Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör bei Entscheidung des Gerichts aufgrund mündlicher Verhandlung in Abwesenheit des Rechtsmittelführers
Leitsatz (amtlich)
Die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör erfordert keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Rechtsmittelführers aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden hat.
Normenkette
FGO § 119 Nr. 3, § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b
Verfahrensgang
Tatbestand
A. Vorgelegte Rechtsfrage, Ausgangsverfahren, Anrufungsbeschluss des VIII. Senats, Stellungnahme der Beteiligten
I. Vorgelegte Rechtsfrage
Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Beschluss vom 8. April 1998 VIII R 32/95 (BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676) dem Großen Senat folgende Rechtsfrage vorgelegt:
Erfordert die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör im Urteilsverfahren (§ 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) auch dann (substantiierte) Ausführungen darüber, was der Rechtsmittelführer bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, wenn der Rechtsmittelführer aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen (etwa wegen seiner Erkrankung) an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen konnte oder wenn ihm eine Teilnahme an der in den Räumen des Prozessgegners stattfindenden mündlichen Verhandlung aus gewichtigen Gründen nicht zumutbar war?
II. Ausgangsverfahren
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) ―zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute― erhoben Klage gegen den vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) erlassenen Einkommensteuerbescheid 1985. Sie waren vor dem Finanzgericht (FG) nicht durch einen Bevollmächtigten vertreten. Das FG forderte die Kläger mehrmals erfolglos auf, die noch offenen Klagepunkte zu konkretisieren, setzte aber keine Ausschlussfrist nach § 79b FGO.
Nach Zugang der Ladung zur mündlichen Verhandlung im Hause des beklagten FA beantragten die Kläger, den Termin aufzuheben, weil eine neutrale und objektive Verhandlung im Gebäude des FA nicht möglich sei. Das FG lehnte die beantragte Terminsaufhebung ab, weil ein erheblicher Grund i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht vorliege.
In der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 1994 erschien für die Kläger niemand. Nach Schließung der mündlichen Verhandlung verkündete das FG den Beschluss, dass eine Entscheidung den Beteiligten zugestellt werde. Nach der mündlichen Verhandlung ging beim FG ein Schreiben der Kläger mit einem ärztlichen Attest vom 13. Juni 1994 ein. In dem Schreiben heißt es, die Kläger gingen davon aus, dass ihnen wegen der Krankheit keinerlei Nachteile im Verfahren entstünden. Anderenfalls werde "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" beantragt.
Das FG wies die Klage ab und begründete seine Entscheidung hinsichtlich der Frage der Terminsaufhebung wie folgt:
Soweit die Kläger deswegen eine Terminsaufhebung beantragt hätten, weil die mündliche Verhandlung in den Räumen des FA angesetzt worden sei, fehle es an einer Verhinderung aus objektiven Gründen. Die Verhandlung in den Räumen des FA habe die Kläger nicht gezwungen, zu den für sie zuständigen Bediensteten des FA in behördlichen Kontakt zu treten. Im Übrigen liege die Entscheidung über die Anberaumung eines auswärtigen Termins im Ermessen des zuständigen Richters und sei in § 91 Abs. 3 FGO zum Zweck der Kostenersparnis vorgesehen.
Eine Vertagung wegen Krankheit des Klägers sei ebenfalls nicht geboten gewesen. Die Kläger hätten es an einer pflichtgemäßen und zumutbaren sachlichen Mitwirkung fehlen lassen. Wenn sie die ihnen mehrere Monate gegebene Gelegenheit, Gespräche mit dem FA zu führen oder sich zum Inhalt des Klageverfahrens zu äußern, nicht genutzt hätten, könne die Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung keine Verletzung des rechtlichen Gehörs bedeuten. Aus denselben Gründen sei auch eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht in Betracht gekommen.
Mit der Revision rügen die Kläger unter anderem, das FG habe ihnen das Recht auf Gehör versagt. Es habe zu Unrecht abgelehnt, den Verhandlungstermin zu verlegen und die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Dies komme einem Ausschluss von der mündlichen Verhandlung gleich.
III. Begründung des Vorlagebeschlusses
1. Der VIII. Senat möchte die Vorentscheidung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO) aufheben und die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zurückverweisen. Da die gerügte Gehörverletzung das Gesamtergebnis des Verfahrens betreffe, müssten die Kläger nicht darlegen, was sie in einer mündlichen Verhandlung noch vorgetragen hätten und dass dies die Entscheidung hätte beeinflussen können. Das FG habe den Klägern sowohl durch die Ablehnung der beantragten Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung als auch durch die Ablehnung der beantragten Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör versagt. Hinsichtlich der Begründung wird auf den Vorlagebeschluss in BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676 Bezug genommen.
2. Der VIII. Senat sieht sich an seiner beabsichtigten Entscheidung durch Entscheidungen des I., III., VII., IX. und X. Senats des BFH gehindert, nach denen der Kläger auch dann, wenn die Versagung des rechtlichen Gehörs ―wie beim Ausschluss von der mündlichen Verhandlung― den gesamten Streitstoff erfasst, darlegen muss, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und dass dies die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können (insbesondere Beschlüsse des III. Senats vom 16. Januar 1986 III B 71/84, BFHE 145, 497, BStBl II 1986, 409, unter 2. der Gründe, und vom 12. November 1993 III B 234/92, BFHE 173, 196, BStBl II 1994, 401, unter 1. b der Gründe; ferner Beschluss des VII. Senats vom 12. Juli 1991 VII S 27/91, BFH/NV 1992, 190; Urteil des I. Senats vom 22. Juli 1987 I R 186/83, nicht veröffentlicht ―NV―, und die Beschlüsse des I. Senats vom 21. Oktober 1992 I B 75/92, NV; vom 17. Februar 1993 I B 137/92, NV; vom 18. März 1993 I B 158/92, NV; Beschluss des IX. Senats vom 8. Juni 1994 IX B 12/94, BFH/NV 1995, 130; Beschluss des X. Senats vom 29. Juli 1993 X B 210/92, BFH/NV 1994, 382).
3. Der I. und der IX. Senat haben auf Anfrage des vorlegenden Senats mitgeteilt, dass sie an ihren bisher vertretenen Auffassungen nicht mehr festhalten. Der X. Senat hat der vom vorlegenden Senat beabsichtigten Entscheidung zwar im Ergebnis voll, in der Begründung aber nur teilweise zugestimmt. Der III. und der VII. Senat haben einer Abweichung von ihren o.a. Entscheidungen nicht zugestimmt. Der VIII. Senat hat deshalb gemäß § 11 Abs. 2 und 3 FGO den Großen Senat angerufen. Er stützt seine Vorlage außerdem auf § 11 Abs. 4 FGO.
IV. Stellungnahme der Beteiligten
Die Kläger halten die Auffassung des vorlegenden Senats für zutreffend. Das FA verweist demgegenüber auf die im Vorlagebeschluss zitierte Rechtsprechung des III. und VII. Senats.
Entscheidungsgründe
B. Entscheidung des Großen Senats zu den Verfahrensfragen
I. Mündliche Verhandlung
Der Große Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 11 Abs. 7 Satz 2 FGO). Eine weitere Förderung der Sache ist durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten. Die Beteiligten haben schriftlich Stellung genommen und keine mündliche Verhandlung beantragt.
II. Zulässigkeit der Vorlage
1. Die Vorlage ist gemäß § 11 Abs. 2 und 3 FGO zulässig. Die Auffassung des vorlegenden Senats weicht von der oben (A. III. 2.) zitierten Rechtsprechung anderer Senate des BFH ab. Der III. und der VII. Senat haben auf Anfrage des vorlegenden Senats der Abweichung nicht zugestimmt.
Danach bedarf es keiner Entscheidung, ob sich die Zulässigkeit der Vorlage auch aus § 11 Abs. 4 FGO ergibt.
2. Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich.
a) Bejaht man sie, so ist die Revision der Kläger als unzulässig zu verwerfen, weil es dann an der erforderlichen Darlegung fehlt, welcher Vortrag den Klägern durch die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs abgeschnitten und inwieweit die angefochtene Entscheidung dadurch beeinflusst worden ist. Verneint man hingegen die Vorlagefrage, so hat die Revision Erfolg, weil die Vorentscheidung gegen § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO verstößt.
b) Der Große Senat kann nicht über die Frage entscheiden, ob das FG das rechtliche Gehör der Kläger dadurch verletzt hat, dass es entgegen ihren Anträgen zunächst den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aufgehoben und anschließend die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnet hat. Wäre diese Frage zu verneinen, so wäre die Revision zwar schon deshalb unzulässig und die Entscheidung der Vorlagefrage entbehrlich. Ob das FG das rechtliche Gehör der Kläger verletzt hat, hat indessen ausschließlich der vorlegende Senat zu beurteilen, der seine Auffassung dazu eingehend begründet hat (Vorlagebeschluss in BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, unter C. I. und II. der Gründe). Der Große Senat ist insoweit an die Auffassung des vorlegenden Senats gebunden (vgl. Beschluss des Großen Senats vom 7. August 2000 GrS 2/99, BFHE 192, 339, BStBl II 2000, 632).
C. Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegte Rechtsfrage
I. Bisher in der Rechtsprechung vertretene Auffassungen
1. Rechtsprechung des BFH
Zunächst wird auf die Darstellung unter B. I. des Vorlagebeschlusses (BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676) Bezug genommen.
Der VIII. Senat hat seine im Vorlagebeschluss vertretene Auffassung, dass es Ausnahmen von der unwiderlegbaren Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO gibt, wenn der Verstoß nur einzelne Feststellungen oder bestimmte Verfahrenshandlungen betrifft, mit Beschluss vom 10. Januar 2000 VIII B 71/99 (BFH/NV 2000, 854) bekräftigt. In diesen Fällen ist darzulegen, dass bei Berücksichtigung des übergangenen Antrags oder Vorbringens eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre. Allerdings hat der BFH in der Vergangenheit vereinzelt die unwiderlegbare Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO auch dann zugrunde gelegt (und dementsprechend keine Darlegungen zum abgeschnittenen Vortrag verlangt), wenn die Versagung des rechtlichen Gehörs lediglich einen Einzelpunkt betraf (BFH-Urteile vom 26. Januar 1989 IV R 71/87, BFH/NV 1990, 296; vom 19. Oktober 1993 VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790).
Der III. Senat hat ―in Abgrenzung zum Vorlagebeschluss des VIII. Senats (BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676)― entschieden, dass es zur Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs dann nicht der Darlegung bedarf, was bei einem ordnungsgemäßen Verfahren noch vorgetragen worden wäre, und dass das Urteil auf dem Verfahrensmangel beruhen könne, wenn der Kläger wegen Trennung von Verfahren und der Entscheidung am gleichen Tage über die Klagen eine mündliche Verhandlung nicht mehr beantragen konnte, und er erst wenige Tage vor der Entscheidung des FG erfahren hatte, dass er keinen Prozessbevollmächtigten mehr hatte (Urteil vom 17. Dezember 1998 III R 30/96, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1999, 812; Deutsche Steuerzeitung ―DStZ― 1999, 791, m. Anm. von Bornhaupt).
2. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG)
Das BVerwG hat bei der Anwendung der Vorschrift des § 138 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die § 119 Nr. 3 FGO entspricht, von Anfang an unterschieden zwischen einer Versagung des rechtlichen Gehörs in Bezug auf das Gesamtergebnis des Verfahrens (vgl. Urteil vom 25. November 1955 IV B 109.54, BVerwGE 2, 343) und einer Versagung des rechtlichen Gehörs, die nur einzelne Feststellungen oder Rechtsfragen betrifft (Urteil vom 30. August 1962 VIII C 49.60, BVerwGE 15, 24; Beschlüsse vom 26. Mai 1998 8 B 88.98, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 46, m.w.N.; vom 13. Januar 1999 9 B 90.98, Buchholz, a.a.O., 310, § 133 VwGO Nr. 36).
Wird das rechtliche Gehör nur zu Einzelpunkten versagt, so bleibt das angefochtene Urteil einer materiell-rechtlichen Überprüfung im Revisionsverfahren grundsätzlich zugänglich; die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist unschädlich, wenn der betreffende Punkt für die Entscheidung nicht erheblich sein konnte (Urteile in BVerwGE 15, 24; vom 27. Februar 1992 4 C 42/89, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1992, 2042; Beschluss in Buchholz, a.a.O., 310, § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 46, m.w.N.). Dementsprechend muss der Kläger grundsätzlich darlegen, was er zu diesem Punkt vorgetragen hätte und dass dies die Entscheidung hätte beeinflussen können (Beschlüsse vom 29. September 1976 VII CB 46.76, HFR 1977, 202; vom 31. Juli 1985 9 B 71.85, Buchholz, a.a.O., 310, § 98 VwGO Nr. 28; in Buchholz, a.a.O., 310, § 133 VwGO Nr. 36).
Erfasst die Verletzung des rechtlichen Gehörs hingegen das Gesamtergebnis des Verfahrens, so fehlt nach Auffassung des BVerwG jede Grundlage für eine materiell-rechtliche Entscheidung (Urteile in BVerwGE 2, 343; in BVerwGE 15, 24). Eine solche den gesamten Prozessstoff erfassende Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt auch dann vor, wenn dem Kläger die Teilnahme an der vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung versagt wird (Urteile vom 28. Oktober 1965 VIII C 1.65, BVerwGE 22, 271; vom 25. Januar 1974 VI C 7.73, BVerwGE 44, 307; Beschluss vom 17. Oktober 1997 4 B 161/97, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht ―NVwZ-RR― 1998, 525). Auch in derartigen Fällen braucht der Kläger deshalb zu seinem ihm abgeschnittenen Vortrag und dessen Kausalität für die angefochtene Entscheidung grundsätzlich nichts weiter darzulegen (Urteile vom 10. Dezember 1985 9 C 84/84, NJW 1986, 1057; vom 3. Juli 1992 8 C 58/90, NJW 1992, 3185; Beschlüsse vom 29. September 1994 3 C 28.92, Buchholz, a.a.O., 310, § 108 VwGO Nr. 271; vom 2. November 1998 8 B 162.98, Buchholz, a.a.O., 310, § 108 VwGO Nr. 285; vom 19. Januar 1999 8 B 186.98, Buchholz, a.a.O., 303, § 227 ZPO Nr. 26).
Ausnahmen von diesem Grundsatz hat das BVerwG nur in Fällen gemacht, in denen das rechtliche Gehör im Ergebnis nicht verletzt war (Urteil vom 16. August 1983 9 C 853.80, Buchholz, a.a.O., 310, § 52 VwGO Nr. 26; Beschluss vom 25. November 1991 5 B 129.91, Buchholz, a.a.O., 303, § 227 ZPO Nr. 17).
II. Äußerungen im Schrifttum
1. Steuerrechtliches Schrifttum
Neben der Darstellung im Vorlagebeschluss (BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, unter B. II.) ist auf folgende Beiträge in der Literatur hinzuweisen:
a) Nach der Auffassung von Dänzer-Vanotti (DStZ 1999, 516), der sich Seer (in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 119 FGO Tz. 15, 60) angeschlossen hat, darf für die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen der in § 119 Nr. 3 FGO zum Zweck der Verfahrenskontrolle normierten Kausalitätsvermutung in keinem Fall die Darlegung verlangt werden, was der Kläger noch vorgetragen hätte und dass sein Vortrag die angefochtene Entscheidung hätte beeinflussen können. Zwischen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs in Bezug auf einzelne Feststellungen und einem Gehörverstoß, der den gesamten Streitstoff erfasst, bestünden keine wesentlichen Unterschiede. Nach Auffassung von Seer (a.a.O., Tz. 15 a.E.) kann der BFH die Revision aber dann nach § 126 Abs. 4 FGO zurückweisen, wenn es auf die einzelnen Tatsachenfeststellungen, zu denen der Revisionskläger nicht gehört worden ist, für seine eigene Entscheidung schlechterdings nicht ankommt.
b) Schwarz/Dürr (Finanzgerichtsordnung, § 119 Rz. 45) folgen der Auffassung des vorlegenden Senats.
c) Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann (Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 9986 ff.) halten die Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO für unwiderleglich, wenn einem Beteiligten die Möglichkeit überhaupt verschlossen war, sich zum Gesamtergebnis des Verfahrens zu äußern; hingegen soll es bei Gehörverstößen, die einzelne Feststellungen betreffen, auf deren Erheblichkeit ankommen. Für die Anforderungen an eine entsprechende Verfahrensrüge wird indessen eine solche Unterscheidung nicht gemacht: Die Ursächlichkeit des Fehlers brauche bei absoluten Revisionsgründen (generell) nicht dargelegt zu werden (a.a.O., Tz. 10043).
d) Lange (in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 119 FGO Rz. 99) und Stöcker (in: Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 90 FGO Rz. 50) halten die ―grundsätzlich gebotene― Darlegung, was der Kläger noch vorgetragen hätte und inwieweit dies die Entscheidung hätte beeinflussen können, dann für entbehrlich, wenn das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, obwohl kein entsprechender Verzicht des Klägers vorlag; sie übertragen diesen Gedanken aber nicht auf Fälle, in denen dem Kläger die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung aus anderen Gründen verwehrt war.
e) Beermann (a.a.O., § 119 FGO Rz. 53) hält die Darlegung, was noch vorgetragen worden wäre und inwiefern dieses Vorbringen zu einer anderen Entscheidung hätte führen können, nur dann nicht für erforderlich, wenn einem Beteiligten die Möglichkeit genommen war, sich zu dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu äußern.
f) Nach Auffassung von Bittner (Finanzgerichtsordnung, § 119 Rz. 10) und Rüsken (in: Beermann, a.a.O., § 120 FGO Rz. 204) ist wegen der Vermutung des § 119 Nr. 3 FGO zwar keine Darlegung erforderlich, dass das FG bei Gewährung des versagten Gehörs zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Beide Autoren halten aber die Darlegung für unverzichtbar, was der Kläger bei Gewährung des Gehörs vorgetragen hätte. Nach Rüsken ist der Anspruch auf rechtliches Gehör und die gesetzliche Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO darauf gerichtet, nur mit sachdienlichen Ausführungen gehört zu werden. Die Sachdienlichkeit lasse sich nur beurteilen, wenn der Revisionskläger vortrage, welche Ausführungen er hätte machen wollen.
g) Ziemer/Birkholz (Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1978, § 119 Tz. 10, § 120 Tz. 38) verlangen für die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (ausnahmslos) die Darlegung der Ursächlichkeit des Fehlers, weil nach ihrer Auffassung die Versagung des Gehörs die Aufhebung des angefochtenen Urteils nicht zu begründen vermag, wenn das Urteil weder auf diesem Fehler beruht noch überhaupt beruhen kann.
2. Verwaltungsrechtliches Schrifttum
Auch im verwaltungsrechtlichen Schrifttum wird zwischen Verletzungen des rechtlichen Gehörs in Bezug auf das Gesamtergebnis des Verfahrens und in Bezug auf einzelne Feststellungen unterschieden (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl. 2000, § 138 Anm. 20; Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl. 2000, § 138 Rn. 5; Eyermann/Schmidt, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 11. Aufl. 2000, § 133 Rn. 14). Dementsprechend wird für die Rüge eines Gehörverstoßes die Darlegung, was noch vorgetragen worden wäre und dass die angefochtene Entscheidung durch die Berücksichtigung dieses Vortrags anders hätte ausfallen können, dann als entbehrlich angesehen, wenn der Verstoß das Gesamtergebnis des Verfahrens betrifft (Pietzner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 133 Rn. 41; Kuhla/Hüttenbrink, Der Verwaltungsprozeß, 1998, Rdn. F 160 in Fn. 225; Eyermann/Schmidt, a.a.O.; wohl auch Redeker/von Oertzen, a.a.O., § 139 Rn. 14; unklar hingegen Kopp/Schenke, a.a.O., § 138 Anm. 20 und § 139 Anm. 15).
III. Auffassung des Großen Senats
Der Große Senat verneint die vorgelegte Rechtsfrage. Hat das Gericht aufgrund einer verfahrensfehlerhaft ohne den Rechtsmittelführer durchgeführten mündlichen Verhandlung entschieden, so wird die Ursächlichkeit dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs für die angefochtene Entscheidung gemäß § 119 Nr. 3 FGO unwiderlegbar vermutet (unten C. III. 1.). Die Rüge dieses Verfahrensmangels gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) erfordert daher nicht die Darlegung, was der Rechtsmittelführer in der mündlichen Verhandlung noch vorgetragen hätte und inwieweit dies die Entscheidung hätte beeinflussen können (unten C. III. 2.).
1. Nach § 119 Nr. 3 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war. Die Vorschrift stellt eine ausnahmslos ("stets") gültige unwiderlegbare Vermutung auf, dass der Verfahrensmangel für die Entscheidung ursächlich war. Die gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO grundsätzlich erforderliche Prüfung, ob das angefochtene Urteil auf der Rechtsverletzung beruht, hat mithin im Falle der Versagung des rechtlichen Gehörs i.S. von § 119 Nr. 3 FGO ―ebenso wie bei den übrigen in § 119 FGO genannten absoluten Revisionsgründen― zu unterbleiben.
a) Allerdings gilt nach Auffassung der bisherigen Rechtsprechung des BFH und des BVerwG die Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO dann nicht, wenn der Gehörverstoß nur einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte betrifft, die für den Ausgang des Rechtsstreits offensichtlich nicht entscheidungserheblich sind. Insoweit bleibt die revisionsrichterliche Prüfung möglich, ob es auf diesen Einzelpunkt ankommen konnte (vgl. BFH-Urteile vom 30. September 1966 III 70/63, BFHE 87, 60, BStBl III 1967, 25; vom 20. Dezember 1967 III 343/63, BFHE 90, 519, BStBl II 1968, 208; vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208; vom 5. März 1985 VII R 136/81, BFH/NV 1986, 69; vom 11. April 1990 I R 80/89, BFH/NV 1991, 440; Urteile des BVerwG in BVerwGE 15, 24, in Buchholz, a.a.O., 310, § 138 Nr. 3 VwGO Nr. 46).
Die unwiderlegbare Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO gilt hingegen nach Auffassung eines Teils der bisherigen Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 1988 I R 140/87, BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836; BFH-Beschluss vom 20. April 1989 VIII R 296-298/84, BFH/NV 1989, 798; BFH-Urteile vom 16. März 1989 IV R 27/88, BFH/NV 1990, 110, 111; vom 17. November 1989 VI R 38/86, BFH/NV 1990, 650; vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425) und nach Auffassung des BVerwG (s. oben C. I. 2.) uneingeschränkt, wenn der Gehörverstoß das Verfahren insgesamt (den gesamten Prozessstoff) erfasst.
b) Nach Auffassung des Großen Senats gilt die unwiderlegbare Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO jedenfalls dann uneingeschränkt, wenn ein Gericht das rechtliche Gehör verletzt, weil es verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung entscheidet.
aa) Dies folgt zunächst aus dem systematischen Zusammenhang der Regelung des § 119 Nr. 3 FGO mit den Vorschriften des § 119 Nr. 4 und 5 FGO.
(1) Nach § 119 Nr. 4 FGO liegt ein weiterer absoluter Revisionsgrund dann vor, wenn ein Beteiligter nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war. Diese Norm überschneidet sich mit § 119 Nr. 3 FGO (Seer, in: Tipke/Kruse, a.a.O., § 119 FGO Tz. 62; Lange, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 119 FGO Rz. 103). Sieerfasst nach der Rechtsprechung weitere Fallgestaltungen, in denen der Kläger oder sein Bevollmächtigter durch verfahrensfehlerhaftes Verhalten des Gerichts gehindert wird, an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen. So sind die Voraussetzungen des § 119 Nr. 4 FGO zum Beispiel dann erfüllt, wenn das FG bei der Ladung zur mündlichen Verhandlung den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dadurch einem Beteiligten die Teilnahme unmöglich macht (Beschluss des BFH vom 27. Januar 1988 IV R 14/86, BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447), wenn das FG ohne den Kläger oder seinen Bevollmächtigten mündlich verhandelt, obwohl der Termin aufgehoben oder seine Verlegung zugesagt war (BFH-Urteil vom 28. November 1990 I R 71/90, BFH/NV 1991, 756) und wenn das FG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, weil es irrtümlich von einem entsprechenden Verzicht der Beteiligten (§ 90 Abs. 2 FGO) ausgeht (BFH-Urteile vom 25. August 1982 I R 120/82, BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46; vom 2. Dezember 1992 II R 112/91, BFHE 169, 311, BStBl II 1993, 194) oder einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 94a Satz 2 FGO übersehen hat (BFH-Urteile vom 11. August 1987 IX R 135/83, BFHE 151, 297, BStBl II 1988, 141; vom 29. August 1996 V R 18/96, BFH/NV 1997, 351). Diese vorrangig von § 119 Nr. 4 FGO erfassten Gehörverstöße entsprechen nach Art und Intensität dem Fall, dass das FG aufgrund einer mündlichen Verhandlung entscheidet, an der teilzunehmen dem Kläger wegen seiner Erkrankung nicht möglich oder aus gewichtigen Gründen nicht zuzumuten war. Deshalb gilt auch für diesen Fall eines Gehörverstoßes i.S. von § 119 Nr. 3 FGO die gesetzliche Kausalitätsvermutung uneingeschränkt.
(2) Bestätigt wird dies durch einen Vergleich der Regelungen des § 119 Nr. 3 und Nr. 5 FGO: Wenn schon die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz so gewichtig ist, dass sie einen uneingeschränkten absoluten Revisionsgrund bildet, so muss dies ebenso gelten, wenn das Gericht aufgrund einer mündlichen Verhandlung entscheidet, obwohl der Kläger nicht daran teilnehmen konnte oder ihm die Teilnahme nicht zumutbar war.
bb) Die einschränkungslose Geltung der Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO für den Fall, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Rechtsmittelführers aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden hat, entspricht auch dem allen absoluten Revisionsgründen gemeinsam zugrunde liegenden Gesetzeszweck.
(1) Die in § 119 FGO (und in § 138 VwGO) in Anlehnung an § 551 ZPO aufgezählten absoluten Revisionsgründe beruhen auf dem Grundgedanken, dass es sich um besonders schwerwiegende Verstöße gegen die Verfahrensordnung handelt (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 119 FGO Tz. 1; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 119 FGO Rz. 4, m.w.N.), das heißt um die Verletzung von "Grundwertungen ordnungsgemäßen Verfahrens" (Wieczorek/ Rössler, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl. 1988, Dritter Band, § 551 ZPO Anm. A), von "rechtsstaatlichen Fundamentalprinzipien" (Roxin, Juristenzeitung 1968, 803, 806). Diese Verstöße betreffen durchweg nicht nur einzelne Prozessakte, sondern das jeweilige Gerichtsverfahren insgesamt (Henckel, Zeitschrift für Zivilprozeß ―ZZP― 77, 1964, 321, 345, m.w.N.).
Absolute Revisionsgründe stehen grundsätzlich "außerhalb jeder Beziehung zum materiellen Inhalt des angefochtenen Urteils", so dass dieses trotz des jeweiligen Verfahrensfehlers "seinem Inhalt nach vollständig richtig sein kann" (Motive zu § 551 CPO 1877, zitiert nach Bettermann, ZZP 88, 1975, 365, 381 f.). Deshalb ist es im Regelfall nicht möglich, die Ursächlichkeit derartiger Verfahrensfehler für das Entscheidungsergebnis festzustellen (Stein/Jonas/Grunsky, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., Band 5/1, 1994, § 551 Rdnr. 1; Wenzel, in: Münchner Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 2. Aufl. 2000, § 551 Rdnr. 1; Dänzer-Vanotti, DStZ 1999, 516, 517). Dem trägt der Gesetzgeber durch die unwiderlegbare Kausalitätsvermutung des § 551 ZPO (und der §§ 119 Nr. 3 FGO, 138 Nr. 3 VwGO) Rechnung und gewährleistet dadurch die sonst nicht mögliche Verfahrenskontrolle (Rimmelspacher, ZZP 84, 1971, 41, 59; Henckel, ZZP 77, 1964, 348 f.; Dänzer-Vanotti, DStZ 1999, 518).
(2) Wird dem Kläger die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verfahrensfehlerhaft versagt, so bildet dieser Gehörverstoß gemäß § 119 Nr. 3 FGO einen besonders schwerwiegenden Mangel, weil die mündliche Verhandlung ―in der Finanzgerichtsbarkeit ebenso wie in den übrigen Gerichtsbarkeiten― regelmäßig den Kern des gerichtlichen Verfahrens bildet, der das Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 FGO) prägt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208; in BFH/NV 1990, 650; in BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425; BVerwG-Urteile in BVerwGE 22, 271; in BVerwGE 44, 307; Beschluss in NVwZ-RR 1998, 525).
Die mündliche Verhandlung ist grundsätzlich immer durchzuführen (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO), es sei denn, dass sie aufgrund von Ausnahmeregelungen (§ 90 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, §§ 90a, 126a FGO) unterbleiben kann. Sie dient insbesondere dazu, den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Für die Finanzgerichtsbarkeit kam dies bereits in der Begründung des Regierungsentwurfs der FGO zum Ausdruck, nach welcher für das Verfahren vor den Finanzgerichten und dem BFH der Rechtsschutz durch die für Gerichtsverfahren typischen Formen verstärkt und damit das rechtliche Gehör uneingeschränkt gewährleistet werden sollte, und zwar insbesondere durch den Grundsatz der mündlichen Verhandlung (BTDrucks IV/1446, S. 36).
Der Zweck der mündlichen Verhandlung besteht außerdem darin, dass das Gericht und die Beteiligten gemeinsam das Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. von § 96 FGO erarbeiten. Der schriftsätzliche Vortrag der Beteiligten (§ 77 Abs. 1 Satz 1 FGO) und die Anordnungen des Vorsitzenden oder Berichterstatters (§§ 79, 79b FGO) dienen grundsätzlich nur der Vorbereitung. In der Verhandlung selbst wird der Prozessstoff in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch das Gericht unter Mitwirkung der Beteiligten durch verschiedene Maßnahmen aufbereitet: Der Vorsitzende oder der Berichterstatter trägt den wesentlichen Inhalt der Akten vor (§ 92 Abs. 2 FGO); die Beteiligten stellen ihre Anträge und begründen sie (§ 92 Abs. 3 FGO); dabei haben sie sich jeweils zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären (§ 76 Abs. 1 Satz 3 FGO). Der Vorsitzende hat die Sache zu erörtern (§ 93 Abs. 1 FGO) und darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden (§ 76 Abs. 2 FGO). Dabei können die übrigen Mitglieder des Gerichts (auch die ehrenamtlichen Richter; vgl. §§ 16 ff. FGO) durch die Ausübung ihres Rechts, Fragen zu stellen, mitwirken (§ 93 Abs. 2 FGO). Auch werden Beweise grundsätzlich in einer mündlichen Verhandlung erhoben (§ 81 Abs. 1 FGO; vgl. auch § 83 FGO).
Nach dieser gesetzlich vorgegebenen Grundstruktur des finanzgerichtlichen Verfahrens dient die mündliche Verhandlung mithin dazu, den Prozessstoff in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu vervollständigen, zu ordnen, zu gewichten und dadurch für das Gericht als Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 FGO) eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Diese Methode, den Prozessstoff zu erfassen und aufzubereiten, ist für die Finanzgerichtsbarkeit, in der es nur eine Tatsacheninstanz gibt, von besonderer Wichtigkeit. Die mündliche Verhandlung gewinnt überdies zusätzlich an Bedeutung, wenn der Kläger nicht durch einen Bevollmächtigten vertreten ist. Aufgrund der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Fürsorgepflicht hat das Gericht Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten zu geben und durch Hinweise den Weg zu zeigen, wie das erstrebte Prozessziel am wirksamsten und einfachsten erreicht werden kann, damit der Erfolg der Klage nicht an der Rechtsunerfahrenheit des Klägers scheitert (BFH-Urteile vom 28. November 1991 XI R 13/90, BFH/NV 1992, 609, m.w.N.; in BFH/NV 1994, 790). Diese Aufgabe vermag das Gericht am besten in der mündlichen Verhandlung zu erfüllen, denn dort ist ein unerfahrener Kläger am ehesten in der Lage, auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts Missverständnisse auszuräumen, Lücken in seinem Vorbringen zu schließen und dieses auf die entscheidungserheblichen Punkte zu konzentrieren.
Diese grundsätzliche Bedeutung der mündlichen Verhandlung für die Erarbeitung des Gesamtergebnisses des Verfahrens wird nicht dadurch eingeschränkt, dass das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen im schriftlichen Verfahren entscheiden kann. Gegen den Willen des Klägers kann die mündliche Verhandlung nur im Revisionsverfahren unterbleiben, wenn der BFH die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 126a FGO; früher Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs). Im Übrigen hängt es im Urteilsverfahren nach § 90 Abs. 2 FGO vom Einverständnis der Beteiligten ab, ob das Gericht von einer mündlichen Verhandlung absehen kann. Auch darf das FG, wenn es den Erlass eines Gerichtsbescheids gemäß § 90a FGO für zweckmäßig hält, einem Kläger, der ersichtlich nicht auf mündliche Verhandlung verzichten will, nicht durch Zulassung der Revision die Möglichkeit nehmen, sein Begehren in einer mündlichen Verhandlung zu erläutern (BFH-Urteil vom 28. Juni 2000 V R 55/98, BFHE 192, 228, BStBl II 2001, 31).
(3) Im Übrigen ist die verfahrensfehlerhafte Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Klägers auch deshalb zu den Gehörverstößen des § 119 Nr. 3 FGO zu rechnen, für die die Kausalitätsvermutung uneingeschränkt gilt, weil dieser Verfahrensfehler ―ebenso wie die übrigen absoluten Revisionsgründe― nicht in einem notwendigen Zusammenhang mit der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung steht und deshalb die Ursächlichkeit des Verstoßes für die Entscheidung regelmäßig nicht überprüfbar ist (s. oben C. III. 1. b bb (1)). Die Auswirkungen des Verfahrensfehlers lassen sich nicht beurteilen, weil im Nachhinein nicht zu rekonstruieren ist, wie sich der Ablauf der mündlichen Verhandlung unter Beteiligung des Klägers dargestellt hätte. Es ist nachträglich nicht mehr feststellbar, wie die Hinweise und die Erörterung durch das Gericht (§ 76 Abs. 2, § 93 Abs. 1 und 2 FGO) sowie die Äußerungen und Gegenäußerungen der Beteiligten ausgefallen wären, insbesondere ob die Beteiligten durch die Erörterung zu weiterem das Ergebnis beeinflussenden Vortrag veranlasst worden wären.
2. Gilt mithin die Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO einschränkungslos, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung entscheidet, so ist für die Rüge dieses Gehörverstoßes nicht die Darlegung erforderlich, was der Kläger im Fall seiner Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte und dass dies die Entscheidung hätte beeinflussen können.
a) Nach § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) muss die Revisionsbegründung, soweit Verfahrensmängel (Gesetzesverletzungen in Bezug auf das Verfahren) gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Das sind diejenigen Prozessvorgänge, die mangelhaft sind (fehlerhaftes Verhalten des Gerichts) oder die den Mangel im Urteil ergeben (BFH-Urteil vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, 119, BStBl II 1969, 84). Wie aus § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO folgt, muss der Revisionskläger grundsätzlich auch darlegen, dass das Urteil des FG auf dem Verfahrensmangel beruht (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteile vom 8. November 1973 V R 130/69, BFHE 110, 493, BStBl II 1974, 219; vom 5. Oktober 1999 VII R 25/98, BFH/NV 2000, 235).
b) Die Darlegung der Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn ein absoluter Revisionsgrund i.S. von § 119 FGO gerügt wird, weil dann die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers kraft Gesetzes unwiderlegbar vermutet wird. Dies gilt auch für Verletzungen des Rechts auf Gehör gemäß § 119 Nr. 3 FGO, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung entscheidet. Für eine ordnungsgemäße Rüge einer solchen Verletzung des § 119 Nr. 3 FGO kann dem Kläger nicht die Darlegung abverlangt werden, was er noch vorgetragen hätte und inwieweit dies das Ergebnis hätte beeinflussen können.
aa) Die in § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) und in § 139 Abs. 2 Satz 2 VwGO geregelten Darlegungsanforderungen entsprechen dem Vorbild des § 554 Abs. 3 ZPO (vgl. BFH-Urteil in BFHE 94, 116, 119, BStBl II 1969, 84). Der dort geregelte Begründungszwang für die Revision im Zivilprozess wurde eingeführt, um das Reichsgericht zu entlasten und insbesondere der seinerzeit verbreiteten Praxis, Revision ohne jede Begründung einzulegen, entgegenzuwirken (Kommissionsbericht über den Entwurf eines Gesetzes betreffend Änderungen der Zivilprozeßordnung, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 11. Legislaturperiode - I. Session 1903/1905, Achter Anlageband 1905, Drucks. 782, S. 4507, 4509). Der Vorschlag beruhte ursprünglich auf dem Gedanken, die Vorarbeit der Richter solle dadurch erleichtert werden, dass diese nicht mehr verpflichtet sein sollten, selbständig die gesamten Akten zu prüfen (Kommissionsbericht, a.a.O., S. 4520). Dem wurde im Gesetzgebungsverfahren entgegengehalten, dass die durch den Begründungszwang erreichbare Erleichterung nicht sehr erheblich sei, weil der Revisionsrichter unter allen Umständen die Akten durchsehen müsse. Immerhin könne die Bestimmung auf eine sorgfältigere Bearbeitung der Revision durch den Vertreter der Partei hinwirken und dadurch zu einer gewissen Erleichterung für den zur Entscheidung berufenen Senat bei der Prüfung der Revision führen (Kommissionsbericht, a.a.O., S. 4539). In der Handhabung der Vorschrift könne man möglichst weitherzig verfahren, damit ein allzu großer Formalismus und Härten vermieden würden (Kommissionsbericht, a.a.O., S. 4514).
bb) Zweck der verfahrensrechtlichen Darlegungsanforderungen ist es mithin, den Prozessstoff aufzubereiten und damit die Prüfung durch das Revisionsgericht zu erleichtern, nicht hingegen, die revisionsgerichtliche Nachprüfung zu unterbinden. Die Regelung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) soll verhindern, dass Revisionen ohne Begründung oder mit bloß floskelhafter Begründung eingelegt werden; die Vorschrift stellt aber keine sachlich nicht gebotenen Formalerfordernisse auf (BFH-Urteil vom 8. Mai 1985 I R 108/81, BFHE 144, 40, BStBl II 1985, 523). Diesem Grundsatz entspricht die ständige Rechtsprechung z.B. dadurch, dass sie dann keine Darlegung der den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen verlangt, wenn diese sich aus dem Urteil selbst ergeben; die Forderung nach ihrer Angabe zusätzlich auch in der Rechtsmittelbegründung würde eine unnötige Förmelei darstellen (BFH-Urteil vom 26. Februar 1985 VII R 137/81, BFH/NV 1986, 136; Beschlüsse vom 24. März 1992 VII B 62/91, BFH/NV 1993, 605; vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597; vom 14. August 2000 VII B 87/00, BFH/NV 2001, 147).
cc) § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) bildet keine Rechtsgrundlage, um dem Kläger die Darlegung der Ursächlichkeit eines absoluten Revisionsgrundes (hier: eines Gehörverstoßes i.S. von § 119 Nr. 3 FGO) für die angefochtene Entscheidung abzuverlangen. Insoweit ist der Zweck des in § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) geregelten Begründungszwangs, dem Revisionsgericht die Prüfung des Streitstoffs durch substantiierte Angaben des Klägers zu erleichtern, von vornherein nicht erfüllbar, weil das Gericht wegen der gesetzlichen Vermutung der Ursächlichkeit keinen Anlass hat, sich mit entsprechenden Ausführungen des Klägers auseinander zu setzen. Die Darlegung, was der Kläger noch vorgetragen hätte und dass dies die Entscheidung beeinflusst hätte, soll dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob die Verletzung des rechtlichen Gehörs für die angefochtene Entscheidung ursächlich war. Sie ist überflüssig, wenn die Ursächlichkeit eines das gesamte Verfahren erfassenden Gehörverstoßes gemäß § 119 Nr. 3 FGO kraft Gesetzes vermutet wird. Wollte man den Kläger zu einer entsprechenden Darlegung verpflichten, obwohl sie für die Sachentscheidung des Revisionsgerichts bedeutungslos ist, so würde der Begründungszwang insoweit nicht mehr der Erleichterung der revisionsrichterlichen Prüfung dienen, sondern ohne sachliche Rechtfertigung den Zugang zur Revisionsinstanz behindern.
Eine solche Erschwerung des Rechtsschutzes wäre nicht nur durch den Wortlaut und den Zweck des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) nicht gedeckt, sondern widerspräche auch dem Grundgedanken, auf dem die Vorschrift des § 119 Nr. 3 FGO beruht. Die Aufnahme der Versagung des rechtlichen Gehörs unter die absoluten Revisionsgründe in § 138 Nr. 3 VwGO und § 119 Nr. 3 FGO ausschließlich für die Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit verdeutlicht, dass nach der gesetzgeberischen Wertung der Verletzung des rechtlichen Gehörs gerade für diese Gerichtsbarkeiten eine herausgehobene Bedeutung zukommt. Im Gesetzgebungsverfahren war man sich dessen bewusst, dass der gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) gebotene gerichtliche Schutz gegenüber hoheitlichen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt zu den Grundlagen der rechtsstaatlichen Ordnung gehört (BTDrucks III/1094, S. 2). Deshalb wurde der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs "dem Wesen des Verwaltungsgerichtsprozesses entsprechend" (BTDrucks I/4278, S. 19, 48) ein im Vergleich zu den anderen Gerichtszweigen größeres Gewicht beigemessen und zu seiner Durchsetzung eine wirksamere Verfahrenskontrolle in Form eines absoluten Revisionsgrundes vorgesehen. Die FGO wurde an diese Regelungen der VwGO angepasst (BTDrucksIV/1446, S. 35).
dd) Eine Überspannung der Darlegungsanforderungen wäre auch mit Art. 19 Abs. 4 GG sowie das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verfassungsrechtlich unvereinbar. Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot, wirksamen Rechtsschutz zu gewähren, ergibt sich eine Pflicht der Fachgerichte, Darlegungsanforderungen, von denen die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes abhängt, nicht sachwidrig zu überspitzen. Soweit durch die Prozessordnungen Rechtsbehelfe vorgesehen sind, verbietet Art. 19 Abs. 4 GG eine Auslegung und Anwendung der Verfahrensvorschriften, die das Beschreiten des eröffneten Rechtswegs in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (Bundesverfassungsgericht ―BVerfG―, Beschlüsse vom 2. Dezember 1987 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275, 284; vom 23. Juni 2000 1 BvR 830/00, NVwZ 2000, 1163). Dem Richter ist es aufgrund des Rechtsstaatsprinzips verwehrt, durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Schranken den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar zu verkürzen (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1991 1 BvR 1324/90, BVerfGE 84, 366, 369 f.). Im Zweifel verdient diejenige Interpretation eines Gesetzes den Vorzug, die dem Bürger den Zugang zu den Gerichten eröffnet (BVerfG, Beschlüsse vom 5. Februar 1963 2 BvR 21/60, BVerfGE 15, 275, 281 f.; vom 31. Juli 2001 1 BvR 1061/00, Juris).
ee) Der Große Senat folgt nicht der vereinzelt in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassung, nach der für die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs zwar keine Darlegung erforderlich ist, dass das angefochtene Urteil auf dem gerügten Mangel "beruht" (§ 119 Nr. 3 FGO), also ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, der Kläger aber gleichwohl darlegen muss, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (BFH-Urteil vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355; Beschlüsse in BFHE 145, 497, BStBl II 1986, 409; vom 21. Juni 1989 II B 15/89, BFH/NV 1990, 174; Bittner, a.a.O., § 119 Rz. 10; Rüsken, in: Beermann, a.a.O., § 120 FGO Rz. 204).
(1) Der Inhalt des Rechts auf Gehör nach § 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG besteht darin, dass die Beteiligten Gelegenheit erhalten müssen, sich zu äußern. Wenn die Verfahrensordnung (hier § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO) eine mündliche Verhandlung vorschreibt und das Gericht eine solche durchführt, dann umfasst das Recht auf Gehör auch den Anspruch, sich in dieser mündlichen Verhandlung zu äußern (BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1976 2 BvR 558/75, BVerfGE 42, 364, unter B. II. 1.; BVerwG, Urteile in BVerwGE 22, 271; in NJW 1986, 1057; in NJW 1992, 3185; Dolderer, Deutsches Verwaltungsblatt 1999, 1019, 1021). Inwieweit sie diese Gelegenheit wahrnehmen, ist Sache der Beteiligten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 1. Juli 1998 IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511, m.w.N.; vom 11. Februar 2000 V B 135/99, BFH/NV 2000, 1107; vom 27. April 2000 VII B 110/99, Juris). Entscheidet das Gericht verfahrensfehlerhaft aufgrund einer mündlichen Verhandlung, an der der Kläger nicht teilgenommen hat, so hatte der Kläger objektiv keine Gelegenheit, sich in der mündlichen Verhandlung zu äußern, sein Recht auf Gehör ist mithin verletzt.
Ob der Kläger, wenn er an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätte, dort etwas hätte vortragen können oder wollen, ist für die eingetretene Verletzung des Rechts auf Gehör unerheblich. Diese Fragestellung befasst sich lediglich damit, ob der Kläger die Gelegenheit zur Äußerung, wenn das Gericht sie ihm eingeräumt hätte, auch wahrgenommen hätte. Sie hat allein Bedeutung für die Prüfung, ob der Gehörverstoß das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst hat. Dies wird, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft ohne den Kläger mündlich verhandelt hat, gemäß § 119 Nr. 3 FGO gesetzlich vermutet und ist deshalb nicht darlegungsbedürftig.
(2) Der Große Senat folgt auch nicht der Auffassung, dass die Darlegung, was der Kläger im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte, stets deshalb erforderlich sei, weil sich das Recht auf Gehör nur darauf beziehe, mit sachdienlichen Ausführungen gehört zu werden (vgl. Rüsken, in: Beermann, a.a.O., § 120 FGO Rz. 204). § 119 Nr. 3 FGO setzt kein sachdienliches Vorbringen der Beteiligten voraus. Im Übrigen würde auch die sachliche Beurteilung des Vorbringens zu Unrecht in die Zulässigkeitsprüfung der Revision vorverlagert. Die Beurteilung des Beteiligtenvorbringens als "nicht sachdienlich" setzt nämlich voraus, dass das Gericht das Vorbringen vor dem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund des Falles untersucht und in der Sache gewürdigt hat.
ff) Ein Beteiligter, der sich bereits außerhalb der mündlichen Verhandlung zu dem (bisherigen) Gesamtergebnis des Verfahrens geäußert hat, braucht im Rahmen seiner Gehörsrüge wegen Versagung einer mündlichen Verhandlung nicht anzugeben, weshalb er darüber hinaus Gehör auch in der mündlichen Verhandlung benötigt habe, insbesondere was er dabei noch hätte ergänzend vortragen wollen (a.M. Rüsken, in: Beermann, a.a.O., § 120 FGO Rz. 209). Das Recht, sich in einer vom Gericht durchgeführten obligatorischen Verhandlung äußern zu können, gilt unabhängig davon, ob die Beteiligten die Möglichkeit zur schriftsätzlichen Vorbereitung genutzt haben (BVerwG in NJW 1986, 1057; in NJW 1992, 3185). Wollte man substantiierte Darlegungen eines Beteiligten verlangen, weshalb er Gehör in der mündlichen Verhandlung benötigt habe, so würde die Grundstruktur des finanzgerichtlichen Verfahrens (mündliche Verhandlung als Grundsatz, schriftliches Verfahren als an besondere Voraussetzungen gebundene Ausnahme) umgekehrt.
gg) Eine andere Beurteilung folgt nicht aus der Notwendigkeit, Fällen prozessualen Missbrauchs und Fällen von Prozessverschleppung zu begegnen. Wie der vorlegende Senat zutreffend ausgeführt hat (Vorlagebeschluss in BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, unter B. III. 2. e), sind die "Hinweginterpretation" der Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO und die Überspannung der Darlegungsanforderungen gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) dafür nicht die geeigneten Mittel. Um Extremfällen vorzubeugen, würde das Verfahrensrecht entgegen den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Wertungen verschärft. Diese Verschärfungen blieben indessen nicht auf die genannten Extremfälle beschränkt, sondern wären generell maßgebend. Im Übrigen bietet das Verfahrensrecht andere wirksame Möglichkeiten, um Missbräuchen zu begegnen: So kann die Ablehnung einer Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung trotz des Vorliegens erheblicher Gründe gemäß § 227 ZPO rechtmäßig sein, wenn der Antrag der Prozessverschleppung dient oder der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten erheblich verletzt hat; Entsprechendes gilt für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Auch verliert der Beteiligte sein Rügerecht, wenn er nicht alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (Vorlagebeschluss in BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, unter B. III. 2. e, m.w.N.).
IV. Entscheidung des Großen Senats
Der Große Senat entscheidet die vorgelegte Rechtsfrage wie folgt:
"Die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör erfordert keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, wenn das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Rechtsmittelführers aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden hat."
Fundstellen
Haufe-Index 645576 |
BFH/NV 2002, 122 |
BStBl II 2001, 802 |
BFHE 196, 39 |
BFHE 2002, 39 |
BB 2001, 2459 |
BB 2002, 770 |
DStRE 2002, 122 |
HFR 2002, 39 |
StE 2001, 691 |