Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessen der Finanzverwaltung bei Gewährung von Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren; Vorrang der AO-Regelungen vor EG-Recht und nationalen Datenschutzgesetzen
Leitsatz (amtlich)
1. Die AO 1977 enthält keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren besteht. Der Steuerpflichtige hat jedoch ein Recht darauf, dass die Finanzbehörde über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet. Diese Rechtsfragen sind geklärt.
2. Der fehlende Anspruch auf Akteneinsicht im außergerichtlichen Besteuerungsverfahren und eine insoweit der Finanzverwaltung eingeräumte Ermessensausübung verstoßen nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze.
3. Ein Anspruch auf Akteneinsicht im steuerlichen Ermittlungsverfahren lässt sich auch nicht aus der Richtlinie 95/46/EG herleiten, die ihre Umsetzung in innerstaatliches Recht durch das BDSG und entsprechende landesrechtliche Datenschutzgesetze erfahren hat, weil sowohl die Richtlinie 95/46/EG als auch die nationalen Datenschutzgesetze den Vorrang einschränkender bereichsspezifischer Regelungen in Steuerangelegenheiten anerkennen. Die AO 1977 enthält eine in diesem Sinne abschließende Regelung für den Umgang mit den im Besteuerungsverfahren gespeicherten Daten.
Normenkette
AO 1977 § 91; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1; EGRL 46/95 Art. 12
Verfahrensgang
Hessisches FG (Entscheidung vom 19.03.2001; Aktenzeichen 2 K 5316/99) |
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Einsicht in die Ermittlungsakten der Steuerfahndungsstelle des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) während des Steuerermittlungsverfahrens nach § 85 i.V.m. § 208 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977).
I. Das FA hat gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf der Grundlage von Kontrollmitteilungen ein Steuerermittlungsverfahren gemäß §§ 85, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 angeordnet, in dessen Verlauf der Bevollmächtigte des Klägers um die Gewährung von Akteneinsicht in die Ermittlungsakten ―insbesondere das sog. "Fallheft"― der Steuerfahndungsstelle gebeten hat. Das FA lehnte die begehrte Akteneinsicht während des noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Der Senat lässt es dahinstehen, ob der Kläger die von ihm behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) entsprechend den nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO zu beachtenden Anforderungen dargelegt hat. Er hat eine konkrete Rechtsfrage formuliert und hierzu einzelne in der Literatur und von einigen Instanzgerichten vertretene Rechtsauffassungen benannt, ohne sich, wie dies für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung und einer (weiteren) Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage ebenfalls notwendig gewesen wäre, mit den zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen des BFH auseinander zu setzen (vgl. zu den Darlegungserfordernissen Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 16. Mai 2002 I B 110/01, BFH/NV 2002, 1462, und vom 27. Mai 2002 VIII B 150/01, BFH/NV 2002, 1463, m.w.N.; s. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 33).
2. Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, "ob der Steuerpflichtige bzw. sein Berater über den Rechtsanspruch auf Akteneinsicht im Steuerstrafverfahren gemäß § 147 StPO hinaus auch einen Anspruch auf zumindest fehlerfreie Ermessensentscheidung über das Akteneinsichtsgesuch im Besteuerungsverfahren hat", ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie durch die höchstrichterliche Rechtsprechung in mehreren Entscheidungen bejaht worden ist.
a) Der BFH hat in einigen zur Frage der Gewährung von Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren vor den Finanzbehörden ergangenen Entscheidungen ausdrücklich festgestellt, dass die AO 1977 ―anders als andere Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) und § 147 der Strafprozessordnung (StPO)― für das Verwaltungsverfahren einen Anspruch auf Gewährung von Einsicht in die Verfahrens- und Ermittlungsakten nicht vorsieht. Er hat auch geklärt, dass ein solches Einsichtsrecht weder aus § 91 Abs. 1 AO 1977 und dem hierzu ergangenen Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) der Verwaltung Nr. 4 noch aus § 364 AO 1977 und dem dazu ergangenen AEAO abzuleiten sei. Gleichwohl geht der BFH in ständiger Rechtsprechung ―ebenso wie die Finanzverwaltung in Nr. 4 AEAO zu § 91 AO 1977― davon aus, dass dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zusteht, weil die Behörde nicht gehindert sei, in Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren (BFH in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteile vom 6. August 1965 VI 349/63 U, BFHE 83, 490, BStBl III 1965, 675, 676; vom 7. Mai 1985 VII R 25/82, BFHE 143, 503, BStBl II 1985, 571; vom 8. Februar 1994 VII R 88/92, BFHE 174, 197, BStBl II 1994, 552, und BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 1993 VIII B 121/92, BFH/NV 1994, 311; vom 26. Mai 1995 VI B 91/94, BFH/NV 1995, 1004, und vom 8. Juni 1995 IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64).
Anders als der Kläger meint, hat sich der BFH auch mehrfach mit den Kriterien einer pflichtgemäßen Ermessensausübung durch die Behörde bei der Entscheidung über ein Gesuch um die Gewährung von Akteneinsicht befasst. Das Gericht hat die behördliche Entscheidung jedoch nur daraufhin zu überprüfen, ob die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat, die Grenzen ihres Ermessens überschritten oder dieses Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ausgeübt hat (§ 102 FGO). Der BFH sieht den Anspruch des Einsichtsuchenden auf fehlerfreie Ermessensentscheidung als gewahrt an, wenn das FA im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat (vgl. BFH in BFH/NV 1996, 64, 65, und in BFHE 143, 503, BStBl II 1985, 571).
Im Streitfall hat das Finanzgericht (FG), ohne dass der Kläger insoweit substantiiert einen Verstoß gegen die Denkgesetze und Erfahrungssätze vorgetragen hätte oder ein solcher sonst ersichtlich wäre, festgestellt, dass die Finanzbehörde den Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Ermessensentscheidung durch die Abwägung der beiderseitigen Interessen erfüllt hat. Einer weiteren rechtlichen Klärung wäre die vom Kläger formulierte Rechtsfrage nicht zugänglich. Insbesondere könnte der BFH die vom Kläger offensichtlich angestrebte Entscheidung, dass die Behörde das ihr zustehende Ermessen in einer ganz bestimmten Weise, nämlich der Zuerkennung des Einsichtsrechts in das Fallheft der Steuerfahndung, hätte ausüben müssen, nicht treffen, weil für diese Entscheidung die Interessenlage im Einzelfall zu beurteilen ist und der BFH als Rechtsmittelgericht bei der Revision auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vorentscheidung beschränkt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475, 477). Im Übrigen fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass das Ermessen bei Anträgen auf Einsichtgewährung in die Verfahrensakten nur in einer ganz bestimmten Weise ausgeübt werden dürfte bzw. dass dieses auf "Null" reduziert wäre.
Die vom BFH vertretene Rechtsauffassung steht auch im Einklang mit der in AEAO Nr. 4 zu § 91 AO 1977 zum Ausdruck gekommenen Auffassung und Handhabung des Akteneinsichtsrechts durch die Verwaltung, mit der weitaus überwiegenden Rechtsprechung der FG (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 16. März 1990 1 K 4538/89, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1990, 503; Niedersächsisches FG, Beschluss vom 5. April 1991 XI 374/90, EFG 1991, 625; FG Münster, Urteil vom 5. November 2002 1 K 7155/00 S, EFG 2003, 499) und mit der überwiegenden Meinung in der Literatur (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 91 AO 1977 Rz. 12, 14; Söhn in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 91 AO 1977 Rz. 24 f.; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 91 Rz. 4; Carl/Klos, Akteneinsicht im Steuerstreit, Die Information über Steuer und Wirtschaft ―Inf― 1994, 488; Dißars, Das Recht der Beteiligten auf Akteneinsicht im Steuerrecht, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1997, 481; weitergehend aber Stöcker, Verfassungswidriges Versagen der Akteneinsicht, Der AO-Steuerberater 2002, 161; Burkhard, Die Ablehnungspraxis der Finanzämter bei Akteneinsichtsgesuchen im Steuerstrafverfahren, Inf 2001, 168 ff.).
b) Allerdings kann auch eine durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits entschiedene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sein, wenn z.B. neue gewichtige Argumente gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung vorgetragen werden, die das Gericht bisher nicht erwogen hat (BFH-Beschluss vom 12. Juni 1996 IV B 133/95, BFHE 180, 450, BStBl II 1997, 82, und Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2000 VII B 163/00, BFH/NV 2001, 917, 918). Die vom Kläger vorgetragenen und von seinem Prozessvertreter im Schrifttum (vgl. dazu Burkhard, Inf 2001, 168 ff., und Probleme mit dem Akteneinsichtsrecht in Steuerstrafverfahren, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2002, 1794) geäußerten Argumente zur Gewährung einer frühestmöglichen Akteneinsicht für den Steuerstrafverteidiger in Steuerstrafsachen enthalten jedoch keine Gesichtspunkte, die der BFH oder zuvor bereits der Gesetzgeber nicht in seine Überlegungen einbezogen hätte. Das gilt auch für die nach Auffassung des Klägers vom BFH klarzustellende Frage, inwieweit die Tatsache, dass die AO 1977 ein dem § 29 VwVfG vergleichbares Akteneinsichtsrecht nicht enthält, als Abwägungskriterium für die Ermessensentscheidung heranzuziehen ist.
Maßgebend für die Art und Weise der Ermessensanwendung ist im Falle eines geltend gemachten Anspruchs auf Gewährung von Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren der vom Gesetzgeber gesteckte Ermessensrahmen. Dieser ist durch das Fehlen eines Anspruchs auf Akteneinsicht in der AO 1977 so gezogen worden, dass die Einsichtnahme in die Akten während des laufenden Verwaltungs- oder Steuerermittlungsverfahrens lediglich eine in Anwendung des § 91 oder des § 364 AO 1977 aus Gründen der Gewährung des rechtlichen Gehörs zu gewährende Ausnahme sein soll. Dem entspricht die Gesetzesbegründung des Finanzausschusses in BTDrucks 7/4292, S. 24, 25. Der Gesetzgeber hat dort ausdrücklich ein dem zeitgleich mit der AO 1977 in Kraft getretenen § 29 VwVfG entsprechendes allgemeines Akteneinsichtsrecht im Steuerverwaltungsverfahren für nicht praktikabel gehalten, weil diesem Gesichtspunkte des Schutzes Dritter und das Ermittlungsinteresse der Finanzbehörden sowie der Verwaltungsaufwand der Finanzbehörde, die vor jeder Akteneinsicht zu prüfen hätte, ob ein Geheimhaltungsinteresse Dritter beeinträchtigt sein könnte und dann das gesamte Kontrollmaterial, behördeninterne Vermerke und Anweisungen und Ähnliches aus den Akten zu entfernen hätte, entgegenstünden. Diese Überlegungen gelten auch heute noch. Denn der Gesetzgeber hat in Kenntnis des dem Bürger im rechtsstaatlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zustehenden Rechts auf Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes ―GG―) und auf ein faires Verfahren, sowie dessen Recht, sich zu dem Sachverhalt und der Rechtslage zu äußern, bestimmte Verfahrensanträge zu stellen und Ausführungen zur Sache zu machen (vgl. grundlegend dazu Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 17. Mai 1983 2 BvR 731/80, BVerfGE 64, 135, 143 für das Strafverfahren), und in Kenntnis der Regelungen zugunsten eines frühzeitigen Akteneinsichtsrechts in anderen Verwaltungsverfahrensordnungen auch in späteren Gesetzesberatungen bis heute davon abgesehen, einen Anspruch auf Einsicht in die Verwaltungsakten im Besteuerungsverfahren zu regeln. So hat im Jahre 1989 die dem Gesetzgeber Reformvorschläge zur Regelung des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens unterbreitende Arbeitsgruppe die Einfügung eines normierten Akteneinsichtsrechts in die AO 1977 erwogen, dies aber letztendlich verworfen, weil die Anweisungen im AEAO Nr. 4 zu § 91 und zu § 364 AO 1977 zur Wahrung der rechtsstaatlichen Grundsätze, insbesondere der Gewährung des rechtlichen Gehörs, für ausreichend erachtet wurden (s. Szymczak, Reformvorschläge der Arbeitsgruppe "Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren nach der AO", Der Betrieb 1989, 2092, und Carl/ Klos, a.a.O., Inf 1994, 488 ff.). Der Gesetzgeber ist diesen Empfehlungen gefolgt.
Da der Gesetzgeber selbst auch in späteren Beratungen zur Novellierung der AO 1977 ein allgemeines Akteneinsichtsrecht in der AO 1977 für das steuerliche Verwaltungsverfahren nicht geregelt hat, verstößt es auch nicht gegen die Denkgesetze und Erfahrungssätze, wenn das FG bei der Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung zur Gewährung eines frühzeitigen Einsichtsrechts in die Ermittlungsakten der Steuerfahndung davon ausgeht, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, für die aus rechtsstaatlichen Erwägungen von der Behörde und den Gerichten zugelassenen Ausnahmefälle den Ermessensrahmen eng zu ziehen (vgl. auch BFH in BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475, 478).
c) Die Rechtssache erlangt auch nicht dadurch grundsätzliche Bedeutung, weil das FG nach Ansicht des Klägers Nr. 4 AEAO zu § 91 AO 1977 unzutreffend ausgelegt hätte. Soweit der Kläger in der Art einer Revisionsbegründung behauptet, es bedürfe einer Auseinandersetzung des BFH mit der Frage der Auslegung des AEAO zu § 91 Nr. 4 AO 1977 Sätze 2 bis 4 und hierbei auf eine unterschiedliche Handhabung der Gewährung von Akteneinsicht in Auslegung dieser Vorschriften durch die FÄ hinweist, wirft er zunächst eine Reihe von abstrakten Fragen zum Umfang der bei der Gewährung von Akteneinsicht vorzulegenden Akten auf, die außerhalb des von der Vorinstanz entschiedenen Streitfalles liegen und schon deshalb in einem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wären, weil die Fragen, welche Teile aus den Akten ausgeheftet werden dürften und welche nicht, nicht entscheidungserheblich sind. Mit seinem Vortrag wendet sich der Kläger im Wesentlichen gegen die für fehlerhaft gehaltene Handhabung der Gewährung von Akteneinsicht durch die Verwaltung und eine fehlerhafte Auslegung der Verwaltungsanweisungen in AEAO zu § 91 Nr. 4 AO 1977 durch das FG und damit gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung der Vorinstanz. Dies kann nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. November 2000 X B 39/00, BFH/NV 2001, 610, und vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476).
Der Sache nach begehrt der Kläger in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Auslegung der in AEAO zu § 91 Nr. 4 AO 1977 vorgesehenen Ermessensausübung für die Gewährung von Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren der Steuerfahndung. Diese Frage wäre indes in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie nicht revisibles Recht betrifft (§ 118 Abs. 1 FGO). Maßgeblich für die Auslegung einer Verwaltungsvorschrift ist nicht, wie das Gericht eine solche Verwaltungsanweisung verstehen würde, wenn sie Gesetz wäre, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das Revisionsgericht darf Verwaltungsanweisungen daher nicht selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. BFH-Urteile vom 18. September 1986 VI R 102/85, BFHE 148, 25, BStBl II 1987, 128; vom 24. Oktober 2000 VI R 65/99, BFHE 193, 361, BStBl II 2001, 109).
d) Die Rechtssache erhält auch nicht deshalb grundsätzliche Bedeutung, weil der fehlende Anspruch auf Akteneinsicht im außergerichtlichen Besteuerungsverfahren und eine allein der Finanzverwaltung eingeräumte Ermessensausübung verfassungsrechtliche Grundsätze, nämlich den Anspruch des Steuerpflichtigen auf Gewährung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG oder seinen Anspruch auf Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzen würde. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet den Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 1 BvR 209/83 u.a. ―sog. Volkszählungsurteil―, BVerfGE 65, 1, 70) und Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet, dass der Steuerpflichtige im gerichtlichen Verfahren Gelegenheit erhält, sich zu dem einer Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor deren Erlass zu äußern. Der Sicherung dieser Ansprüche dienen die in den Prozessordnungen verankerten Akteneinsichtsrechte nach § 147 StPO im (Steuer-)Strafverfahren und § 78 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Steuerstrafverfahren und dem Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren ist nach Auffassung des BVerfG Genüge getan, wenn die Akten und Beweisstücke dem Beschuldigten in einem rechtsstaatlich geordneten Strafverfahren nach Abschluss der Ermittlungen offen gelegt werden (vgl. § 147 StPO, und Beschluss des BVerfG vom 12. Januar 1983 2 BvR 864/81, NJW 1983, 1043; vgl. auch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1981 7 B 26.81, NJW 1981, 2270).
e) Schließlich erhält die vom Kläger hervorgehobene Rechtsfrage auch nicht dadurch grundsätzliche Bedeutung, weil das fehlende Akteneinsichtsrecht für das außergerichtliche Steuerverwaltungs- und insbesondere das Ermittlungsverfahren der Steuerfahndung in der AO 1977 im Gegensatz zu einem von § 8 Abs. 1 Nr. 1 und § 18 Abs. 5 des Hessischen Datenschutzgesetzes (HDSG) vom 7. Januar 1999 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen I, 98; Gesetz- und Verordnungsblatt II, 300, 28) eingeräumten Auskunfts- und Einsichtsrecht in die personenbezogenen Daten enthaltenden Akten stünde. Die Rechtsfrage, ob ein Auskunftsanspruch und Akteneinsichtsrecht nach der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ―RL 95/46/EG― (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 281/31), die ihre Umsetzung in das nationale Recht u.a. durch die Neufassung des § 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl I, 2955) durch das Gesetz vom 18. Mai 2001 (BGBl I, 904) und des HDSG erfahren hat, die fehlende Regelung in der AO 1977 überlagert, mit der Folge, dass auch im steuerlichen Verwaltungsverfahren Einsicht in sämtliche Akten ―mithin auch das Fallheft der Steuerfahndungsstelle― zu gewähren wäre, ist aus der Gesetzeslage eindeutig in verneinendem Sinne zu beantworten, so dass es auch hinsichtlich dieses Teilaspekts der aufgeworfenen Frage der Zulassung der Revision nicht bedarf.
Ein allgemeiner Anspruch auf Auskunft über personenbezogene Daten und Einsicht in solche Daten enthaltende Akten könnte sich aus Art. 12 RL 95/46/EG ergeben. Danach garantieren die Mitgliedstaaten jeder betroffenen Person das Recht, von den für die Verarbeitung verantwortlichen Stellen Auskunft über ihre dort gespeicherten Daten zu erhalten. Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) enthält einen Auftrag an die Mitgliedstaaten, die EG-Richtlinie in das nationale Recht umzusetzen, wobei den innerstaatlichen Stellen ―also dem nationalen Gesetzgeber― die nähere Ausgestaltung überlassen bleibt (vgl. Art. 249 EG). Selbst wenn ein allgemeiner ―unmittelbarer― Auskunftsanspruch aus Art. 12 RL 95/46/EG zu bejahen wäre, steht dieser unter dem Vorbehalt des Art. 13 RL 95/46/EG. Nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. e RL 95/46/EG können die Mitgliedstaaten bei Umsetzung in das innerstaatliche Recht Rechtsvorschriften erlassen, die eine Beschränkung des sich aus Art. 12 RL 95/46/EG ergebenden Auskunfts- und Akteneinsichtsrechts insbesondere dann vorsehen, wenn diese Beschränkungen für ein wichtiges finanzielles Interesse eines Mitgliedstaates einschließlich der Steuerangelegenheiten notwendig sind.
aa) Die nationalen Datenschutzgesetze enthalten solche Beschränkungen. So sieht § 1 Abs. 3 Satz 1 BDSG (vormals § 1 Abs. 4 BDSG) ausdrücklich die Subsidiarität des BDSG vor, soweit andere Rechtsvorschriften des Bundes auf personenbezogene Daten anzuwenden sind. Eine ähnliche Regelung enthält das HDSG, das in § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 18 Abs. 5 ein Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht hinsichtlich gespeicherter personenbezogener Daten gewährt. Auch das HDSG gewährleistet indes kein uneingeschränktes Recht auf Akteneinsicht, sondern regelt in § 3 Abs. 3 ausdrücklich, "soweit besondere Rechtsvorschriften über den Datenschutz bei der Bearbeitung personenbezogener Daten vorhanden sind, gehen sie den Vorschriften dieses Gesetzes vor". Darüber hinaus enthält § 18 Abs. 5 HDSG in den Sätzen 3 bis 5 eine Reihe von Beschränkungen des Rechts auf Akteneinsicht im Hinblick auf den Geheimnisschutz und regelt in Satz 5 allgemein, dass den um Einsicht in die Daten nachsuchenden Betroffenen statt dieser Auskunft zu erteilen sein kann.
bb) Die AO 1977 enthält eine in diesem Sinne abschließende Regelung für den Umgang mit den im Besteuerungsverfahren gespeicherten Daten und verdrängt damit gemäß den Subsidiaritätsklauseln entgegenstehende Regelungen der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder zum Auskunfts- und Akteneinsichtsanspruch. Zwar regelt die AO 1977 nicht ausdrücklich, dass ein Anspruch auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren nicht besteht, und die Verwaltung lässt diese in den Ausführungsvorschriften zu § 91 und § 364 AO 1977 in Einzelfällen zur Gewährung des rechtlichen Gehörs auch zu. Das bedeutet indes nicht, dass der Gesetzgeber von der ihm eingeräumten Kompetenz zur Regelung des Steuerverwaltungsverfahrens in der AO 1977 im Hinblick auf das Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht des Betroffenen keinen Gebrauch gemacht hätte oder hätte machen wollen. Vielmehr liegt auch in dem unter II. 1. b dargestellten absichtsvollen Unterlassen einer Regelung durch den Gesetzgeber ein Gebrauchmachen von seiner Regelungsbefugnis, die sich für das steuerliche Verfahrensrecht ―hier die AO 1977― für den Gesetzgeber des Bundes aus Art. 108 Abs. 5 GG ergibt (s. dazu BVerfG-Entscheidung vom 27. Oktober 1998 1 BvR 2306/96 u.a., NJW 1999, 841). Wie sich aus der BTDrucks 7/4092, S. 9 ergibt, hat es der Gesetzgeber ausdrücklich abgelehnt, den Steuerpflichtigen in der AO 1977 ein allgemeines Akteneinsichtsrecht während des Verwaltungsverfahrens einzuräumen und auch in der Folgezeit trotz mehrfacher Gesetzesänderungen der AO 1977 auf die Regelung eines solchen verzichtet. Das Fehlen der Regelung eines allgemeinen Anspruchs auf Akteneinsicht ist daher als absichtsvoller Regelungsverzicht des Gesetzgebers im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG in NJW 1999, 841 und damit als Ausnutzung seiner Regelungskompetenz in der AO 1977 zu qualifizieren mit der Folge, dass es sich hierbei um eine abschließende Regelung des Auskunfts- und Akteneinsichtsrechts in der AO 1977 handelt, die dazu führt, dass die Regelungen der Datenschutzgesetze hinter der Negativregelung der AO 1977 zurücktreten (vgl. § 1 Abs. 3 BDSG; § 3 Abs. 3 HDSG; Metzner, Auskunftsersuchen des Freistellungsauftraggebers über die zu seiner Person beim Bundesamt für Finanzen gespeicherten Daten, Neue Wirtschafts-Briefe, Fach 2, S. 7571 vom 2. April 2001; vgl. auch BFH in BFHE 174, 197, BStBl II 1994, 552).
3. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO unter dem Gesichtspunkt der Divergenz zuzulassen. Eine Divergenz liegt ungeachtet dessen, dass der Kläger die von ihm geltend gemachte Abweichung der Vorentscheidung von dem Senatsbeschluss in BFHE 192, 8, BStBl II 2000, 541 nicht durch die Gegenüberstellung von einander abweichender abstrakter Rechtssätze dargestellt hat, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich gewesen wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juli 2001 VII B 348/00, BFH/NV 2002, 33), nicht vor. Die schlüssige Rüge der Abweichung der Vorentscheidung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von einer Entscheidung des BFH setzt voraus, dass die Entscheidungen zu gleichen, vergleichbaren oder gleichgelagerten Sachverhalten ergangen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 23. Juli 2001 III B 107/00, BFH/NV 2002, 36, und Senatsbeschlüsse vom 27. März 2002 VII B 190/01, BFH/NV 2002, 1275, und vom 11. März 2003 VII B 208/02, BFH/NV 2003, 816). Der Sachverhalt, der dem Senatsbeschluss in BFHE 192, 8, BStBl II 2000, 541 zugrunde lag, ist mit dem Sachverhalt im Streitfall nicht zu vergleichen. Der Senat hatte in seinem Beschluss in BFHE 192, 8, BStBl II 2000, 541 nur darüber zu entscheiden, in welcher Weise ein finanzgerichtliches Urteil, in dem die Finanzbehörde zur Gewährung von Einsicht in eine bestimmte Akte verurteilt worden war, zu vollstrecken ist. Dieser kann schon deshalb keine Divergenzentscheidung sein, weil im Streitfall das Recht auf Einsicht in eine bestimmte Akte der Steuerfahndungsstelle gerade streitig ist und das FG entschieden hat, die Finanzbehörde sei zur Gewährung der Akteneinsicht nicht zu verurteilen.
4. Die Zulassung der Revision ist auch nicht allgemein zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erforderlich. Hierzu muss der Beschwerdeführer schlüssig vortragen, dass die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine (neuerliche) Entscheidung des BFH gesichert werden kann und dass die angestrebte BFH-Entscheidung geeignet und notwendig sei, künftige unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen über die betreffende Rechtsfrage zu verhindern (BFH-Beschluss vom 4. Dezember 2001 X B 112/01, BFH/NV 2002, 346).
a) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung schon deshalb nicht gerecht, weil sie zwar die unterschiedliche Rechtsauffassung des FG des Saarlandes im Urteil vom 4. November 1994 1 K 151/94 (EFG 1995, 156), wonach für eine Ermessensausübung in der Frage der Gewährung von Akteneinsicht überhaupt kein Raum sei, weil es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage fehle, der Rechtsauffassung anderer FG, die einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung mit unterschiedlicher Begründung bejahen (so das Niedersächsische FG in EFG 1991, 625, und das FG Mecklenburg-Vorpommern im Urteil vom 23. Juni 1994 I 174/93, EFG 1995, 50), herausstellt, aber unerwähnt lässt, dass die Entscheidung des Saarländischen FG in EFG 1995, 156 sich gegen die Rechtsprechung des BFH wendet und dass der BFH bislang in ständiger Rechtsprechung ausdrücklich den Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung bejaht hat (vgl. nur BFH in BFH/NV 1996, 64, m.w.N.). Von diesem Rechtsstandpunkt geht auch die Vorentscheidung aus.
b) Entgegen der in der Beschwerdebegründung vertretenen Auffassung beruht die Entscheidung auch nicht auf einer offensichtlich falschen Rechtsanwendung von erheblichem Gewicht, die geeignet wäre, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu gefährden und deshalb die Zulassung der Revision erforderlich machen würde (vgl. zu diesem Zulassungsgrund BFH-Beschluss vom 5. Juli 2002 XI B 136/01, BFH/NV 2002, 1479, 1480). Zu Unrecht hält der Kläger dem FG vor, es habe verkannt, dass das FA eine Ermessensentscheidung i.S. des AEAO Nr. 4 zu § 91 AO 1977 gar nicht getroffen habe. Die Auffassung des FG, dass der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch die Behörde durch eine Abwägung der gegenseitigen Interessen im Einzelfall auch dann Genüge getan ist, wenn das FA in einem völlig gleichgelagerten Parallelfall die Einsicht in die Ermittlungsakten der Steuerfahndungsstelle mit gleichlautenden Argumenten abgelehnt hat, ist weder offensichtlich fehlerhaft noch verstößt sie gegen die Denkgesetze und Erfahrungssätze. Sie spricht vielmehr dafür, dass das FG das Bemühen des FA um eine möglichst gleichmäßige Handhabung des Ermessens bestätigt hat.
5. Die geltend gemachten Verfahrensverstöße (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) sind nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt (vgl. zu den Darlegungserfordernissen Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 25, 48 ff.). …
Fundstellen
Haufe-Index 974096 |
BFH/NV 2003, 1356 |
BStBl II 2003, 790 |
BFHE 1974, 231 |
BFHE 2004, 231 |
BFHE 202, 231 |
BB 2003, 2052 |
DB 2003, 2158 |
DStRE 2003, 1180 |
HFR 2003, 1130 |