäß § 102 FGO eingeschränkten Ermessensüberprüfung von einer Entbehrlichkeit der Berücksichtigung des Gesichtspunktes der drohenden Existenzvernichtung ausgegangen, hätte es der vorgenannten Ausführungen nicht bedurft.
Eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von der Rechtsprechung des BFH ist auch nicht darin zu sehen, dass das FG Auswirkungen auf die Ermessensbetätigung des FA für den Fall angenommen hat, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einem für den Kläger erfolgreichen Ausgang des Verfahrens über die Verlustfestsetzung zu rechnen wäre. Diese Überlegungen sind als Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu verstehen. Denn die Höhe des zu vollstreckenden Steueranspruchs muss in einem angemessenen Verhältnis zu den wirtschaftlichen Folgen eines Insolvenzantrages stehen (vgl. Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 251 AO 1977 Rdnr. 19, m.w.N.). Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wäre daher rechtsmissbräuchlich, wenn feststünde, dass aufgrund einer durchzuführenden Wertberichtigung oder eines Erstattungsanspruches die zur Vollstreckung anstehende Steuerforderung keinen Bestand mehr haben könnte oder wenn es sich um eine ausgesprochene Bagatellforderung handeln würde. Nach den Feststellungen des FG liegen solche besonderen Umstände im Streitfall jedoch nicht vor.
Die vom Kläger zitierten BFH-Urteile, von denen das FG abgewichen sein soll, beziehen sich nicht auf die Grenzen einer Ermessensausübung im Falle eines Insolvenzantrages, sondern auf die Voraussetzungen einer AdV gemäß § 69 Abs. 2 FGO, um die es im Streitfall nicht geht. Deshalb kann das erstinstanzliche Urteil auch nicht von diesen Urteilen abweichen, denn mit den Voraussetzungen, unter denen eine AdV gewährt werden könnte, hat sich das FG nicht befasst.
2. Auch eine Abweichung des FG von dem in der Urteilsbegründung angeführten Beschluss des FG Bremen 299224V 2 vom 13. September 1999, Entscheidungen der Finanzgerichte 1999, 1245, vermag der Senat nicht zu erkennen. Entgegen der Behauptung des Klägers hat sich das FG nicht darauf berufen, dass auch das FG Bremen festgestellt habe, dass der drohende Widerruf der Bestellung als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer --weder für sich genommen noch unter gleichzeitiger Berücksichtigung der anderen in der Klageschrift vorgetragenen Gesichtspunkte-- kein Grund sei, auf den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verzichten. Vielmehr hat das FG in der entsprechenden Textstelle der Urteilsbegründung in einer generellen und einleitenden Betrachtung darauf verwiesen, dass ein möglicher Widerruf der Bestellung als Steuerberater der Beantragung eines Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht entgegenstehe. Ohne Bezugnahme auf die im Streitfall gegebenen Besonderheiten erfolgte in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Entscheidung des FG Bremen. Eine Divergenz lässt sich daher nicht feststellen.
3. Hinsichtlich der vom Kläger aufgeworfenen Frage, ob die Ergreifung einer existenzvernichtenden Vollstreckungsmaßnahme nur in den Fällen rechtsmissbräuchlich sei, in denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der Kläger die gegen ihn geltend gemachten Steuerrückstände gar nicht schulde, fehlt es bereits an der Darlegung der Bedeutung dieser Frage für die Allgemeinheit. Nach Auffassung des beschließenden Senats stellt der Umstand, dass eine tatsächlich nicht bestehende Steuerforderung Anlass für eine Vollstreckungsmaßnahme gibt, die den Steuerpflichtigen aufgrund ihres Ausmaßes der wirtschaftlichen Existenz beraubt, einen eher atypischen Fall dar, der eine Bedeutung für eine Vielzahl von gleichgelagerten Fällen nicht erkennen lässt.
Fundstellen
Haufe-Index 1345134 |
BFH/NV 2005, 1002 |