Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine PKH bei Deckungszusage; haftungsrechtlicher Begriff der groben Fahrlässigkeit
Leitsatz (NV)
- Bei Vorliegen einer Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung für die NZB ist die begehrte Prozesskostenhilfe für die NZB zu versagen.
- Die Frage, was unter "grober Fahrlässigkeit" i.S. des § 69 AO 1977 zu verstehen ist, ist durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt und hat deshalb keine grundsätzliche Bedeutung.
- Angriffe gegen die vermeintliche fehlerhafte Tatsachenwürdigung und unzutreffende Rechtsanwendung durch das FG vermögen die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO nicht zu begründen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 142; AO 1977 § 69
Tatbestand
Dem Antragsteller, Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) kann die beantragte Prozesskostenhilfe (PKH) nicht gewährt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung ―hier die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und die Revision― gegen das die Klage gegen einen Haftungsbescheid abweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 142 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung ―ZPO―).
Der Kläger, ein Steuerberater, war für die E GmbH (GmbH) als Liquidator tätig. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) nahm den Geschäftsführer der GmbH und den Kläger wegen rückständiger Umsatzsteuer 1992 und 1994 und Säumniszuschlägen zur Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 50 000 DM in Haftung. Mit Einspruchsentscheidung vom … setzte das FA den Haftungsbetrag auf 30 000 DM herab. Dabei wurde der Kläger nunmehr auf die Umsatzsteuer-Erstattungsbeträge für die Monate Januar bis März 1994 in Anspruch genommen. Das FA ließ die Säumniszuschläge entfallen und berücksichtigte in Bezug auf die sonstigen Umsatzsteuer-Haftungsbeträge eine im Wege der Schätzung ermittelte Haftungsquote von 20 v.H. Die Klage, mit der der Kläger geltend machte, dass er als Liquidator der GmbH deren steuerliche Pflichten nicht grob fahrlässig verletzt habe und dass die Haftungsquote nicht zutreffend bestimmt worden sei, wies das FG ab. Das FG führte aus, der Kläger habe die ihm als Liquidator der GmbH obliegenden Pflichten zur Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 1992 sowie der Umsatzsteuer-Voranmeldungen nicht bzw. nicht rechtzeitig und nicht zutreffend erfüllt und dadurch bewirkt, dass die Steuern nicht rechtzeitig festgesetzt und gezahlt worden seien. Darüber hinaus habe er das FA veranlasst, nicht gerechtfertigte Umsatzsteuer-Erstattungen für Januar und März 1994 auszubezahlen. Die ihm obliegenden Pflichten habe der Kläger grob fahrlässig verletzt. Obwohl ihm die Auszahlung des Erstattungsbetrages bekannt gewesen sei, habe er als Liquidator keine Steuererklärung eingereicht, sondern es auf eine verspätete Veranlagung zur Umsatzsteuer 1992 im Wege der Schätzung ankommen lassen. Die unzutreffenden Voranmeldungen für die Monate Januar und März 1994 beruhten auf wohl unvollständigen buchmäßigen Aufzeichnungen und einer unvollständigen Belegsammlung. Grob fahrlässig habe er in der Voranmeldung für Januar 1994 Vorsteuern in Höhe von 22 000 DM angegeben, für die offenbar nur Eingangsrechnungen mit ausgewiesener Vorsteuer in Höhe von 2 000 DM vorhanden waren. Die erst im Februar 1995 nachträglich erklärten Verkaufsumsätze in Höhe von ca. 450 000 DM könnten ihm schwerlich entgangen sein; anderenfalls müsse er sich entgegenhalten lassen, die Angelegenheiten der GmbH grob fahrlässig unbeachtet gelassen zu haben. Auch habe er einen steuerpflichtigen Umsatz aus der Veräußerung von Händlerrechten in Höhe von 650 000 DM nicht erklärt, obwohl ihm dieser Vorgang nach seiner eigenen Schilderung nicht entgangen sei. Dem Kläger sei es somit ohne weiteres möglich gewesen, lange vor Einleitung des Konkursverfahrens über die GmbH zutreffende Steuererklärungen einzureichen. Schließlich könne er sich auch nicht damit entlasten, dass ihm ausreichende Mittel zur Begleichung der rückständigen Abgaben nicht zur Verfügung gestanden hätten, denn der von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelte Grundsatz der anteiligen Haftung gelte nicht, wenn aufgrund unzutreffender Umsatzsteuer-Voranmeldungen Steuererstattungen zu Unrecht ausbezahlt würden (so BFH-Urteil vom 25. April 1995 VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97).
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Kläger wegen der Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde, die er im Wesentlichen auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (grundsätzliche Bedeutung) und § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO (Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) stützt. Der Senat legt die Erklärung des Klägers, dass Aussicht auf Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde bzw. der Revision bestehe, dahin gehend aus, dass der Kläger für die Nichtzulassungsbeschwerde und für die noch einzulegende Revision PKH begehrt.
Entscheidungsgründe
1. Soweit der Kläger für die Nichtzulassungsbeschwerde PKH begehrt, ist der Antrag schon deshalb abzulehnen, weil für dieses Verfahren eine Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung vorliegt. Hierzu hat der Kläger in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse folgende Angaben gemacht: "Seitens der X-Versicherung liegt eine Zusagengewährung 'vorläufiger Vers. Schutz in Form des Abwehr- und Kostenschutzes für die NZB' vor". Diesen Angaben lässt sich entnehmen, dass die Kosten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung von einer Rechtsschutzversicherung getragen werden. Aufgrund dieser Deckungszusage ist die beantragte PKH zu versagen (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 62. Aufl., § 114 Rdnr. 67; Reiche in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 142 FGO Rdnr. 44, und Beschluss des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 4. Oktober 1990, IV ZB 5/90, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1991, 109, 110).
2. Es kann dahin stehen, ob die beantragte PKH für die noch einzulegende Revision ebenfalls wegen des Vorliegens einer Rechtsschutzversicherung zu versagen wäre. Jedenfalls erscheint bei der im PKH-Verfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Überprüfung auch die vom Kläger angestrebte Revision nicht erfolgversprechend, denn der BFH ist an einer Entscheidung in der Sache gehindert. Das FG hat die Revision nicht zugelassen; sie kann nach Auffassung des Senats auch nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde erreicht werden, denn der Kläger hat nicht dargelegt, dass die Voraussetzungen eines in § 115 Abs. 2 FGO aufgeführten Zulassungsgrundes vorliegen. Folglich wäre die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
a) Für die Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage heraus stellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist ferner ein konkreter und substantiierter Vortrag, warum im Einzelnen die Klärung der Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt, also ein Vortrag zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit (vgl. Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 260/02, BFH/NV 2004, 69, 71, m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.
b) Die vom Kläger aufgeworfene Frage, was unter "grober Fahrlässigkeit" i.S. des § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) zu verstehen sei, ist einer grundsätzlichen Klärung nicht fähig. Denn der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist auf den jeweiligen Einzelfall zu beziehen. Dabei sind dessen besondere Umstände zu berücksichtigen. Deshalb ist die vom Kläger aufgeworfene Frage einer abstrakten und allgemeingültigen Klärung nicht zugänglich.
c) Aber auch eine Klärungsbedürftigkeit der Frage liegt nicht vor. Denn der vorliegenden Rechtsprechung zu den haftungsrechtlichen Voraussetzungen des § 69 AO 1977 lassen sich bereits die Maßstäbe für die Deutung des Begriffes der groben Fahrlässigkeit entnehmen. Danach handelt grob fahrlässig, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt (vgl. Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, § 69 AO 1977 Tz. 26, m.w.N.). Der Senat hat wiederholt zu der Frage Stellung genommen, wann ein Geschäftsführer einer GmbH seine ihm obliegenden Pflichten grob fahrlässig verletzt, so dass die Frage als hinreichend geklärt angesehen werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. März 1999 VII B 36/98, BFH/NV 1999, 1308; vom 31. März 1998 VII B 293/97, BFH/NV 1998, 1321; Senatsurteil vom 16. Juli 1996 VII R 133/95, BFH/NV 1997, 4, jeweils m.w.N.). Der Kläger hat nicht dargelegt, inwieweit und aus welchen Gründen die höchstrichterlich bereits in mehreren Fällen beantwortete Frage weiterhin umstritten ist, insbesondere welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Argumente in der Rechtsprechung oder in der einschlägigen Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht worden sind (BFH-Beschlüsse vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676, und vom 3. April 2000 VIII B 99/99, BFH/NV 2000, 985).
d) Da die vom Kläger aufgeworfene Frage bei summarischer Prüfung nicht klärungsfähig und klärungsbedürftig erscheint, bedarf es keiner Entscheidung zu den in § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO aufgeführten Zulassungsgründen (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2001 III B 103/01, BFH/NV 2002, 652). Unabhängig davon hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, weshalb die begehrte Entscheidung des Revisionsgerichts aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtsfortbildung oder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung im allgemeinen Interesse liegt. Der bloße Hinweis darauf, dass sich gerade in der heutigen Zeit der Insolvenzen eine Vielzahl von Geschäftsführern betroffen fühlen dürfte, ist nicht ausreichend.
3. Soweit sich der Kläger unter Berufung auf Feststellungen in einem Urteil des Landgerichts X und nicht näher dargelegten Ausführungen der Staatsanwaltschaft X darauf beruft, sämtliche Obliegenheiten während seiner Tätigkeit als Liquidator der GmbH ordnungsgemäß erledigt zu haben und vorbringt, das FG habe diesen Sachverhalt nicht gewürdigt, greift er im Kern seines Vorbringens die seiner Ansicht nach fehlerhafte Tatsachenwürdigung und unzutreffende Rechtsanwendung des FG an. Einwendungen gegen die tatsächliche oder rechtliche Würdigung des FG vermögen indes die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO nicht zu begründen (BFH-Beschluss vom 14. Februar 2003 X B 74/02, BFH/NV 2003, 805, m.w.N.).
4. Schließlich ist auch das Vorbringen, das FG habe die vorgelegte Aufstellung über die Abwicklung eines Treuhandkontos und das daraus abzuleitende Fehlen von finanziellen Mitteln zur Begleichung der Umsatzsteuerschulden unberücksichtigt gelassen, nicht geeignet, die Revision zu eröffnen. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger einen etwaigen Verfahrensmangel schlüssig dargelegt hat. Denn nach dem maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des FG (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 115 Rz. 79) kam es nicht darauf an, ob dem Kläger im Juli 1994 Mittel zur Begleichung der Umsatzsteuerschulden zur Verfügung standen. Vielmehr hat das FG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (Senatsurteil in BFH/NV 1996, 97) die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Haftung im Streitfall deshalb verneint, weil der GmbH aufgrund unzutreffender Voranmeldungen Umsatzsteuer-Erstattungen zu Unrecht ausbezahlt worden seien. Wie der Senat entschieden hat, handelt es sich in diesen Fällen nicht um eine Zahlungsverpflichtung der GmbH, sondern um eine zu Unrecht ausgezahlte Steuervergütung, die auf der Vereitelung einer Verrechnungsmöglichkeit beruht. Eine lediglich anteilige Haftung des Geschäftsführers aufgrund eines evtl. fehlenden adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden kommt daher insoweit nicht in Betracht.
5. Insgesamt ist damit nach der gebotenen summarischen Prüfung kein Grund für eine Zulassung der Revision erkennbar, so dass die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die Entscheidung über die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde stellt der Senat bis vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses zurück, um dem Kläger die Möglichkeit einzuräu- men, zu prüfen, ob er ggf. seine Beschwerde zur Vermeidung des Anfalls von Gerichtskosten zurücknehmen möchte.
Fundstellen