Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage an EuGH: Vereinbarkeit des Betriebsstättensteuersatzes 42 v.H. mit dem Recht auf freie Niederlassung
Leitsatz (amtlich)
Dem EuGH werden zur Vorabentscheidung folgende Rechtsfragen vorgelegt:
1. Ist Art. 52 i.V.m. Art. 58 EGV dahin gehend auszulegen, dass es gegen das Recht auf freie Niederlassung verstößt, wenn der von einer ausländischen EU-Kapitalgesellschaft im Jahr 1994 durch eine Zweigniederlassung in Deutschland erzielte Gewinn einer deutschen Körperschaftsteuerbelastung von 42 v.H. (= sog. Betriebsstättensteuersatz) unterliegt, obwohl
- der Gewinn nur mit 33,5 v.H. deutscher Körperschaftsteuer belastet worden wäre, wenn eine in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Tochterkapitalgesellschaft der ausländischen EU-Kapitalgesellschaft ihn erzielt und bis zum Ablauf des 30. Juni 1996 voll an die Muttergesellschaft ausgeschüttet hätte,
- der Gewinn zwar zunächst mit deutscher Körperschaftsteuer in Höhe von 45 v.H. belastet worden wäre, wenn die Tochterkapitalgesellschaft ihn bis zum Ablauf des 30. Juni 1996 thesauriert hätte, sich die Körperschaftsteuerbelastung aber im Fall einer vollständigen Ausschüttung nach dem 30. Juni 1996 nachträglich auf 30 v.H. vermindert hätte?
2. Muss der Betriebsstättensteuersatz, falls er gegen Art. 52 i.V.m. Art. 58 EGV verstößt, für das Streitjahr auf 30 v.H. herabgesetzt werden, um den Verstoß zu beseitigen?
Normenkette
EG Art. 234 Abs. 1 Buchst. a; EGVtr Art. 52, 58 (jetzt Art. 48 EG); EG Art. 234 Abs. 3; KStG 1991 § 2 Nr. 1, § 23 Abs. 2 S. 1, Abs. 3; StandOG; DBA LUX Art. 5, 13 Abs. 1-2, Art. 20 Abs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Sachverhalt und Streitstand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine société anonoyme (S.A.) mit Sitz und Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU), dem Großherzogtum Luxemburg (Luxemburg). Sie unterhielt u.a. im Jahr 1994 (Streitjahr) in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) eine Zweigniederlassung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) veranlagte die Klägerin entsprechend der von ihr eingereichten Steuererklärung als beschränkt steuerpflichtige Körperschaft mit ihrem durch die Zweigniederlassung erzielten Einkommen für das Streitjahr zur Körperschaftsteuer und setzte die Steuer auf 42 v.H. des zu versteuernden Einkommens fest. Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend machte, dieser Steuersatz sei diskriminierend und verletze ihr Recht auf Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 52 des Vertrages zur Gründung der Europäische Gemeinschaft ―EGV― (nach Änderung durch den Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte ―EG― jetzt Art. 43 EG) i.V.m. Art. 58 EGV (jetzt Art. 48 EG), waren erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 651 veröffentlicht.
Mit der Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und den Körperschaftsteuerbescheid dahingehend zu ändern, dass die Steuer auf 30 v.H. des zu versteuernden Einkommens herabgesetzt wird.
Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen: Der Körperschaftsteuersatz von 42 v.H. (sog. Betriebsstättensteuersatz) verstoße gegen Art. 52 i.V.m. Art. 58 EGV. Das im Streitjahr geltende deutsche Steuerrecht diskriminiere Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung und Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU (ausländische EU-Kapitalgesellschaften), die ihre gewerbliche Tätigkeit in Deutschland durch eine Zweigniederlassung ausübten, gegenüber ausländischen EU-Kapitalgesellschaften, die ihre gewerbliche Tätigkeit in Deutschland durch eine in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Tochterkapitalgesellschaft ausübten. Hätte die Klägerin die Tätigkeiten der Zweigniederlassung durch eine in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Tochtergesellschaft ausgeübt und hätte diese ihren im Streitjahr erzielten Gewinn nach dem 30. Juni 1996 voll an die Klägerin ausgeschüttet, dann wäre der Gewinn nur mit deutscher Körperschaftsteuer in Höhe von 30 v.H. des zu versteuernden Einkommens der Tochtergesellschaft belastet worden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es verneint einen Verstoß gegen das Recht auf Niederlassungsfreiheit und hat zur Begründung sinngemäß im Wesentlichen vorgetragen: In Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Kapitalgesellschaften schütteten ihre Gewinne in der Regel nicht voll aus. Daher ergebe sich die Körperschaftsteuerbelastung der von ihnen im Streitjahr erzielten Gewinne auf der Ebene der Gesellschaft meist aus der Kombination des Thesaurierungssteuersatzes von 45 v.H. und dem für Ausschüttungen geltenden Steuersatz von 30 v.H. Selbst wenn Vollausschüttungen bei den von ausländischen EU-Kapitalgesellschaften beherrschten deutschen Tochtergesellschaften der Regelfall wären, werde die Klägerin durch die Höhe des Betriebsstättensteuersatzes nicht diskriminiert. Denn im Streitjahr habe zwischen der Ausschüttungsbelastung bei der Kapitalgesellschaft und der Besteuerung der Ausschüttung beim Anteilseigner eine sachliche Kongruenz bestanden. Es sei deshalb verfehlt, als Körperschaftsteuerbelastung des Gewinns einer Tochterkapitalgesellschaft nur die Ausschüttungsbelastung und den Kapitalertragsteuerabzug von 5 v.H. anzusetzen.
Entscheidungsgründe
II. Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)
Dem EuGH sind die im Tenor des Beschlusses formulierten Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Gemäß Art. 234 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Buchstabe a EG ist der Senat zur Vorlage verpflichtet. Die Rechtsfragen sind für das Revisionsverfahren entscheidungserheblich und sie betreffen die Auslegung des EGV. Diese ist dem EuGH vorbehalten, wenn die zutreffende Auslegung des Vertrages nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel an der richtigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts keinerlei Raum bleibt (s. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, C.I.L.F.I.T./Ministero della sanità, Slg. 1982, 3415; Schwarze in EU-Kommentar, 2000, Art. 234 EGV Rz. 41 f.).
A. Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfragen und Besteuerung der Klägerin nach deutschem Körperschaftsteuerrecht
1. Wird die erste vorgelegte Rechtsfrage verneint, ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Der angefochtene Körperschaftsteuerbescheid steht mit dem deutschen Steuerrecht in Einklang. Dieses regelt die Besteuerung der Klägerin hinsichtlich der Körperschaftsteuer für das Streitjahr im Wesentlichen wie folgt:
a) Ausländische Gesellschaften, die wie die Klägerin als luxemburgische S.A. hinsichtlich ihrer rechtlichen Struktur einer deutschen Kapitalgesellschaft entsprechen und im Inland (= Deutschland) weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz haben, sind mit ihren inländischen Einkünften in Deutschland beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 1991 in der im Streitjahr geltenden Fassung ―KStG a.F.―). Zu den inländischen Einkünfte gehört der Gewinn aus Gewerbebetrieb, wenn für den Betrieb im Inland (mindestens) eine Betriebsstätte unterhalten wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes 1994 ―EStG 1994― i.V.m. § 2 Nr. 1 und § 8 Abs. 1 KStG a.F.). Betriebsstätten sind alle festen Geschäftseinrichtungen, die der Tätigkeit eines Unternehmens dienen; insbesondere gehören zu ihnen auch Zweigniederlassungen (§ 12 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 der Abgabenordnung ―AO 1977―).
Die Klägerin erzielte ―dies ist zwischen den Beteiligten des Revisionsverfahrens zu Recht unstreitig― aufgrund der in ihrer deutschen Zweigniederlassung ausgeübten Tätigkeiten inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
b) Die Höhe dieser Einkünfte (des sog. Betriebsstättengewinns) wird nach deutschem Steuerrecht durch Vermögensvergleich ermittelt (§ 5 Abs. 1 EStG 1994 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG a.F.; vgl. Senatsurteil vom 13. September 1989 I R 117/87, BFHE 158, 340, BStBl II 1990, 57; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 7 Rz. 177, 180). Die Anwendung der deutschen Gewinnermittlungsvorschriften ist dabei auf den durch die inländische Zweigniederlassung erzielten Gewinn beschränkt (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 1997 I R 95/96, BFHE 185, 16, BStBl II 1998, 260). Bei der Gewinnermittlung darf die Körperschaftsteuer nicht gewinnmindernd abgezogen werden (§ 10 Nr. 2 KStG a.F.).
c) Hinsichtlich des Besteuerungsrechts Deutschlands und der Abgrenzung des Betriebsstättengewinns von den durch andere Unternehmensteile der Klägerin erzielten Gewinnteilen gilt nach dem zwischen Deutschland und Luxemburg abgeschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23. August 1958 ―DBA Luxemburg― (BGBl II 1959, 1270) i.d.F. des Ergänzungsprotokolls vom 15. Juni 1973 (BGBl II 1978, 111) Folgendes:
Deutschland hat das Besteuerungsrecht für den Gewinn der Klägerin, soweit er auf die in Deutschland befindliche Betriebsstätte entfällt (Art. 5 Abs. 1 DBA-Luxemburg). Bei der Ermittlung des auf die Betriebsstätte entfallenden Gewinns werden der Betriebsstätte diejenigen Gewinne zugerechnet, die sie erzielt hätte, wenn sie sich als selbständiges Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Geschäften unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen befasst und Geschäfte wie ein unabhängiges Unternehmen getätigt hätte (Art. 5 Abs. 2 DBA-Luxemburg). Grundsätzlich ist dabei von dem Bilanzergebnis der Betriebsstätte auszugehen. Alle der Betriebsstätte zurechenbaren Ausgaben einschließlich eines Anteils an den Geschäftsführungs- und allgemeinen Verwaltungskosten des Unternehmens sind zu berücksichtigen und künstliche Gewinnverlagerungen auszuschließen. Die Vereinbarung von Zinsen oder Lizenzgebühren zwischen den Betriebsstätten desselben Unternehmens ist grundsätzlich unbeachtlich. In besonderen Fällen kann bei der Ermittlung des Betriebsstättengewinns der Gesamtgewinn des Unternehmens aufgeteilt werden (Schlussprotokoll zum DBA-Luxemburg in der Fassung des Ergänzungsprotokolls vom 15. Juni 1973 ―Nr. 10 zu Art. 5―).
Auch die Höhe des Betriebsstättengewinns ist zwischen der Klägerin und dem FA unstreitig.
d) Der Betriebsstättengewinn entspricht dem der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten zu versteuernden Einkommen der Klägerin, da der Klägerin kein Steuerfreibetrag zusteht (§ 7 Abs. 2 i.V.m. §§ 24 und 25 KStG a.F.). Gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und § 2 Nr. 1 KStG a.F. beträgt die Körperschaftsteuer 42 v.H. des Betriebsstättengewinns (s. Art. 2 Nr. 5 des Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt vom 13. September 1993 ―StandOG―, BGBl I 1993, 1569, BStBl I 1993, 774).
Zwischen den Beteiligten des Revisionsverfahrens ist allein streitig, ob dieser Betriebsstättensteuersatz gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.
2. Verstößt der Betriebsstättensteuersatz gegen Art. 52 i.V.m. Art. 58 EGV und ist somit die erste vorgelegte Rechtsfrage zu bejahen, hängt der Umfang des Erfolgs der Revision davon ab, wie die zweite vorgelegte Rechtsfrage zu beantworten ist. Nur wenn das Gemeinschaftsrecht eine Herabsetzung des Betriebsstättensteuersatzes auf ―wie dies die Klägerin begehrt― 30 v.H. gebietet, ist die Revision in vollem Umfang begründet.
B. Vereinbarkeit des Betriebsstättensteuersatzes mit dem Gemeinschaftsrecht
Der beschließende Senat hat Zweifel, ob der Betriebsstättensteuersatz von 42 v.H. mit dem Recht der Klägerin auf freie Niederlassung vereinbar ist. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Art. 52 und 58 EGV legt den Schluss nahe, dass der Steuersatz für das Streitjahr allenfalls 33,5 v.H. betragen darf, um einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht zu vermeiden.
1. Die direkten Steuern und somit auch die Körperschaftsteuer fallen zwar als solche nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft (EuGH-Urteile vom 14. Februar 1995 Rs. C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225, I-249, Randnr. 21; vom 27. Juni 1996 Rs. C-107/94, Asscher, Slg. 1996, I-3089, I-3113, Randnr. 36). Dies schließt einen Verstoß von Regelungen des Körperschaftsteuergesetzes gegen Gemeinschaftsrecht aber nicht aus. Die EU-Mitgliedstaaten müssen auch die ihnen verbliebenen Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere unter Berücksichtungen der Grundfreiheiten, ausüben (EuGH-Urteil vom 26. Oktober 1999 Rs. C-294/97, Eurowings Luftverkehr, Slg. 1999, I-7463, I-7473).
2. Der Klägerin steht gemäß Art. 58 EGV das Recht auf freie Niederlassung (Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 52 EGV) für das Streitjahr zu. Sie erfüllte im Streitjahr die Voraussetzungen des Art. 58 EGV, da sie eine nach den Rechtsvorschriften eines EU-Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft ist (konkret: eine juristische Person des privaten Rechts), sich auch im Streitjahr ihr satzungsmäßiger Sitz in Luxemburg befand und sie sowohl durch die Tätigkeit ihrer Zweigniederlassung in Deutschland als auch durch ihre Tätigkeit im Sitzstaat Erwerbszwecke verfolgte.
3. Gemäß Art. 52 EGV, der nach Ablauf der Übergangszeit (Art. 8 EGV) und somit auch im Streitjahr in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwenden ist, umfasst die Niederlassungsfreiheit bei Gesellschaften i.S. des Art. 58 EGV das Recht, ihre Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet eines anderen EU-Mitgliedstaates ohne Beschränkungen aufgrund ihres satzungsmäßigen Sitzes, ihrer Hauptverwaltung oder ihrer Hauptniederlassung durch Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften auszuüben (EuGH-Urteile vom 28. Januar 1986 Rs. 270/83, Kommission/ Frankreich -avoir fiscal-, Slg. 1986, 273, Randnr. 13, 14, 18; vom 29. April 1999 Rs. C-311/97, Royal Bank of Scotland, Slg. 1999, I-2664, Randnr. 22, 23).
Da Art. 52 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 58 EGV den Gesellschaften ausdrücklich das Recht einräumt, die für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat geeignete Rechtsform frei zu wählen, darf diese Wahlfreiheit nicht durch diskriminierende steuerrechtliche Bestimmungen eingeschränkt werden (EuGH-Urteile in Slg. 1986, 273, 285, Randnr. 22; vom 13. Juli 1993 Rs. C-330/91, Commerzbank, Slg. 1993, I-4017, I-4038, Randnr. 14). Steuerrechtliche Bestimmungen eines EU-Mitgliedstaats, durch die Zweigniederlassungen ausländischer EU-Gesellschaften i.S. des Art. 58 EGV ohne rechtfertigenden Grund unterschiedlich und ungünstiger als inländische Gesellschaften behandelt werden, verstoßen daher gegen die Niederlassungsfreiheit (EuGH-Urteile vom 21. September 1999 Rs. C-307/97, Saint-Gobain ZN, Slg. 1999, I-6161, I-6181, Randnr. 43 bis 45; in Slg. 1999, I-2664, Randnr. 28 bis 34).
4. Gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und § 2 Nr. 1 KStG a.F. wird die Klägerin aufgrund ihres Sitzes und ihrer Geschäftsleitung in Luxemburg hinsichtlich ihrer deutschen Zweigniederlassung anders und ungünstiger behandelt als wenn sie ihre Erwerbstätigkeit in Deutschland in der Rechtsform einer GmbH oder Aktiengesellschaft mit Sitz und/oder Geschäftsleitung in Deutschland (= inländische Tochtergesellschaft) ausgeübt hätte.
Ein im Streitjahr durch eine inländische Tochtergesellschaft erzielter Gewinn wäre im Fall der Vollausschüttung an die Klägerin nicht mit 42 v.H., sondern höchstens mit 33,5 v.H. deutscher Körperschaftsteuer belastet worden. Dies ergibt sich aus folgenden Regelungen des KStG a.F. und des EStG 1994:
a) Inländische Tochtergesellschaften sind aufgrund ihres Sitzes und/oder ihrer Geschäftsleitung in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG a.F.). Die Körperschaftsteuer auf die von ihnen im Streitjahr erzielten Gewinne beträgt im Fall der Ausschüttung der Gewinne ohne vorherige Thesaurierung 30 v.H. des Gewinns vor Abzug der Körperschaftsteuer (§ 27 Abs. 1 KStG a.F.). Steuerpflichtige und damit Schuldnerin der Steuer ist die ausschüttende Tochtergesellschaft.
Wurde der Gewinn bis zum Ablauf des 30. Juni 1996 an die ausländische EU-Mutterkapitalgesellschaft ausgeschüttet, wird auf die Ausschüttung eine zusätzliche Körperschaftsteuer in Form der Kapitalertragsteuer erhoben. Diese beträgt grundsätzlich 5 v.H. des Ausschüttungsbetrages (Ausschüttungsbetrag = 70/100 des Gewinns vor Abzug der Steuer von 30 v.H.). Schuldnerin der Kapitalertragsteuer ist die Muttergesellschaft als Gläubigerin des Gewinnausschüttungsanspruchs (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44 Abs. 1 Satz 1, § 44d Abs. 1 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1, § 50 Abs. 1 Nr. 2 KStG a.F.).
Die Belastung des Gewinns mit deutscher Körperschaftsteuer beträgt somit im Fall der Vollausschüttung bis zum Ablauf des 30. Juni 1996 und ohne vorherige Thesaurierung insgesamt 33,5 v.H. des Gewinns vor Abzug der Körperschaftsteuer (30 v.H. auf den Gewinn vor Abzug der Steuer + 5 v.H. auf 70/100 des Gewinns vor Abzug der Steuer).
b) Wurde der Gewinn thesauriert, beträgt die Körperschaftsteuer 45 v.H. des Gewinns vor Abzug der Steuer (§ 23 Abs. 1 KStG a.F.). Im Fall einer späteren Ausschüttung minderte sich die Körperschaftsteuerbelastung nachträglich auf 33,5 v.H. des Gewinns vor Abzug der Steuer, wenn die Gewinnausschüttung der Muttergesellschaft bis zum Ablauf des 30. Juni 1996 zufloss (§ 27 Abs. 1 KStG a.F. und § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 44d Abs. 1 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1 KStG a.F.).
c) Falls der Gewinn erst nach dem 30. Juni 1996 an die EU-Mutterkapitalgesellschaft ausgeschüttet wurde, minderte sich die Steuerbelastung von ―aufgrund der Thesaurierung― zunächst 45 v.H. auf 30 v.H. des Gewinns vor Abzug der Steuer, da in diesem Fall auf Antrag die Kapitalertragsteuer nicht erhoben wurde (§ 44d Abs. 1 Satz 3 EStG 1994 i.V.m. § 49 Abs. 1 KStG a.F.).
5. Der Nachteil des höheren Betriebsstättensteuersatzes wird weder durch für die Klägerin günstigere Gewinnermittlungsregelungen noch dadurch ausgeglichen, dass die Körperschaftsteuerbelastung des von einer inländischen Tochtergesellschaft thesaurierten Gewinns bis zur Ausschüttung 45 v.H. beträgt und somit höher als die des Betriebsstättengewinns ist.
a) Der Gewinn, den eine inländische Tochtergesellschaft durch ihre Erwerbstätigkeit in Deutschland erzielt, wird nach den gleichen Vorschriften wie der Betriebsstättengewinn der Klägerin ermittelt (§ 5 Abs. 1 EStG 1994 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG a.F.). Allerdings dürfen bei der Gewinnermittlung der Tochtergesellschaft Vereinbarungen mit der Muttergesellschaft steuerrechtlich berücksichtigt werden, soweit sie einem Fremdvergleich standhalten. Gewährte die Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft z.B. ein fremdüblich zu verzinsendes Darlehen, erhöhen die von der Muttergesellschaft zu leistenden Zinsen den Gewinn der Tochtergesellschaft. Die Berücksichtigung von Vereinbarungen zwischen Tochter- und Muttergesellschaft kann somit dazu führen, dass bei im Übrigen gleichen Bedingungen der Gewinn der Tochtergesellschaft höher als der Betriebsstättengewinn ist. Generell ist dies jedoch nicht der Fall. Je nach Art und Inhalt der gestaltbaren Vereinbarungen kann deren Berücksichtigung bei der Gewinnermittlung vielmehr auch dazu führen, dass der Gewinn der Tochtergesellschaft bei im Übrigen gleichen Bedingungen geringer als der Betriebsstättengewinn ist, z.B. dann, wenn die Muttergesellschaft die Tochtergesellschaft durch zu verzinsende Gesellschafterdarlehen statt durch Zuführung von Eigenkapital finanziert und der Zinsaufwand den Gewinn der Tochtergesellschaft mindert (s. dazu auch EuGH-Urteil vom 12. Dezember 2002 Rs. C-324/00, Lankhorst-Hohorst GmbH gegen Finanzamt Steinfurt, Internationales Steuerrecht ―IStR― 2003, 55). Die für die Klägerin geltenden deutschen Gewinnermittlungsregelungen sind somit nicht grundsätzlich günstiger als die von einer inländischen Tochtergesellschaft zu beachtenden.
b) Der Betriebsstättensteuersatz gilt für den gesamten Betriebsstättengewinn, unabhängig davon, ob die dem Gewinn entsprechenden Aktiva an das Stammhaus transferiert oder der Betriebsstätte belassen und somit bei ihr "thesauriert" werden. Die Körperschaftsteuerbelastung des bei einer inländischen Tochtergesellschaft thesaurierten Gewinns beträgt dagegen im Streitjahr 45 v.H. (Thesaurierungssteuersatz) und ist somit um 3 %-Punkte höher als die des Betriebsstättengewinns. In der Besteuerungspraxis war dies jedoch weitgehend bedeutungslos. Denn die höhere Belastung aufgrund des Thesaurierungssteuersatzes konnte vermieden werden, indem die inländische Tochtergesellschaft ihren Gewinn an die Muttergesellschaft ausschüttete, wodurch sich die Steuerbelastung auf 33,5 bzw. 30 v.H. minderte (s. oben II.B.4.). In der Praxis wurde in der Regel von dieser wirtschaftlich vorteilhaften Möglichkeit Gebrauch gemacht (s. Rädler/Lausterer, Der Betrieb ―DB― 1994, 699). Benötigte die Tochtergesellschaft die Gewinne zur Finanzierung ihrer Geschäftstätigkeit, wurden ihr die Gewinne abzüglich der zu entrichtenden Steuern von der Muttergesellschaft wieder als Eigenkapital oder als Gesellschafterdarlehen zur Verfügung gestellt.
6. Nach Auffassung des beschließenden Senats ist es zweifelhaft, ob es Rechtfertigungsgründe für die Steuersatzunterschiede zu Lasten der Klägerin gibt.
a) Der Zweck und die Wirkungsweise des bis 2001 geltenden deutschen Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahrens schließen die Vergleichbarkeit des für Ausschüttungen geltenden Steuersatzes mit dem Betriebsstättensteuersatz nicht aus. Sie rechtfertigen es auch nicht, dass die Betriebstättengewinne ausländischer EU-Kapitalgesellschaften höher als die Gewinne inländischer Tochtergesellschaften besteuert werden.
Wesentlicher Zweck des Anrechnungsverfahrens (§§ 27 f. KStG a.F.) ist es, die steuerliche Mehrfachbelastung des Gewinns unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtiger Kapitalgesellschaften zu vermeiden, die eintritt, wenn der Gewinn von den Gesellschaften und zusätzlich in Form der Ausschüttung auch noch von den in Deutschland unbeschränkt körperschaft- oder einkommensteuerpflichtigen Anteilseignern zu versteuern ist. Vermieden wird diese Mehrfachbelastung während der Geltung des Anrechnungsverfahrens dadurch, dass die auf der Ebene der Gesellschaft erhobene Körperschaftsteuer von 30 v.H. des ausgeschütteten Gewinns (§ 27 Abs. 1 KStG a.F.) auf die Körperschaft- oder Einkommensteuerschuld des unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigners angerechnet wird (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1994 ggf. i.V.m. § 49 Abs. 1 KStG a.F.). Die Körperschaftsteuer hat somit wirtschaftlich die Wirkung einer Vorauszahlung auf die Steuerschuld des anrechnungsberechtigten Anteilseigners. Sie ist keine Endbelastung. Diese ergibt sich für den anrechnungsberechtigten Anteilseigner erst aus dem für ihn geltenden Einkommen- oder Körperschaftsteuersatz. Die Besteuerung des Betriebsstättengewinns gemäß § 23 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und § 2 Nr. 1 KStG a.F. führt dagegen zu einer Endbelastung mit deutscher Körperschaftsteuer.
Dieser Unterschied würde die Vergleichbarkeit des Betriebsstättensteuersatzes mit dem für Ausschüttungen geltenden Steuersatz von 30 v.H. ausschließen und könnte die voneinander abweichenden Steuersätze rechtfertigen, falls der Steuersatz von 30 v.H. lediglich auf Gewinnausschüttungen anzuwenden wäre, die einem unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner zufließen und die ―unabhängig von der Höhe des Kapitalertragsteuersatzes― vom Anteilseigner in Deutschland nach dem für ihn geltenden Einkommen- oder Körperschaftsteuersatz zu versteuern sind. § 27 Abs. 1 KStG a.F. enthält jedoch keine derartige Einschränkung. Der Ausschüttungssteuersatz von 30 v.H. gilt auch für Gewinnausschüttungen inländischer Tochtergesellschaften an ihre nur beschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Muttergesellschaften (s. oben II.B.4.) Entgegen der Auffassung des FA besteht folglich keine sachliche Kongruenz zwischen dem Ausschüttungssteuersatz und der Besteuerung der Ausschüttung beim Anteilseigner.
b) Auch die geringeren Steuereinnahmen bei Anwendung eines niedrigeren Betriebsstättensteuersatzes rechtfertigen keine Ungleichbehandlung aufgrund des satzungsmäßigen Sitzes und der Geschäftsleitung in einem anderen EU-Mitgliedstaat (EuGH-Urteil vom 21. September 1999 Rs. C-307/97, Saint-Gobain ZN, Slg. 1999, I-6161, I-6181, Randnr. 51).
c) Dass die Klägerin die höhere Besteuerung des Betriebsstättengewinns hätte vermeiden können, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit in Deutschland durch eine inländische Tochtergesellschaft ausgeübt hätte, ist ebenfalls kein Rechtfertigungsgrund (EuGH-Urteil in Slg. 1986, 273, 285, Randnr. 22).
d) Die höhere Besteuerung des Betriebsstättengewinns lässt sich auch nicht mit einer zusätzlichen Besteuerung der Dividenden in Luxemburg rechtfertigen. Die (Schachtel-)Dividenden, die eine luxemburgische Muttergesellschaft von ihrer deutschen Tochtergesellschaft erhält, werden ebenso wie die durch eine deutsche Betriebsstätte einer luxemburgischen Kapitalgesellschaft erzielten Gewinne von der Bemessungsgrundlage der luxemburgischen Körperschaftsteuer ausgenommen (Art. 13 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Satz 3 bzw. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 DBA-Luxemburg).
7. Falls der Betriebstättensteuersatz von 42 v.H. gegen Art. 52 i.V.m. Art. 58 EGV verstößt, könnte es zur Beseitigung des Verstoßes möglicherweise ausreichen, wenn der Betriebsstättensteuersatz für das Streitjahr auf 33,5 v.H. herabgesetzt wird.
Die dem Betriebsstättengewinn entsprechenden Vermögensmehrungen erzielte die Klägerin im Laufe des Streitjahres. Sie konnte über den Gewinn bereits bei Ablauf des Streitjahres verfügen. Daher befand sich die Klägerin hinsichtlich der Verfügungsmöglichkeit über den Gewinn objektiv in einer Situation, die der einer ausländischen EU-Mutterkapitalgesellschaft vergleichbar ist, die ihre inländische Tochtergesellschaft während des Streitjahres zu Vorabgewinnausschüttungen oder unmittelbar nach Ablauf des Streitjahres zu einer Vollausschüttung des Gewinns veranlasste (s. Dautzenberg, Finanz-Rundschau 2001, 585). Die Körperschaftsteuerbelastung des ausgeschütteten Gewinns hätte in diesem Fall 33,5 v.H. betragen (s. oben II.B.4.a und b).
8. Entgegen der Auffassung der Klägerin lassen sich, wie bereits das FG-Urteil zeigt, die vorgelegten Rechtsfragen aufgrund der bisherigen EuGH-Rechtsprechung nicht völlig zweifelsfrei beantworten (s. auch Saß, DB 1992, 857; ders., Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1999, 164; Herzig/Dautzenberg, DB 1997, 8; Schön, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht 2000, 281). Insbesondere kann die EuGH-Entscheidung in Slg. 1999, I-2664 nicht unmittelbar auf den Streitfall übertragen werden (a.A. Kaefer, Internationale Wirtschafts-Briefe Fach 3a Gruppe 1 S. 953, 955; Lausterer, IStR 2001, 212). Das seinerzeit zu beurteilende Steuerrecht Griechenlands sah vor, dass auf Gewinne von Gesellschaften mit Sitz in Griechenland zwei unterschiedlich hohe Steuersätze Anwendung finden konnten, Einkünfte aus griechischen Betriebsstätten ausländischer Unternehmen jedoch stets dem höheren Steuersatz unterlagen. Dagegen sind nach dem im Streitfall zu beurteilenden deutschen Steuerrecht Betriebsstätten ausländischer EU-Kapitalgesellschaften nur dann benachteiligt, wenn man bei dem zum Vergleich herangezogenen deutschen Unternehmen eine Vollausschüttung des Gewinns als Regelfall ansieht, da der Thesaurierungssteuersatz sogar mehr als 42 v.H. beträgt.
III. Aussetzung des Revisionsverfahrens
Das Revisionsverfahren wird in entsprechender Anwendung der §§ 74, 121 der Finanzgerichtsordnung bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des EuGH über die vorgelegten Rechtsfragen ausgesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 943722 |
BFH/NV 2003, 1128 |
BStBl II 2003, 669 |
BFHE 1974, 265 |
BFHE 2004, 265 |
BFHE 202, 265 |
BB 2003, 1417 |
DB 2003, 1418 |
DStR 2003, 1200 |
DStRE 2003, 960 |
HFR 2003, 797 |