Entscheidungsstichwort (Thema)
Akteneinsicht; Aktenversendung
Leitsatz (NV)
1. Die Akteneinsicht erfolgt nach der Grundentscheidung des Gesetzes regelmäßig bei der Geschäftsstelle des FG.
2. Die Entscheidung darüber, ob die Akten an ein Gericht oder an eine Behörde am Wohnsitz des Klägers zur dortigen Akteneinsicht oder gar an den Prozessbevollmächtigten zur Akteneinsicht in dessen Geschäftsräumen versendet werden, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.
3. Die für und gegen eine Aktenversendung sprechenden Interessen sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel ist, die Übersendung hingegen die Ausnahme, die demzufolge auf eng begrenzte Sonderfälle zu beschränken ist.
Normenkette
FGO § 78
Verfahrensgang
FG Münster (Beschluss vom 31.08.2007; Aktenzeichen 8 K 1667/05 E,U) |
FG Münster (Beschluss vom 31.08.2007; Aktenzeichen 8 K 59/06 E,U) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um die Frage, ob das Finanzgericht (FG) dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) das Recht auf Akteneinsicht zu Unrecht versagt hat.
In den Verfahren FG Münster 8 K 1667/05 E,U und 8 K 59/06 E,U sowie in anderen damit zusammenhängenden Verfahren (FG Münster 8 V 1198/05 E,U, 8 V 1320/06, 8 V 2522/05 E,U, 8 V 1321/06 und 8 3216/06 E,U) hatte das FG dem Kläger mit Verfügung vom 21. April 2006 Akteneinsicht in die Gerichtsakten und die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) zum damaligen Zeitpunkt vorgelegten Steuerakten gewährt. Die Akteneinsicht erfolgte beim Amtsgericht (AG) X. Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2006 hatte der Kläger nochmals beantragt, ihm Akteneinsicht zu gewähren, wobei die Akten an das AG X versendet werden sollten. Eine Versendung an das AG seines Wohnsitzes, das AG Y, lehnte der Kläger mit der Formulierung "Als Ort scheidet leider das AG Y wegen der mangelhaften Geheimhaltung aus" ab. Das FG entsprach diesem Antrag und informierte den Kläger entsprechend. Nachdem der Kläger im Verfahren FG Münster 8 V 1321/06 am 19. September 2006 eine Gegenvorstellung gegen den dortigen Beschluss vom 28. August 2006 abgegeben und zugleich einen Befangenheitsantrag gestellt hatte, forderte das FG die Akten vom AG X im Oktober 2006 wieder zurück. Der Kläger hatte indes beim AG X keine Akteneinsicht genommen, weil er seitens des AG keine entsprechende Benachrichtigung erhalten hatte. Auf den weiteren Antrag des Klägers auf Akteneinsicht teilte ihm das FG am 23. Oktober 2006 mit, dem Antrag werde in der Weise entsprochen, dass Akteneinsicht in den Räumen des FG Münster genommen werden könne.
Dagegen legte der Kläger mit der Begründung, Akteneinsicht in Münster sei ihm aus Kostengründen sowie aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, Beschwerde "oder das sonst zulässige Rechtsmittel" ein. Nachdem das FG den Antrag auf Akteneinsicht mit Beschluss vom 24. April 2007 zurückgewiesen hatte, gab das FG dem Klägervertreter aufgrund seines Antrags auf Akteneinsicht im Verfahren FG Münster 8 K 59/06 E,U mit Verfügung vom 2. August 2007 Gelegenheit, bis zum 25. August 2007 in den Geschäftsräumen des FG Akteneinsicht zu nehmen; damit verbunden war der Hinweis, man gehe davon aus, dass sich mit diesem Schreiben und der Akteneinsicht das zuvor mehrfach geäußerte Begehren auf Akteneinsicht erledige. Der Kläger begehrte daraufhin eine Überprüfung und Klarstellung des FG-Beschlusses vom 24. April 2007 (8 K 1667/05 E,U) und verwies darauf, es gehe um sein persönliches Akteneinsichtsrecht, nicht um die Akteneinsicht des Bevollmächtigten.
Das FG legte diesen Schriftsatz als erneuten Antrag auf Akteneinsicht aus und entschied mit Beschluss vom 31. August 2007 (8 K 1667/05 E,U, 8 K 59/06 E,U), dem Begehren des Klägers auf Akteneinsicht werde in der Weise entsprochen, dass die Akteneinsicht bis zum 28. September 2007 verlängert werde, wobei die Einsichtnahme in den Geschäftsräumen des FG zu erfolgen habe. Den darüber hinausgehenden Antrag auf Akteneinsicht bei einem anderen Gericht oder bei einer anderen Behörde wies das FG zurück. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das FG insoweit statt, als dem Kläger Gelegenheit zur Akteneinsicht bis zum Abschluss der Verfahren vor dem FG Münster gewährt wurde; im Übrigen hat das FG der Beschwerde nicht abgeholfen.
Mit der Beschwerde macht der Kläger geltend, soweit Akteneinsicht nur in den Geschäftsräumen des FG in Münster gewährt werde, sei die Entscheidung nicht ermessensgerecht. Das folge bereits daraus, dass das Gericht von seinem Wohnort geschätzte 80 Fahrtkilometer entfernt sei und ihm eine Akteneinsicht in Münster aus gesundheitlichen Gründen nicht zuzumuten sei. Er habe wegen zweier 1991 erlittener Unfälle gesundheitliche Probleme, längere Fahrten seien ihm nicht möglich. Zwar könne sein Prozessbevollmächtigter Akteneinsicht nehmen, dadurch würde für ihn --den Kläger-- indes eine erhöhte Kostenbelastung entstehen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Die Beteiligten haben danach einen Anspruch darauf, die Akten in der Geschäftsstelle des mit der Streitsache befassten Senats einzusehen, denn die Akteneinsicht erfolgt nach der Grundentscheidung des Gesetzes regelmäßig bei der Geschäftsstelle des FG. Sie kann indes auch an einem anderen Ort erfolgen, wobei die Entscheidung darüber, ob die Akten an ein Gericht oder an eine Behörde am Wohnsitz des Klägers zur dortigen Akteneinsicht oder gar an den Prozessbevollmächtigten zur Akteneinsicht in dessen Geschäftsräume versendet werden, im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. Oktober 2007 X B 96/07, BFH/NV 2008, 93; vom 25. September 2006 VI B 136/05, juris; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 78 Rz 9, m.w.N.; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 78 FGO Rz 147 ff.). Danach sind die für und gegen eine Aktenversendung sprechenden Interessen gegeneinander abzuwägen, also insbesondere die Vermeidung von Aktenverlusten, die Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Dritten sowie die jederzeitige Verfügbarkeit der Akten der möglichen Kosten- und Zeitersparnis für den Prozessbevollmächtigten oder den Kläger gegenüber zu stellen (BFH-Beschluss vom 25. September 2006 VI B 136/05, a.a.O.). Indes hat die Abwägung die gesetzliche Grundentscheidung zu beachten, wonach die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel ist, die Übersendung hingegen die Ausnahme, die demzufolge auf eng begrenzte Sonderfälle zu beschränken ist.
Das FG ist in seiner mit der Beschwerde angegriffenen Entscheidung vom 31. August 2007 in der Fassung des Ergänzungsbeschlusses vom 4. Oktober 2007 von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat die erforderlichen Ermessenserwägungen angestellt. Wenn das FG in diesem Zusammenhang anführt, angesichts der umfangreichen Akten werde die Verlustgefahr durch eine Einsichtnahme beim FG gemindert, das Strafverfahren gegen den Kläger sei noch nicht abgeschlossen und die beschlagnahmten Unterlagen müssten an das Strafgericht zurückgegeben werden, sodass eine beschleunigte Akteneinsicht geboten sei, so sind diese Erwägungen nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Nämliches gilt für die Überlegungen des FG, der Kläger habe die Möglichkeit, die Akteneinsicht durch seinen Prozessbevollmächtigten wahrzunehmen und im Übrigen habe er selbst eine Versendung der Akten an das AG seines Wohnsitzes, das AG Y, abgelehnt und stattdessen um Akteneinsicht beim AG X gebeten, was ebenfalls Fahrten des Klägers erforderlich mache. In Anbetracht dessen sei es nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger eine Fahrt nach Münster aus gesundheitlichen Gründen ablehne, aber Fahrten nach X offenbar für zumutbar erachte.
Zwar ist der BFH als Beschwerdegericht und Tatsacheninstanz gehalten, eigenes Ermessen auszuüben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. November 2004 V B 182/04, BFH/NV 2005, 569; vom 12. Januar 2000 VI B 418/98, BFH/NV 2000, 855). Der Senat sieht im Streitfall indes keine die Aktenübersendung ausnahmsweise rechtfertigenden Besonderheiten. Es bleibt demnach bei der Grundentscheidung, dass die Akteneinsicht beim FG zu erfolgen hat.
Die Beschwerde war daher mit der sich aus § 135 Abs. 2 FGO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1993570 |
BFH/NV 2008, 1167 |