Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Zum Begriff der groben Fahrlässigkeit i.S. von § 69 AO 1977
Leitsatz (NV)
- Der Begriff der "groben Fahrlässigkeit" i.S. von § 69 AO 1977 ist nicht klärungsfähig, da er auf den jeweiligen Einzelfall zu beziehen ist. Auch eine Klärungsbedürftigkeit ist nicht gegeben, weil der Begriff durch die Rechtsprechung des BFH bereits geklärt ist.
- Einwendungen gegen die vermeintlich fehlerhafte Tatsachenwürdigung und die vermeintlich unzutreffende Rechtsanwendung durch das FG können nicht zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 FGO führen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; AO 1977 § 69
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 03.07.2003; Aktenzeichen 14 K 4203/00) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Steuerberater, war für die E-GmbH (GmbH) als Liquidator tätig. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) nahm den Geschäftsführer der GmbH und den Kläger wegen rückständiger Umsatzsteuer 1994 und 1996 und Säumniszuschlägen zur Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt … DM in Haftung. Mit Einspruchsentscheidung vom … setzte das FA den Haftungsbetrag auf … DM herab. Dabei wurde der Kläger nunmehr auf die Umsatzsteuererstattungsbeträge für die Monate Januar und März 1996 in Anspruch genommen. Das FA ließ die Säumniszuschläge entfallen und berücksichtigte in Bezug auf die sonstigen Umsatzsteuerhaftungsbeträge eine im Wege der Schätzung ermittelte Haftungsquote von 30 v.H. Die Klage, mit der der Kläger geltend machte, dass er als Liquidator der GmbH deren steuerlichen Pflichten nicht grob fahrlässig verletzt habe und dass die Haftungsquote nicht zutreffend bestimmt worden sei, wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG führte aus, der Kläger habe die ihm als Liquidator der GmbH obliegenden Pflichten zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung für 1994 sowie der Umsatzsteuervoranmeldungen nicht bzw. nicht rechtzeitig und nicht zutreffend erfüllt und dadurch bewirkt, dass die Steuern nicht rechtzeitig festgesetzt und erfüllt worden seien.
Darüber hinaus habe er das FA veranlasst, nicht gerechtfertigte Umsatzsteuererstattungen für Januar und März 1996 auszubezahlen. Die ihm obliegenden Pflichten habe der Kläger grob fahrlässig verletzt. Obwohl ihm die Auszahlung des Erstattungsbetrages bekannt gewesen sei, habe er als Liquidator keine Steuererklärung eingereicht, sondern es auf eine verspätete Veranlagung zur Umsatzsteuer 1994 im Wege der Schätzung ankommen lassen. Die unzutreffenden Voranmeldungen für die Monate Januar und März 1996 beruhten auf wohl unvollständigen buchmäßigen Aufzeichnungen und einer unvollständigen Belegsammlung. Grob fahrlässig habe er in der Voranmeldung für Januar 1996 Vorsteuern in Höhe von … DM angegeben, für die offenbar nur Eingangsrechnungen mit ausgewiesener Vorsteuer in Höhe von … DM vorhanden waren. Die erst im Februar 1997 nachträglich erklärten Verkaufsumsätze in Höhe von ca. … DM könnten ihm schwerlich entgangen sein; anderenfalls müsse er sich entgegenhalten lassen, die Angelegenheiten der GmbH grob fahrlässig unbeachtet gelassen zu haben. Auch habe er einen steuerpflichtigen Umsatz aus der Veräußerung von Händlerrechten in Höhe von … DM nicht erklärt, obwohl ihm dieser Vorgang nach seiner eigenen Schilderung nicht entgangen sei. Dem Kläger sei es somit ohne weiteres möglich gewesen, lange vor Einleitung des Konkursverfahrens über die GmbH zutreffende Steuererklärungen einzureichen. Schließlich könne er sich auch nicht damit entlasten, dass ihm ausreichende Mittel zur Begleichung der rückständigen Abgaben nicht zur Verfügung gestanden hätten, denn der von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelte Grundsatz der anteiligen Haftung gelte nicht, wenn aufgrund unzutreffender Umsatzsteuervoranmeldungen Steuererstattungen zu Unrecht ausbezahlt würden (so BFH-Urteil vom 25. April 1995 VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97).
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Kläger wegen der Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde, die er im Wesentlichen auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― (grundsätzliche Bedeutung) und § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO (Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) stützt. Den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Nichtzulassungsbeschwerde und für eine noch einzulegende Revision hat der Senat mit Beschluss vom 30. Januar 2004 VII S 22/03 (PKH) abgelehnt.
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde trägt der Kläger vor, die Frage, was unter dem unbestimmten Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit in § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) zu verstehen sei, sei von grundsätzlicher Bedeutung. Als Liquidator der GmbH habe er sämtliche Verpflichtungen steuerrechtlicher Art erfüllt. Das FG habe diesen Sachverhalt und eine beigefügte Aufstellung über die Abwicklung eines Treuhandkontos nicht berücksichtigt. Aus der Aufstellung hätte sich ergeben, dass der GmbH im Haftungszeitraum keine Mittel zur Begleichung der Umsatzsteuerschulden zur Verfügung gestanden hätten.
In einem Schreiben vom 19. April 2004 hat der Prozessvertreter des Klägers zusätzlich vorgetragen, dass der Begriff der groben Fahrlässigkeit einer allgemeinen Klärung zugänglich sei. Darüber hinaus habe das FG gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, denn es habe die vorgelegte Aufstellung über die Abwicklung des Treuhandkontos sowie die Ermittlungen anderer Gerichte und Behörden, wie des Landgerichts und der Staatsanwaltschaft, nicht berücksichtigt. Darin liege ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf dem das erstinstanzliche Urteil auch beruhe. Wäre das FG seiner Pflicht aus § 76 Abs. 1 FGO nachgekommen, hätte sich ergeben, dass zur Begleichung der Umsatzsteuerschuld keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Haftung könne im Streitfall zumindest für die Umsatzsteuervoranmeldung Januar 1996 nicht verwehrt werden, da nicht der Kläger, sondern der frühere Geschäftsführer der GmbH die Umsatzsteuervoranmeldung vom 6. März 1996 unterzeichnet habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO), denn der Kläger hat keine Zulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 FGO entsprechend den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
1. a) Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO erfordert substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit einer konkreten Rechtsfrage, der auch Bedeutung für die Allgemeinheit zukommt. Darzulegen ist, dass die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften und umstrittenen Rechtslage abhängt. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit den Äußerungen im Schrifttum und ggf. mit veröffentlichten Verwaltungsmeinungen befassen. Hat der BFH über die angesprochene Rechtsfrage bereits entschieden, so ist über die Auseinandersetzung mit der bestehenden Rechtsprechung hinaus zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. dann geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2003 III B 15/03, BFH/NV 2004, 166, m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist die von ihm aufgeworfene Frage, was unter "grober Fahrlässigkeit" i.S. des § 69 AO 1977 zu verstehen sei, einer grundsätzlichen Klärung nicht fähig. Denn der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist auf den jeweiligen Einzelfall zu beziehen. Dabei sind dessen besondere Umstände zu berücksichtigen. Deshalb ist die vom Kläger aufgeworfene Frage einer abstrakten und allgemeingültigen Klärung nicht zugänglich.
c) Aber auch eine Klärungsbedürftigkeit der Frage liegt nicht vor. Denn der vorliegenden Rechtsprechung zu den haftungsrechtlichen Voraussetzungen des § 69 AO 1977 lassen sich bereits gewisse Anhaltspunkte für die Deutung des Begriffes der groben Fahrlässigkeit entnehmen. Danach handelt grob fahrlässig, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt (vgl. Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 AO 1977 Tz. 26, m.w.N.). Der Senat hat wiederholt zu der Frage Stellung genommen, wann ein Geschäftsführer einer GmbH seine ihm obliegenden Pflichten grob fahrlässig verletzt, so dass die Frage als hinreichend geklärt angesehen werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. März 1999 VII B 36/98, BFH/NV 1999, 1308; vom 31. März 1998 VII B 293/97, BFH/NV 1998, 1321; Senatsurteil vom 16. Juli 1996 VII R 133/95, BFH/NV 1997, 4, jeweils m.w.N.). Der Kläger hat nicht dargelegt, inwieweit und aus welchen Gründen die höchstrichterlich bereits in mehreren Fällen beantwortete Frage weiterhin umstritten ist, insbesondere welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Argumente in der Rechtsprechung oder in der einschlägigen Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht worden sind (BFH-Beschlüsse vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676, und vom 3. April 2000 VIII B 99/99, BFH/NV 2000, 985).
d) Da die vom Kläger aufgeworfene Frage nicht klärungsfähig und klärungsbedürftig ist, bedarf es keiner Entscheidung zu den in § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO aufgeführten Zulassungsgründen (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2001 III B 103/01, BFH/NV 2002, 652). Unabhängig davon hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, weshalb die begehrte Entscheidung des Revisionsgerichts aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtsfortbildung oder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung im allgemeinen Interesse liegt. Der bloße Hinweis darauf, dass sich gerade in der heutigen Zeit der Insolvenzen eine Vielzahl von Geschäftsführern betroffen fühlen dürfte, ist hierfür nicht ausreichend.
2. Soweit sich der Kläger unter Berufung auf Feststellungen in einem Urteil des Landgerichts und nicht näher dargelegte Ausführungen der Staatsanwaltschaft darauf beruft, sämtliche Obliegenheiten während seiner Tätigkeit als Liquidator der GmbH ordnungsgemäß erledigt zu haben, und vorbringt, das FG habe diesen Sachverhalt nicht gewürdigt, greift er im Kern seines Vorbringens die seiner Ansicht nach fehlerhafte Tatsachenwürdigung und unzutreffende Rechtsanwendung des FG an. Einwendungen gegen die tatsächliche oder rechtliche Würdigung des FG vermögen indes die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO nicht zu begründen (BFH-Beschluss vom 14. Februar 2003 X B 74/02, BFH/NV 2003, 805, m.w.N.). Auch in dem Vorbringen, das FG habe die beigefügte Aufstellung über die Abwicklung des Treuhandkontos nicht berücksichtigt, vermag der Senat die ordnungsgemäße Rüge eines Verfahrensmangels i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht zu erkennen. Denn diesem Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass das FG seiner Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts nicht nachgekommen sei. Vielmehr greift der Kläger die rechtlichen Schlussfolgerungen an, die das FG aus dem Sachverhalt und der vorgelegten Aufstellung gezogen hat. Aber selbst wenn in der Nichtberücksichtigung der Aufstellung ein Verfahrensmangel gesehen werden könnte, würde das Urteil auf diesem nicht beruhen. Denn nach dem maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des FG (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 115 Rz. 79) kam es nicht darauf an, ob dem Kläger im Juli 1996 Mittel zur Begleichung der Umsatzsteuerschulden zur Verfügung standen. Vielmehr hat das FG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (Senatsurteil in BFH/NV 1996, 97) die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Haftung im Streitfall deshalb verneint, weil der GmbH aufgrund unzutreffender Voranmeldungen Umsatzsteuererstattungen zu Unrecht ausbezahlt worden seien. Wie der Senat entschieden hat, handelt es sich in diesen Fällen nicht um eine Zahlungsverpflichtung der GmbH, sondern um eine zu Unrecht ausgezahlte Steuervergütung, die auf der Vereitelung einer Verrechnungsmöglichkeit beruht. Eine lediglich anteilige Haftung des Geschäftsführers aufgrund eines evtl. fehlenden adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden kommt daher nicht in Betracht.
Soweit sich der Kläger in seinem Schriftsatz vom 19. April 2004 darauf beruft, er habe die Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 1996 nicht unterzeichnet, kann dieser Vortrag nicht dazu führen, den materiell-rechtlichen Standpunkt des FG zu widerlegen. Denn im Zeitpunkt der Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung vom 6. März 1996 war der Kläger bereits zum Liquidator der GmbH bestellt worden und hatte als deren gesetzlicher Vertreter steuerliche Pflichten der GmbH übernommen und diese auch zu erfüllen (§ 34 AO 1977). Wie ein Geschäftsführer kann sich auch ein Liquidator grundsätzlich nicht darauf berufen, dass ein anderer die Geschäfte der GmbH geführt oder steuerlich relevante Erklärungen abgegeben habe. Nach der Rechtsprechung des Senats hat der Geschäftsführer, der die Geschäftsführung durch einen anderen duldet, durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass dieser die steuerlichen Verpflichtungen der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt (vgl. Senatsurteil vom 2. Juli 1987 VII R 104/84, BFH/NV 1988, 6).
Fundstellen