Entscheidungsstichwort (Thema)
Stellung eines ausländischen Zeugen; richterliche Fürsorgepflicht
Leitsatz (NV)
1. Ein im Ausland ansässiger Zeuge ist von der Partei, die dessen Einvernahme beantragt, zu stellen.
2. Ist der zu stellende Zeuge arbeitsfähig, wird aber gleichwohl dem Gericht nicht präsentiert, so verletzt dieses nicht seine Fürsorgepflicht, wenn es nicht auf die Möglichkeit eines Vertagungsantrags hinweist.
3. Das FG verletzt nicht seine Fürsorgepflicht, wenn es eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei nicht besonders auf den Verlust des Rügerechts nach § 295 ZPO hinweist.
4. Aus der Anfrage des Gerichts, ob die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichten, läßt sich nicht auf die Spruchreife schließen.
5. Eine dem Gericht vorgelegte schriftliche Bestätigung eines möglichen Zeugen vermag nicht die Zeugeneinvernahme zu ersetzen.
6. Es besteht für das Gericht keine verfahrensrechtliche Pflicht, einen Beteiligten darauf hinzuweisen, daß sein Vortrag vom Gericht als unglaubwürdig angesehen werden kann.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, § 76; ZPO §§ 139, 278, 295
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerden sind zum Teil unzulässig und zum Teil unbegründet. Sie sind daher insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.
1. Soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) rügen, das Finanzgericht (FG) hätte von sich aus den genannten und im Ausland ansässigen Zeugen vernehmen müssen, ist die Beschwerde unzulässig. Nach § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanz gerichtsordnung (FGO) muß in der Beschwerdeschrift u. a. der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Das Übergehen eines entscheidungserheblichen Beweisantrags kann einen solchen Verfahrensmangel darstellen. Wird jedoch ein Verstoß gegen die Beachtung von Verfahrensvorschriften gerügt, auf die gemäß § 155 FGO i. V. m. § 295 der Zivilprozeßordnung (ZPO) verzichtet werden kann, so setzt die zulässige Rüge des Verfahrensverstoßes die Darlegung in der Beschwerdeschrift voraus, daß der Kläger auf sein Rügerecht nicht verzichtet habe. Zu den verzichtbaren Mängeln gehört u. a. das Übergehen eines Beweisantrages (vgl. z. B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. August 1994 X B 124/94, BFH/NV 1995, 238, m. w. N., und vom 16. Juni 1993 I B 20/93, BFH/NV 1994, 605). Entsprechende Ausführungen fehlen in den Schriftsätzen. Auch läßt sich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung nicht entnehmen, daß der Kläger die unterlassene Zeugeneinvernahme gerügt hat.
Hinzu kommt, daß ein Steuerpflichtiger, der vor dem FG einen Sachverhalt geltend macht, der sich auf Vorgänge außerhalb der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) bezieht, dem FG die erforderlichen Beweismittel präsentieren muß (vgl. BFH- Urteil vom 1. Juli 1987 I R 284--286/83, BFH/NV 1988, 12; BFH-Beschlüsse vom 16. September 1993 IV B 50/93, BFH/NV 1994, 449; vom 8. November 1993 X B 92, 93/93, nicht veröffentlicht -- NV --). Ist er dazu aber -- wegen behaupteter Erkrankung des Zeugen -- nicht in der Lage, so hat er die Nichteinvernahme des Zeugen zu rügen und eine Terminsverlegung zu beantragen, um den Zeugen dem Gericht zu präsentieren.
2. Aus den genannten Gründen hat das FG auch nicht seine Fürsorgepflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO verletzt. Da die Kläger in der mündlichen Verhandung ihre Bereitschaft, den Zeugen zu einem anderen Termin dem Gericht zu stellen, nicht zum Ausdruck gebracht haben, bestand für das FG kein Anlaß, die Kläger auf eine Terminsverlegung hinzuweisen. Zwar ergibt sich aus den von den Klägern im Beschwerdeverfahren vorgelegten Schreiben vom 21. Februar 1996 und 10. April 1996 eine Bereitschaft, den Zeugen zu stellen. Diese Schreiben sind aber zum einen an den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) gerichtet und stammen zum anderen aus der Zeit nach Urteilszustellung. Dem Gericht konnte sich auch keineswegs die Aussagebereitschaft des Zeugen in einem späteren Termin aufdrängen, da dessen Gesundheitszustand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung -- nach eigenen Angaben des Klägervertreters -- wieder so hergestellt war, daß dieser seine Arbeit aufgenommen hatte.
Das FG hat auch seine Fürsorgepflicht nicht dadurch verletzt, daß es die Kläger nicht ausdrücklich auf § 295 ZPO hingewiesen hat, da diese im Klageverfahren durch einen Anwalt vertreten waren (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 29. Juni 1957 IV ZR 88/57, BGHZ 25, 66).
Eine besondere Verpflichtung zur Fürsorge hat im Streitfall auch nicht deswegen bestanden, weil der Berichterstatter bzw. das Gericht wiederholt einen Verzicht auf mündliche Verhandlung angeregt haben. Die Anfrage, ob die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichten, erfolgt im Regelfall routinemäßig, um dem Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu ermöglichen. Eine entsprechende Anfrage enthält aber noch keine Aussagen zur Entscheidungsreife.
Die Fürsorgepflicht hat das FG auch nicht deswegen verletzt, weil es auf die Erheblichkeit der Aussage des Zeugen X in der mündlichen Verhandlung nicht mehr hingewiesen hat. Zwischen den Parteien war streitig, ob, ggf. ab welchem Zeitpunkt der Kläger in den Räumen der Y-AG (Schweiz) eine Betriebsstätte hatte (vgl. hierzu z. B. BFH- Urteil vom 3. Februar 1993 I R 80--81/91, BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462). Die Kläger selbst wußten, wie ihrem Beweis antrag im Klageschriftsatz zu entnehmen ist, von der Erheblichkeit möglicher Zeugenaussagen und damit auch der Aussage des X. Eine besondere Fürsorgepflicht ergab sich für das FG auch nicht nach Vorlage der Bestätigung des X vom 24. Oktober 1995. Den Klägern, vertreten durch ihren Anwalt als Prozeßbevollmächtigten, mußte bekannt sein, daß verfahrensrechtlich eine solche Bestätigung kein Beweismittel sein konnte (vgl. zu den Beweismitteln z. B. Zöller, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., Vor § 355 Rdnr. 2). Es war für das FG auch nicht ersichtlich, daß sich die Kläger insoweit in einem Irrtum befunden haben könnten, der ggf. durch entsprechende Hinweise des Gerichts hätte behoben werden müssen.
3. Auch § 155 FGO i. V. m. §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO sind nicht verletzt. Insoweit gilt das zu 2. Gesagte weitgehend entsprechend. Zwar kann es im Einzelfall geboten sein, bei mißverständlichen, widersprüchlichen oder mehrdeutigen Angaben der Beteiligten nachzufragen oder zumindest auf die vom Gericht beabsichtigte Interpretation des Sachvortrags hinzuweisen (Zöller, a. a. O., § 139 Rdnr. 10). Dies gilt aber nicht für einen auch dem Kläger erkennbaren Widerspruch in seiner eigenen Aussage (hier: zum Zeitpunkt des Bezugs der beiden Räume der Y-AG). Keinesfalls verpflichten §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO das Gericht, sich vor Bera tung über seine künftige Rechtsauffassung und Tatsachenwürdigung festzulegen (vgl. z. B. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 54. Aufl., § 139 Rdnr. 11). Dementsprechend konnte und mußte das Gericht auch nicht vor Beratung die Aussage des Klägers als unglaubwürdig ablehnen. Im übrigen verkennen die Kläger, daß auch in öffentlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten das Gericht zur Unparteilichkeit verpflichtet ist und keine Partei einseitig beraten darf (vgl. z. B. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 139 Rdnr. 23; Zöller, a. a. O., § 139 Rdnr. 11; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 19. Aufl., § 139 ZPO Rdnr. 10).
Im übrigen ergeht dieser Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) i. d. F. des Gesetzes vom 20. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2236, BStBl I 1994, 100) ohne Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 421961 |
BFH/NV 1997, 580 |