Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebot wirksamen Rechtsschutzes: Überlange Verfahrensdauer
Leitsatz (NV)
Von einer Beweisnot aufgrund überlanger Verfahrensdauer, die zu einer Beweismaßreduzierung führt, kann nur ausgegangen werden, wenn alle erdenklichen Beweismittel erschöpft sind.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, §§ 82, 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3; AO § 88 Abs. 1 S. 2; ZPO § 363; GG Art. 19 Abs. 4
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zum Teil entspricht ihre Begründung nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO); im Übrigen sind die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe nicht gegeben.
1. Die aufgeworfene Rechtsfrage, ob eine lange Verfahrensdauer zu einer Beweiserleichterung oder Beweislastumkehr führen kann, hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Sie ist bereits geklärt und stellt sich im Streitfall auch nicht. Deshalb ist auch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Rechtsfortbildung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO erforderlich.
Der BFH hat mit Urteil vom 23. Februar 1999 IX R 19/98 (BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407) entschieden, dass in Fällen, in denen die Beweislage schwierig ist und allein durch die Vernehmung von Zeugen geklärt werden kann, die Gerichte gehalten sind, diesen Umstand bei der zeitlichen Reihenfolge der Bearbeitung und Terminierung eines Verfahrens zu berücksichtigen, um nicht Beweisschwierigkeiten eines Verfahrensbeteiligten zu verursachen. Danach führt ein Verstoß gegen das Gebot des wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) grundsätzlich nicht zu einer Umkehr der Feststellungslast. Etwas anderes gilt nur dann, wenn --was im Streitfall nicht gegeben ist-- die beklagte Behörde schuldhaft zu einer Beweisvereitelung beigetragen hat (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 18. Dezember 1987 7 C 49.87, BVerwGE 78, 367, 370, und BVerwG-Beschluss vom 1. Dezember 1994 3 B 66.94, Buchholz 427.2, § 35 FG Nr. 9). Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat in der Einspruchsentscheidung lediglich die Vermietungsabsicht zugunsten der Klägerin unterstellt, wodurch den Klägern aber nicht der Beweis der Vermietungsabsicht vereitelt wurde. Im Übrigen ist entgegen der Auffassung der Kläger das FA nicht gehalten, jeden Sachverhalt zwingend aufzuklären. Vielmehr bestimmt es Art und Umfang selbst (§ 88 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung --AO--). Dabei darf der Aufklärungsaufwand aufgrund der Begrenzung von Personal und Mitteln im angemessenen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen (Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 24. September 1987, Anwendungserlass zur AO, zu § 88 Nr. 1, BStBl I 1987, 664, 687; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 88 AO Rz 7). Auch der Grundsatz von Treu und Glauben führt nicht zu einer Beweislastumkehr. An die Bejahung der Vermietungsabsicht war das FA im späteren Klageverfahren --wie das Finanzgericht (FG) zutreffend ausführt-- nicht nach Treu und Glauben gebunden (vgl. BFH-Urteil vom 30. September 1997 IX R 80/94, BFHE 184, 406, BStBl II 1998, 771). Das FA hat schon deshalb keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, weil es die Aufwendungen als Herstellungskosten qualifiziert hat und erkennbar aufgrund der geringen steuerlichen Auswirkung der Absetzung für Abnutzung die Vermietungsabsicht für das Streitjahr unterstellte. Ist andererseits aufgrund eines Versäumnisses des Gerichts die Sachaufklärung erschwert, darf dies im Rahmen der Beweiswürdigung nicht den Steuerpflichtigen angelastet werden (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 1996 IX R 47/95, BFHE 182, 178, BStBl II 1997, 348, unter 3. b der Gründe). Vielmehr sind die Regeln einer strengen Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) abzumildern, wenn durch unangemessene Behandlung des Verfahrens durch das FG ein Beweismittel verlorengeht (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juni 1992 X R 50/91, BFH/NV 1992, 741). Dies gilt auch, wenn die überlange Verfahrensdauer durch einen zweiten Rechtszug bedingt ist (vgl. BFH-Urteil vom 25. Januar 2001 IX R 27/97, BFHE 195, 315, BStBl II 2001, 573). Der Umfang, in dem das Beweismaß zu reduzieren ist, richtet sich allerdings nach den Umständen des einzelnen Falles. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche anderen Beweismittel verfügbar sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407).
Von einer Beweisnot der Kläger kann daher nur ausgegangen werden, wenn alle erdenklichen Beweismittel erschöpft sind. Die Kläger haben aber in der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2005 weder eine Vernehmung im Wege der Rechtshilfe oder eine konsularische Vernehmung des Bruders des Klägers gemäß § 82 FGO i.V.m. § 363 der Zivilprozessordnung beantragt, noch diesen als Zeugen gestellt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Oktober 1998 IV B 27/98, BFH/NV 1999, 499; vom 9. Februar 2001 II B 9/99, BFH/NV 2001, 933). Auch haben sie weder in der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2005 noch in der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2005 die Vernehmung des mit Schriftsätzen vom 18. Dezember 2001 und vom 10. Oktober 2005 benannten Zeugen C beantragt.
2. Die Kläger haben die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) nicht hinreichend dargelegt. Dazu ist u.a. erforderlich, dass ein offensichtlicher (materieller oder formeller) Rechtsanwendungsfehler des FG von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung dargetan wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. Januar 2003 IX B 174/02, BFH/NV 2003, 649; vom 8. Februar 2006 III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116). Dies ist nicht geschehen. Im Übrigen ist die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG möglich und schon deshalb nicht willkürlich oder greifbar gesetzwidrig.
3. Die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) sind zum Teil nicht hinreichend und schlüssig dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO); im Übrigen liegen sie nicht vor.
a) Soweit die Kläger die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) durch das FG dahingehend rügen, dass das FG auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen, entspricht ihre Rüge nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Zu einer schlüssigen Rüge hätten die durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Kläger nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. darlegen müssen, welche Tatsachen das FG auch ohne besonderen Antrag hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die weitere Sachaufklärung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits hätte führen können (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 IX B 70/01, BFH/NV 2002, 528, und vom 21. März 2006 X B 94/05, BFH/NV 2006, 1142).
Das Vorbringen der Kläger wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
b) Soweit die Kläger rügen, das FG habe gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen, weil es "Sachverhaltsunterstellungen" vorgenommen habe, da es andere Schlussfolgerungen als sie ziehe, rügen sie der Sache nach eine fehlerhafte Beweiswürdigung. Eine solche ist aber grundsätzlich ein Verstoß gegen materielles Recht, der --selbst wenn er vorliegt-- nicht zur Zulassung der Revision führen kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 1998 IX B 13/98, BFH/NV 1999, 58; vom 12. März 2002 VIII B 2/01, BFH/NV 2002, 1273).
Fundstellen
Haufe-Index 1726831 |
BFH/NV 2007, 1174 |