Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG
Leitsatz (NV)
1. Eine bloß fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles reicht zur Revisionszulassung wegen eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers nicht aus.
2. Die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ist ausgeschlossen, wenn dem Ersterwerber trotz Aufhebung des zunächst abgeschlossenen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts die Möglichkeit der Verwertung der ihm aus dem ursprünglichen Erwerbsvorgangs herzuleitenden Rechtsposition verblieben war und der Ersterwerber diese Rechtsposition im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung auch tatsächlich ausgeübt und hierbei im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse gehandelt hat.
3. Ein Handeln des Ersterwerbers im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse ist gegeben, wenn dieser im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung des Grundstücks als Zwischenhändler auftritt und im Ergebnis selbst wie ein Veräußerer das Grundstück an einen Dritten weiterverkaufen lässt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; GrEStG § 16 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 20.10.2005; Aktenzeichen 1 K 1034/02) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erwarb mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 19. April 2000 von dem Verkäufer ein Grundstück in X zu einem Kaufpreis von 4 850 000 DM. Eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Klägerin wurde beantragt, aber nicht eingetragen. Die Klägerin verkaufte das Grundstück durch Vertrag vom 5. Mai 2000 an A und dessen Vater B (Zweiterwerber) zu einem Kaufpreis von 5 612 500 DM; dabei handelte A kraft mündlich erteilter Vollmacht für B Dieser Kaufvertrag wurde in der Folgezeit von A wegen unwissentlicher Überschreitung seiner Vertretungsmacht angefochten. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 24. Mai 2000 veräußerte der Verkäufer das Grundstück zu einem Kaufpreis von 5 300 000 DM an die Zweiterwerber. Sodann hoben der Verkäufer und die Klägerin durch weiteren notariell beurkundeten Vertrag vom 24. Mai 2000 den Grundstückskaufvertrag vom 19. April 2000 auf. Die Aufhebungsvereinbarung erfolgte unter der auflösenden Bedingung, dass der neue Kaufvertrag zwischen dem Verkäufer und den Zweiterwerbern endgültig unwirksam bleibt, aufgelöst wird bzw. endgültig nicht zur Durchführung gelangt. Zugleich bewilligten und beantragten der Verkäufer und die Klägerin die Löschung der aufgrund des Kaufvertrages vom 19. April 2000 zugunsten der Klägerin bewilligten Auflassungsvormerkung. Am 25. Mai 2000 schloss die Klägerin mit den Zweiterwerbern vor demselben Notar einen Makler- und Geschäftsbesorgungsvertrag. In diesem verpflichteten sich die Zweiterwerber zur Zahlung eines Entgelts von 312 500 DM an die Klägerin für die Beschaffung und Vermittlung des Grundstücks sowie für Geschäftsbesorgungen der Klägerin im Zusammenhang mit auf dem Grundstück durchzuführenden Baumaßnahmen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte durch Bescheid vom 28. Juni 2000 Grunderwerbsteuer für den Erwerbsvorgang vom 19. April 2004 in Höhe von 169 750 DM gegen die Klägerin fest. Der auf § 16 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) gestützte Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte zur Begründung aus: Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG seien nicht erfüllt, weil der Vertrag vom 19. April 2000 nicht tatsächlich rückgängig gemacht worden sei. Nach der Abfolge der am 24. Mai 2000 beurkundeten Verträge sei der Verkäufer bei Abschluss des Grundstückskaufvertrags mit den Zweiterwerbern wegen des zu diesem Zeitpunkt noch mit der Klägerin bestehenden Grundstückskaufvertrags vom 19. April 2000 noch nicht wieder in seine ursprüngliche Eigentümerstellung eingerückt gewesen. Die Klägerin sei, wie schon der Abschluss des Makler- und Geschäftsbesorgungsvertrags vom 25. Mai 2005 zeige, als Zwischenhändler aufgetreten und habe ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Weiterveräußerung des Grundstücks durch den Verkäufer an die Zweiterwerber gehabt.
Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin objektive Willkür der Vorentscheidung, Notwendigkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Klägerin hat einen sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehler, der die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) erfordert, nicht schlüssig dargetan. Es kommen insoweit nur offensichtliche materielle oder formelle Fehler des FG im Sinne einer willkürlichen Entscheidung in Betracht (BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz. 68 ff., m.w.N.). Der Beschwerdeführer muss bei Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes substantiiert darlegen, weshalb die Vorentscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 12. Dezember 2002 X B 99/02, BFH/NV 2003, 496; vom 3. November 2005 V B 9/04, BFH/NV 2006, 248).
Derartige Rechtsfehler sind nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Das FG hat seiner Entscheidung zutreffend die Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil vom 16. Februar 2005 II R 53/03, BFHE 209, 158, BStBl II 2005, 495, m.w.N.) zu § 16 GrEStG zugrunde gelegt, wonach für die Tatbestände des § 16 GrEStG über die zivilrechtlich wirksame Aufhebung eines Rechtsvorgangs i.S. von § 1 GrEStG hinaus auch die tatsächliche Rückgängigmachung erforderlich ist. Zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber müssen alle Beziehungen tatsächlicher und rechtlicher Art, die von grunderwerbsteuerlicher Relevanz sind, beseitigt sein. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist das FG für den Streitfall zu dem Ergebnis gelangt, die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG seien nicht erfüllt. Soweit die Klägerin das Fehlen einer "nachvollziehbaren Begründung" und eines "schlüssigen Begründungsbandes" der Vorentscheidung rügt, ist ein qualifizierter Rechtsanwendungsfehler nicht substantiiert dargelegt. Im Übrigen reicht eine bloß fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles zur Revisionszulassung wegen eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers nicht aus (BFH-Beschlüsse vom 4. November 2004 I B 43/04, BFH/NV 2005, 707; vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799).
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist nicht gegeben.
a) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage nach den konkreten Anforderungen, die --ausgehend von den im BFH-Urteil vom 19. März 2003 II R 12/01 (BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770) entwickelten Rechtsgrundsätzen-- an die "Ausnutzung der aus dem Erstkaufvertrag gründenden Rechtsposition" zu stellen sind, verleiht der Sache keine grundsätzliche Bedeutung.
Durch das BFH-Urteil in BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770 ist geklärt, dass die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ausgeschlossen ist, wenn dem Ersterwerber trotz Aufhebung des zunächst abgeschlossenen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts die Möglichkeit der Verwertung der ihm aus dem ursprünglichen Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben war und der Ersterwerber diese Rechtsposition im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung auch tatsächlich ausgeübt und hierbei im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse gehandelt hat.
aa) Für die Entscheidung, ob der Erwerber im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung des Grundstücks die Möglichkeit hatte, eine ihm aus dem ursprünglichen Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition zu verwerten, bedarf es konkreter Feststellungen unter Berücksichtigung des Einzelfalls (BFH-Urteil in BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770). Die einzelfallbezogenen Feststellungen begründen nicht das für die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache erforderliche abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 25, m.w.N.). Es liegt im Übrigen auf der Hand, dass die Klägerin bei Abschluss des Grundstückskaufvertrags vom 24. Mai 2000 zwischen dem Verkäufer und den Zweiterwerbern die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem --zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgehobenen-- Grundstückskaufvertrag vom 9. April 2000 herzuleitenden Rechtsposition hatte. Diese Rechtsposition der Klägerin ist frühestens mit Abschluss der nachfolgenden Aufhebungsvereinbarung vom 24. Mai 2000 entfallen.
bb) Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung ergibt sich auch nicht im Hinblick darauf, dass die zwischen der Klägerin und dem Verkäufer geschlossene Aufhebungsvereinbarung vom 24. Mai 2000 unter einer auflösenden Bedingung stand. Diese auflösende Bedingung konnte allenfalls ein Entfallen der Bindungswirkung der Aufhebungsvereinbarung bewirken; sie ließ jedoch die der Klägerin im Zeitpunkt der Weiterveräußerung des Grundstücks durch den Verkäufer am 24. Mai 2000 noch verbliebene Rechtsposition unberührt.
b) Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage ist auch nicht im Hinblick auf die Anforderungen an das "eigene wirtschaftliche Interesse des Erstkäufers" aufgeworfen. Diese Rechtsfrage lässt sich aus der vorliegenden Rechtsprechung beantworten.
aa) Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG sind nicht erfüllt, wenn der Ersterwerber im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung des Grundstücks als Zwischenhändler auftritt und im Ergebnis selbst wie ein Veräußerer das Grundstück an einen Dritten weiterverkaufen lässt (BFH-Urteil vom 9. März 1994 II R 86/90, BFHE 173, 568, BStBl II 1994, 413). Diese Voraussetzungen liegen dann vor, wenn --wie im Streitfall aufgrund des zwischen der Klägerin und den Zweiterwerbern geschlossenen Makler- und Geschäftsbesorgungsvertrags vom 25. Mai 2000-- der Ersterwerber gegenüber den Zweiterwerbern gegen Entgelt die "Beschaffung und Vermittlung" des Kaufgrundstücks und weitere Geschäftsbesorgungen im Zusammenhang mit dem Grundstückserwerb der Zweiterwerber übernommen hat.
bb) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage nach der Bedeutung des wirtschaftlichen Interesses des Erstkäufers für den Fall, dass der Veräußerer und der Zweiterwerber aus der Aufhebung des Erstkaufes einen "hohen Profit" davontragen, ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig. In der Rechtsprechung (BFH-Urteil in BFHE 173, 568, BStBl II 1994, 413) ist bereits geklärt, dass es im Rahmen des § 16 GrEStG --dem Wesen der Grunderwerbsteuer als Rechtsverkehrsteuer entsprechend-- auf einen wirtschaftlichen Erfolg für den Betroffenen nicht ankommt. Die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit des die Aufhebung des ursprünglichen Erwerbsvorgangs bzw. des die Weiterveräußerung betreffenden Rechtsgeschäfts ist demnach für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ohne Bedeutung.
3. Auch eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) ist nicht erforderlich. Die Klägerin rügt zu Unrecht, das FG sei von dem Urteil des Sächsischen FG vom 29. November 2005 1 K 1197/03 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2006, 364) abgewichen. Eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 (2. Alternative) FGO kann nur vorliegen, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 53). Daran fehlt es vorliegend, weil der Streitfall im Vergleich zu dem dem Urteil des Sächsischen FG in EFG 2006, 364 zugrunde liegenden Sachverhalt den entscheidungserheblichen Unterschied aufweist, dass die Klägerin im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung des Grundstücks gegen Entgelt die "Beschaffung und Vermittlung" des Kaufgrundstücks sowie weitere Geschäftsbesorgungen gegenüber den Zweiterwerbern übernommen hatte.
Fundstellen
Haufe-Index 1621608 |
BFH/NV 2007, 97 |