Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmängel; richtiger Beklagter für Untätigkeitsklage bei Zuständigkeitswechsel
Leitsatz (NV)
1. Der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit tritt erst in dem Zeitpunkt ein, in dem eines der beiden Finanzämter Kenntnis von den insoweit maßgeblichen tatsächlichen Umständen erlangt.
2. Das im Zeitpunkt der Klageerhebung örtlich nicht mehr zuständige Finanzamt ist der falsche Beklagte für die Untätigkeitsklage; diese muss sich vielmehr gegen das örtlich neu zuständige Finanzamt richten.
3. Das örtlich nicht mehr zuständige und das örtlich neu zuständige Finanzamt bilden keine notwendige Streitgenossenschaft.
4. Enthält die Ladung des Beklagten zur mündlichen Verhandlung nicht den Hinweis, dass bei seinem Ausbleiben ohne ihn verhandelt werden kann, berührt dies nicht die Rechte des Klägers; er kann deshalb einen etwaigen Verfahrensmangel insoweit nicht rügen.
Normenkette
AO § 26 S. 1; FGO §§ 59, 63 Abs. 2 Nr. 2, § 91 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3; ZPO § 59
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 01.06.2006; Aktenzeichen 15 K 663/06) |
FG Köln (Urteil vom 01.06.2006; Aktenzeichen 15 K 664/06) |
FG Köln (Urteil vom 01.06.2006; Aktenzeichen 15 K 658/06) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Die der Beschwerde zugrunde liegenden Verfahren sind ein Teil von insgesamt rund … Verfahren, die der Kläger seit 1996 vor dem Finanzgericht (FG) Köln in eigener Sache gegen die Finanzbehörden führt. Durch ein Schreiben des Klägers vom … im Verfahren … vor dem FG Köln wurde bekannt, dass der Kläger seine Anwaltstätigkeit nicht mehr von den bisherigen Büroräumen aus ausübt, die sich im Bezirk des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) A befanden, sondern von seinem Wohnsitz, der sich im Bezirk des FA B befindet.
Das FA A erließ gegen den Kläger noch in Unkenntnis der Verlegung des Betriebssitzes am 22. Juni 2005 Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 1999, gegen die der Kläger am 23. Juni 2005 Einspruch einlegte und am 30. Juni 2005 begründete. Danach erfuhr das FA A vom Wechsel der örtlichen Zuständigkeit auf das FA B (§ 26 Satz 1 der Abgabenordnung --AO--) und gab die Steuerakten am 20. September 2005 an das FA B ab (die Mitteilung des Rechenzentrums an den Kläger erfolgte am 5. Oktober 2005). Da weder das FA A noch das FA B über die Einsprüche entschied, erhob der Kläger am 14. Februar 2006 Untätigkeitsklagen.
Das FG wies den Kläger mit Schreiben vom 15. März 2006 unter Hinweis auf § 63 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darauf hin, dass richtiger Beklagter für die Untätigkeitsklagen das FA B sei und regte eine entsprechende Klageänderung an. Dieser Anregung kam der Kläger mit Schreiben vom 22. März 2006 nicht nach, weil er § 63 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht für einschlägig hielt.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2006 lud das FG den Kläger und das FA A zur mündlichen Verhandlung im Rechtsstreit gegen das FA A am 1. Juni 2006, 10.15 Uhr unter Hinweis darauf, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 91 Abs. 2 FGO); diese Ladung wurde dem Kläger am 12. Mai 2006 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2006 und vom 29. Mai 2006 erweiterte der Kläger die Klagen dahingehend, dass sie sich auch gegen das FA B richteten. Daraufhin lud das FG mit Schreiben vom 24. Mai 2006 das FA B ebenfalls zur mündlichen Verhandlung am 1. Juni 2006, 10.15 Uhr mit dem Hinweis, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
Da der Kläger zur mündlichen Verhandlung am 1. Juni 2006, 10.15 Uhr nicht erschien, verhandelte das FG ohne ihn, beendete die Verhandlung um 10.37 Uhr (für 1997), 10.47 Uhr (für 1998) und 10.51 Uhr (für 1999), trennte das Verfahren ab, soweit es sich gegen das FA B richtete und gab das abgetrennte Verfahren zuständigkeitshalber an den 6. Senat des FG Köln ab und wies schließlich die Klagen gegen das FA A als unzulässig ab, weil sie sich gegen den falschen Beklagten richteten. Die Revision ließ das FG nicht zu.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit den Nichtzulassungsbeschwerden, beantragt die Zulassung der Revision und macht verschiedene Verfahrensmängel sowie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssachen geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerden haben keinen Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor, die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung.
Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
a) Soweit der Kläger als Verfahrensmangel geltend macht, dass eine ordnungsgemäße Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vorliege und deshalb ohne ihn nicht habe verhandelt werden dürfen, trifft dies nicht zu: Die Ladung vom 10. Mai 2006 wurde dem Kläger mit PZU am 12. Juni 2006 zugestellt und enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass auch bei Ausbleiben eines Beteiligten ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 91 Abs. 2 FGO). Geladen wurde der Kläger zum Rechtsstreit gegen das FA A und nur in diesem Verfahren hat das FG auch eine abschließende Entscheidung getroffen, während das durch Klageerweiterung (subjektive Klagehäufung) vom 22./29. Mai 2006 begründete Verfahren gegen das FA B lediglich abgetrennt und an den zuständigen Senat des FG Köln verwiesen wurde.
b) Soweit der Kläger als Verfahrensmangel geltend macht, das FA B sei in seiner Ladung vom 10. Mai 2006 nicht als Beklagter zu 2 genannt, liegt dies zum einen schon daran, dass der Kläger selbst die Klage erst mit Schreiben vom 22. Mai 2006 auf das FA B erweitert hat. Ein Verfahrensmangel kann aber in keinem Fall vorliegen, weil eine Entscheidung nur im Verfahren gegen das FA A getroffen wurde. Es lag auch kein Fall der notwendigen Streitgenossenschaft vor. Das FA A war unstreitig örtlich nicht mehr zuständig; insoweit konnte gegen dieses FA materiell keine Entscheidung mehr ergehen, d.h. eine Rechtsgemeinschaft bezüglich der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre mit dem FA B bestand ebenso wenig wie eine aus demselben rechtlichen oder tatsächlichen Grund bestehende materielle gemeinschaftliche Berechtigung oder Verpflichtung der beiden Finanzämter (vgl. § 59 FGO i.V.m. § 59 der Zivilprozessordnung).
c) Da das FG nur über den Rechtsstreit gegen das FA A entschieden hat, kommt es darauf, dass in der Ladung des Klägers kein Hinweis auf die Möglichkeit des Verhandelns bei Ausbleiben des FA B enthalten ist, nicht an. Insoweit sind schon deshalb keine Rechte des Klägers berührt, weil dieser Hinweis den jeweils Geladenen warnen und schützen soll und sich der Kläger um die Wahrung der Rechte des FA nicht zu kümmern braucht.
d) Die Rüge des Klägers, es sei nicht erkennbar, wie lange das FG auf sein Erscheinen gewartet habe, ist schon deshalb irrelevant, weil er selbst nicht vorträgt, zu einem späteren Zeitpunkt beim FG erschienen zu sein. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass die Verhandlung --wie geladen-- pünktlich um 10.15 Uhr eröffnet wurde, die Uhrzeiten der Schließung der Verhandlungen ergeben sich aus dem Protokoll.
e) Unter Buchst. b wurde bereits ausgeführt, dass zwischen den Finanzämtern A und B kein Rechtsverhältnis bestand, kraft dessen eine Entscheidung nur einheitlich erfolgen konnte. Deshalb geht auch die Rüge des Klägers ins Leere, die Entscheidung sei nur einheitlich möglich gewesen.
f) Das FA B war gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 2 FGO auch der richtige Beklagte für die Untätigkeitsklagen, d.h., das FA A war der falsche Beklagte, weshalb das FG die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen hat. Nach § 26 Satz 1 AO geht die örtliche Zuständigkeit nämlich nicht bereits mit dem Eintritt der die Zuständigkeitsveränderung begründenden Umstände auf das neu zuständige Finanzamt über, sondern erst, wenn eines der beteiligten Finanzämter von diesen Umständen erfährt. Damit ist der Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 2 FGO erfüllt, ohne dass es einer analogen Anwendung bedürfte. Denn vor Erlass einer Einspruchsentscheidung bis zur Kenntniserlangung über die Verlegung der Geschäftsräume des Klägers war das FA A zuständig und nach der Verlegung der Geschäftsräume und durch Kennntnis hiervon wurde das FA B zuständig; dieses war im Zeitpunkt der Erhebung der Untätigkeitsklage zuständig. Da sich diese Frage direkt aus dem Gesetz beantworten lässt, hat sie auch keine grundsätzliche Bedeutung.
Fundstellen
Haufe-Index 1716568 |
BFH/NV 2007, 870 |