Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für eine Beschwerde gegen eine Entscheidung gemäß § 74 der FinanzgerichtsordnungFGO
Leitsatz (NV)
Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde gegen einen die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO ablehnenden Beschluss entfällt aufgrund "prozessualer Überholung" auch dann, wenn das Finanzgericht zwischenzeitlich in dem Verfahren, dessen Aussetzung begehrt wird, durch Urteil entschieden hat und hiergegen ein Rechtsmittel beim Bundesfinanzhof eingelegt worden ist.
Normenkette
FGO § 74
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 16.01.2023 - 16 K 16150/21 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) führte beim Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren, in dem er zunächst ausschließlich einen Anspruch gemäß Art. 15 Abs. 3 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geltend machte. Später erweiterte er seine Klage um einen Schadensersatzanspruch (Art. 82 Abs. 1 DSGVO). Das FG trennte die Schadensersatzklage ab und verwies diese zuständigkeitshalber an das Landgericht … (LG). Die übrige Klage wies es ab. Die hiergegen gerichtete Revision ist beim erkennenden Senat anhängig (IX R 35/21).
Rz. 2
Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) den Verweisungsbeschluss an das LG aufgehoben hatte (II B 93/21), beantragte der Kläger beim FG die Aussetzung des Verfahrens betreffend Schadensersatz (§ 74 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Er führte unter anderem an, das Revisionsverfahren IX R 35/21 sei ein für den Schadensersatzanspruch vorgreifliches Rechtsverhältnis. Das FG lehnte die Aussetzung mit dem vorliegend angegriffenen Beschluss vom 16.01.2023 ab.
Rz. 3
Mit Urteil vom 01.03.2023 wies das FG auch die Schadensersatzklage ab. Der Kläger hat hiergegen am 21.06.2023 Revision eingelegt (IX R 17/23).
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
Die Beschwerde hat keinen Erfolg; sie ist unzulässig.
Rz. 5
1. Der Senat kann im vorliegenden Verfahren nicht mehr darüber befinden, ob der angefochtene Beschluss, das seinerzeit beim FG anhängige Klageverfahren wegen Schadensersatz (16 K 16150/21) nicht nach § 74 FGO auszusetzen, rechtmäßig war. Das für eine Sachentscheidung über die Beschwerde erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist entfallen.
Rz. 6
a) In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das Rechtsschutzbedürfnis für eine gegen die Ablehnung der Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 74 FGO gerichtete Beschwerde jedenfalls dann entfällt, wenn das FG über das Verfahren, dessen Aussetzung begehrt wird, mittlerweile entschieden hat und diese Entscheidung rechtskräftig geworden ist. In einem solchen Fall der "prozessualen Überholung" ist es dem BFH als Beschwerdegericht unmöglich geworden, den die Aussetzung ablehnenden Beschluss --sollte er fehlerhaft sein-- aufzuheben und das Verfahren beim FG in den Stand vor Ergehen des ablehnenden Beschlusses zurückzuversetzen (ständige Rechtsprechung: so bereits Senatsbeschluss vom 12.10.1988 - IX B 111/86, juris; nachfolgend u.a. BFH-Beschlüsse vom 25.11.1992 - VIII B 75/92, juris; vom 08.12.1992 - VII B 153/92, juris; vom 09.12.1992 - IV B 155/90, BFH/NV 1993, 426; vom 10.10.2002 - VI B 269/01, BFH/NV 2003, 77 sowie vom 24.10.2011 - XI B 28/11, Rz 8 f.).
Rz. 7
b) Im Ergebnis Gleiches gilt bei einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung der Vorinstanz. Denn das mit der Beschwerde verfolgte Ziel, das Klageverfahren ohne Sachentscheidung des FG durch eine Aussetzung gemäß § 74 FGO zum Ruhen zu bringen, kann nach Ergehen eines Urteils in der Hauptsache nicht mehr erreicht werden (vgl. Senatsbeschluss vom 09.10.1991 - IX B 111/90, juris; ggf. a.A. Brandis in Tipke/Kruse, § 74 FGO Rz 18). Ob dem FG insoweit ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, lässt sich nur noch im Rechtsmittelverfahren gegen die Hauptsacheentscheidung --vorliegend somit im Rahmen der anhängigen Revision IX R 17/23-- überprüfen. Ein Rechtsschutzbedürfnis, diese Frage (auch) zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gegen den die Aussetzung ablehnenden Beschluss zu machen, besteht nicht mehr.
Rz. 8
c) Hiergegen spricht nicht, dass ein gesonderter Beschluss über die Ablehnung der Aussetzung im vorbereitenden Verfahren (§ 79a Abs. 1 Nr. 1 FGO) grundsätzlich mit der Beschwerde angefochten werden muss, um in einer nachfolgenden Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil in der Hauptsache eine Verletzung der Grundordnung des Verfahrens rügen zu können (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10.10.2002 - VI B 269/01, BFH/NV 2003, 77 sowie vom 10.05.2013 - X B 90/12, Rz 13 ff.).
Rz. 9
Zum einen ist im vorliegenden Rechtsstreit die Revision statthaftes Rechtsmittel; ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens wegen einer fehlerhaften Entscheidung gemäß § 74 FGO wird dort von Amts wegen geprüft (BFH-Beschluss vom 28.02.2001 - I R 41/99, BFHE 194, 317, BStBl II 2001, 416, unter 1.b; Werth in Gosch, FGO § 118 Rz 90). Zum anderen entfiele auch bei einer nicht im FG-Urteil zugelassenen Revision das Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde gegen einen die Aussetzung ablehnenden Beschluss, sobald das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist (zutreffend Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 74 FGO Rz 212).
Rz. 10
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 15939916 |
BFH/NV 2023, 1330 |
BB 2023, 2197 |