Entscheidungsstichwort (Thema)
Unbegründetheit der Beschwerde gegen die Zurückweisung eines - mißbräuchlichen - Richterablehnungsgesuchs
Leitsatz (NV)
1. Nach Entscheidung der Hauptsache durch das FG und fruchtlosem Ablauf der Revisionsfrist reicht es in Beziehung auf das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Richterablehnungsgesuchs aus, daß im Falle des Obsiegens im Beschwerdeverfahren unter Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Revision eingelegt werden könnte, um geltend zu machen, i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO hätten bei der Entscheidung Richter mitgewirkt, die mit Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden seien.
2. Mißbräuchlich ist eine Richterablehnung, wenn sämtliche einem Spruchkörper angehörenden Richter ohne deren namentliche Benennung abgelehnt werden und noch nicht einmal ansatzweise geltend gemacht wird, auf welche individuellen in der Person des einzelnen Richters liegenden Gründe die Besorgnis der Befangenheit gestützt wird.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42
Verfahrensgang
Tatbestand
In einem beim FG anhängigen Klageverfahren beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Klin., ein Rechtsanwalt, ihm die den Streitfall betreffenden Akten zur Einsicht in seine Kanzlei zu überlassen. Dies wurde vom Finanzgericht mit Beschluß vom 16. Oktober 1984 abgelehnt. Die hierauf von der Klin. erhobene Beschwerde wurde vom BFH mit Beschluß vom 7. März 1985 V B 84/84 als unbegründet zurückgewiesen. Ein daraufhin erneut gestellter Antrag, die Akten in die Kanzlei zu überlassen, wurde vom FG mit Beschluß vom 1. Juli 1985 abgelehnt.
Daraufhin lehnte die Klin. mit Schriftsatz vom 8. August 1985 die an dem Erlaß des zuletzt erwähnten Beschlusses beteiligten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung ab, deren Verhalten sei Ausdruck von Voreingenommenheit, mit der eine ordnungsmäßige Vorbereitung der anstehenden mündlichen Verhandlung verhindert werde.
Das Finanzgericht hat mit Beschluß vom 23. August 1985 das Ablehnungsgesuch wegen Mißbrauch des Ablehnungsrechts als unzulässig verworfen. An diesem Beschluß haben zwei Richter mitgewirkt, von denen der - die Aktenüberlassung betreffende - Beschluß vom 1. Juli 1985 gefaßt worden ist.
Mit der Beschwerde macht die Klin. geltend, ihr Ablehnungsgesuch sei zu Unrecht als unzulässig behandelt worden. Der angefochtene Beschluß gehe an den geltend gemachten Gründen vorbei. Das Gesamtverhalten des FG lasse bei objektiver und vernünftiger Betrachtung Befangenheit und Parteilichkeit der Richter erkennen.
Nach Erlaß des das Ablehnungsgesuch verwerfenden Beschlusses hat das FG mit dem - am selben Tage verkündeten - Urteil vom 29. August 1985 in der Hauptsache eine abschließende Entscheidung getroffen. Nach der Einlegung der - am 30. August 1985 eingegangenen - Beschwerde hat das FG mitgeteilt, daß das Urteil den Beteiligten am 7. bzw. 9. Oktober 1985 zugestellt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die - zulässige - Beschwerde der Klin. wird als unbegründet zurückgewiesen.
1. Die Beschwerde ist nicht etwa im Hinblick darauf unzulässig, daß das FG in der entsprechenden Hauptsache nach der Verwerfung des Ablehnungsgesuches durch den angefochtenen Beschluß vom 23. August 1985 eine abschließende Entscheidung in Gestalt des - noch am selben Tage verkündeten - Urteils vom 29. August 1985 getroffen hat, die den Beteiligten des Hauptverfahrens inzwischen (am 7. bzw. 9. Oktober 1985) zugestellt worden ist. Obgleich angesichts der Daten der Zustellung von Rechtskraft ausgegangen werden kann, fehlt nicht etwa der Klin. das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde.
Die Klin. würde für den Fall, daß sie mit ihrem Beschwerdevorbringen obsiegt hätte, die Möglichkeit gehabt haben, trotz der inzwischen verstrichenen Revisionsfrist (vgl. § 120 Abs. 1 FGO) unter Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) Revision einzulegen, um geltend zu machen, daß i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO bei der Entscheidung Richter mitgewirkt hätten, die wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt worden seien (vgl. BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217). Dies reicht aus, um zur Zeit ein Rechtsschutzbedürfnis anzuerkennen.
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Beschluß ist angesichts der Rechtsmißbräuchlichkeit der Richterablehnung durch die Klin. (siehe unten) nicht etwa im Hinblick darauf fehlerhaft, daß an seinem Erlaß zwei am Beschluß vom 1. Juli 1985 beteiligte Richter mitgewirkt haben (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638).
Das FG hat ferner nicht zu Unrecht entschieden, daß das Ablehnungsgesuch der Klin. rechtsmißbräuchlich ist.
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen (§ 44 Abs. 1 und 2 ZPO).
Das Gesetz will durch das Ablehnungsrecht eine unparteiliche Rechtspflege sichern. Dabei setzt es voraus, daß ernstlich Umstände angeführt und glaubhaft gemacht werden, die eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Als selbstverständlich setzt das Gesetz weiter voraus, daß mit dem Ablehnungsrecht kein Mißbrauch getrieben wird (vgl. BFH-Beschluß vom 10. März 1972 VI B 141/70, BFHE 105, 316, BStBl II 1972, 570). Mißbräuchlich ist eine Richterablehnung, wenn - wie hier - ohne deren namentliche Benennung sämtliche einem Spruchkörper angehörenden Richter abgelehnt werden und wenn noch nicht einmal ansatzweise geltend gemacht wird, auf welche individuellen in der Person des einzelnen Richters liegenden Gründe die Besorgnis der Befangenheit gestützt wird (vgl. BFH-Beschluß vom 2. Juli 1976 III R 24/74, BFHE 119, 227, BStBl II 1976, 627; BFH-Urteil vom 25. Oktober 1973 IV R 80/72, BFHE 110, 481, BStBl II 1974, 142).
Fundstellen