Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO und Art.3 § 7 VGFGEntlG
Leitsatz (NV)
1. Der Zulässigkeit eines Aussetzungsantrages beim FG steht nicht entgegen, daß der Antragsteller gegen eine ablehnende Entscheidung des FA zunächst Beschwerde erhoben hat.
2. Die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde in einem vorangegangenen Verfahrensabschnitt eröffnet nach Art.3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFGEntlG den Weg zum FG.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, §§ 132, 155; VGFGEntlG Art.3 § 7; ZPO § 575
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erhob gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1983 bis 1985 Einspruch. Die gleichzeitig beantragte Aussetzung der Vollziehung der Änderungsbescheide lehnte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) mit Verfügung vom 7. Mai 1991 ab. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit der Beschwerde vom 10. Mai 1991, über die noch nicht entschieden ist.
Mit Schriftsatz vom 27. Juni 1991 stellte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Änderungsbescheide für die Streitjahre.
In der Hauptsache wies das FA die Einsprüche mit Einspruchsentscheidungen vom 1. August 1991 als unbegründet zurück. Die dagegen gerichtete Klage ist noch beim FG anhängig.
Das FG verwarf den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unzulässig. Zur Begründung führte es aus, nach Art.3 § 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) sei ein Antrag an das Gericht auf Aussetzung der Vollziehung nur zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Antrag nach § 69 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Zwar enthalte die Verfügung des FA vom 7. Mai 1991 eine Ablehnung. Diese sei jedoch nicht endgültig. Sie stehe noch zur Disposition der Finanzbehörde, da über die vom Antragsteller erhobene Beschwerde noch nicht entschieden sei. Finanzbehörde sei insoweit auch die Oberfinanzdirektion (OFD) als Beschwerdeinstanz. Erst deren Ablehnung eröffne den Zugang zum Gericht.
Es könne offenbleiben, ob der Antrag nicht auch deshalb unzulässig sei, weil während der Rechtshängigkeit des Aussetzungsantrags die Einspruchsentscheidungen erlassen worden seien.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde. Er macht geltend, die vom FG vertretene Auffassung gehe über das Wesen des Art.3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFGEntlG hinaus. Es könne ihm nicht zugemutet werden, dem ,,rechtzeitig gewährten Recht" zu entsagen, bis die OFD eine Entscheidung träfe. Das FA habe bereits zu erkennen gegeben, daß es der Beschwerde nicht abhelfen könne. Daraus sei zu schließen, daß die ablehnende Verfügung des FA von diesem als bindend angesehen werde. Entsprechend verhalte es sich auch, indem es gegen ihn Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 FGO kann auf Antrag auch das Gericht der Hauptsache oder der Vorsitzende die Vollziehung des angefochtenen Bescheids unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Satz 2 bis 6 FGO ganz oder teilweise aussetzen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dies gilt allerdings nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art.3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFGEntlG.
Danach ist ein Antrag an das Gericht auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO nur zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Antrag nach § 69 Abs. 2 FGO ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Eine solche Ablehnung enthält das Schreiben des FA vom 7. Mai 1991.
a) Entgegen der Auffassung des FG fordert Art.3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFGEntlG nicht, daß nach der Ablehnung durch das FA auch noch das eingeleitete Beschwerdeverfahren erfolglos durchgeführt worden ist (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. März 1981 VI B 94/79, BFHE 132, 516, BStBl II 1981, 440, und vom 9. April 1987 IV S 11/86, BFH/NV 1988, 45; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 69 Anm.75; List in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 69 FGO Rz.48; Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 69 FGO Tz.26; Haarmannin Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz.12734; Beermann in Deutsches Steuerrecht - DStR - 1986, 252, 257).
Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift. Art.3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFGEntlG setzt nämlich die Ablehnung eines Aussetzungsantrags durch die zuständige Finanzbehörde i.S. des § 69 Abs. 2 FGO voraus. Die zuständige Finanzbehörde i.S. des § 69 Abs. 2 FGO ist die Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, hier also das FA (Koch in Gräber, a.a.O., § 69 Anm.135). Dies entspricht der inhaltsgleichen Regelung des § 361 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), die von § 69 Abs. 2 FGO nach Klageerhebung abgelöst wird (BFHE 132, 516, BStBl II 1981, 440; Koch in Gräber, a.a.O., § 69 Anm.127; Tipke/Kruse, a.a.O., § 361 AO 1977). Nach § 361 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ist zur Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung die Finanzbehörde zuständig, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Das ist das FA und nicht etwa, wie das FG annimmt (auch) die für die Beschwerdeentscheidung zuständige OFD.
Für diese Auffassung spricht auch der Zusammenhang mit den in Art.3 § 7 Abs. 1 Satz 2 VGFGEnltG aufgezählten Sonderfällen, bei denen die vorläufige Durchführung eines Beschwerdeverfahrens ohnehin nicht in Betracht kommt (BFHE 132, 516, BStBl II 1981, 440), und die Gesetzesbegründung, nach der die Ablehnung durch die Finanzbehörde als Zugangsvoraussetzung ausreichen soll. Daß die Vorschrift des Art.3 § 7 VGFGEntlG seit ihrer Einführung im Jahre 1978 trotz der seither vorgenommenen Änderungen des Gesetzes - zuletzt durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (BGBl I, 2809) - unverändert geblieben ist, zeigt, daß der Gesetzgeber eine weitere Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes durch die FG nicht für erforderlich erachtet hat.
b) Der Zulässigkeit des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung an das FG steht auch nicht entgegen, daß die Ablehnung des entsprechenden Antrags durch das FA vor Ergehen der Einspruchsentscheidungen erfolgte. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH genügt eine einmalige Ablehnung durch die Finanzbehörde. Der Steuerpflichtige muß sich nicht in jedem Verfahrensabschnitt erneut an das FG wenden (vgl. BFH‹Beschlüsse vom 22.Oktober 1980 I S 1/80, BFHE 131, 455, BStBl II 1981, 99; vom 5. Mai 1981 VIII B 26/80, BFHE 133, 285, BStBl II 1981, 574; vom 8. Juni 1982 VIII B 29/82, BFHE 136, 67, BStBl II 1982, 608; ebenso List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 69 FGO Rz.48, 49; Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Tz.17, a.A. Haarmann in Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a.a.O., Tz.12733; Koch in Gräber, a.a.O., § 69 Anm.72).
2. Die Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Entscheidung (zur Zulässigkeit vgl. BFH-Beschlüsse vom 8. Juli 1980 VII B 18/80, BFHE 131, 12, BStBl II 1980, 657; vom 28. Oktober 1981 I B 69/80, BFHE 134, 239, BStBl II 1982, 135; BFHE 136, 67, BStBl II 1982, 608; vom 30. April 1987 V B 86/86, BFHE 149, 437, BStBl II 1987, 502) ist geboten, weil das FG den Antrag aus formellen Gründen zurückgewiesen hat (vgl. Ruban in Gräber, a.a.O., § 132 Anm.10).
Fundstellen
Haufe-Index 418326 |
BFH/NV 1993, 375 |