Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung der Berechnung auf das FA ; Bezugnahme auf Daten in den Akten
Leitsatz (NV)
Überträgt das FG die Berechnung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO der Behörde, muss es alle für die Berechnung notwendigen Parameter im Urteil bindend bestimmen. Hierzu kann auch auf Daten in den Akten Bezug genommen werden, sofern die Art der Daten und die genaue Fundstelle angegeben werden.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
FG Bremen (Urteil vom 17.01.2007; Aktenzeichen 3 K 43/06 (5)) |
FG Bremen (Urteil vom 17.01.2007; Aktenzeichen 2 K 229/04) |
FG Bremen (Urteil vom 17.01.2007; Aktenzeichen 3 K 67/04 (5)) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine in Liquidation befindliche OHG, die die Gesellschafter A und B 1989 zum Betrieb des italienischen Restaurants C gegründet hatten. Im Folgejahr eröffnete die Klägerin eine weitere Gaststätte D. Im Jahr 1996 verlegte die Klägerin den Betrieb C. In den bisherigen Räumen wurde ein neues Restaurant E eröffnet, das aber nach zwei Jahren wieder eingestellt wurde.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) kam im Rahmen einer Außenprüfung für die Streitjahre (1989 bis 1997) zu dem Ergebnis, dass die Buchführung infolge erheblicher Manipulationen der Gesellschafter nicht ordnungsmäßig sei. Die Prüfer ermittelten die erzielten Umsätze und Gewinne durch Schätzung. Grundlage dafür war eine Nachkalkulation von Umsatz und Gewinn des Jahres 1995 für die Gaststätten C und D. Dabei ergaben sich Rohgewinnaufschlagsätze von 280,21 % (C) bzw. 363,88 % (D). Demgemäß gingen die Prüfer für den gesamten Prüfungszeitraum von gerundeten Aufschlagsätzen von 280 % für C, 360 % für D und 320 % als Mittelwert davon für E aus. Daraus ergaben sich abgerundet folgende Mehrerlöse ohne Umsatzsteuer:
1989 |
360 000 DM |
1990 |
370 000 DM |
1991 |
510 000 DM |
1992 |
630 000 DM |
1993 |
630 000 DM |
1994 |
610 000 DM |
1995 |
440 000 DM |
1996 |
640 000 DM |
1997 |
550 000 DM |
Das FA folgte den Ergebnissen der Prüfung und erließ dementsprechend geänderte Gewerbesteuermessbescheide und Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre (1989 bis 1997) sowie geänderte Bescheide über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31. Dezember 1990, 1991, 1992 und 1997.
Den nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klagen gab das Finanzgericht (FG) betreffend Gewerbesteuermessbescheide und Umsatzsteuer 1989 bis 1997 statt, indem es die angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidung gemäß § 100 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufhob und dem FA weitere Ermittlungen aufgab.
Auf die dagegen erhobenen Beschwerden des FA wegen Nichtzulassung der Revision hob der beschließende Senat mit Beschluss vom 30. Juli 2004 IV B 143-144/02 (BFH/NV 2005, 359) die Urteile des FG auf und verwies die Verfahren an das FG zurück.
Zu der vom FG anschließend angeregten einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits kam es nicht. Das FA hatte im Rahmen einer Außenprüfung für die Jahre 1998 und 1999 erneut Mängel der Buchführung festgestellt. Die Rekonstruktion von Daten einer Festplatte aus der Kasse von C bestätigte aus der Sicht des FA die im Wege der Schätzung für 1998 und 1999 durch Nachkalkulation ermittelten Umsätze. Die Klägerin legte ihrerseits eine eigene Nachkalkulation für D im Jahr 1995 vor, die zu niedrigeren Mehrumsätzen als nach der Kalkulation des FA führte.
Das FG entschied deshalb nach mündlicher Verhandlung durch Urteile vom 17. Januar 2007. Es hielt die Klagen in Bezug auf Gewinn und Umsatz von C für unbegründet. In Bezug auf D kam das FG zu dem Ergebnis, dass der Rohgewinnaufschlagsatz nur 310 % statt 360 % betragen habe. Daraus ergab sich auch ein niedrigerer Mittelwert von 295 % für E.
Die Berechnung der festzusetzenden Gewerbesteuermessbeträge und Umsatzsteuer sowie der festzustellenden vortragsfähigen Gewerbeverluste nahm das FG nicht selbst vor. Es stützte seine Urteilsformeln vielmehr auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO. Der Urteilsausspruch lautet jeweils, die angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidung würden "dahingehend geändert, dass der Besteuerung Mehrumsätze zu Grunde zu legen sind, die durch den Ansatz eines Rohgewinnaufschlagsatzes für den Teilbetrieb C von 280 %, für den Teilbetrieb D von 310 % und für den Teilbetrieb E von 295 % und die Abrundung der so ermittelten Beträge auf volle 10 000 DM zu ermitteln" seien. Die Berechnung werde dem FA übertragen.
Das FA übersandte später Bescheidformulare, mit denen das Ergebnis der Neuberechnung mitgeteilt wurde. Den Bescheiden lag auch eine detaillierte Berechnungsübersicht bei.
Die Revision ließ das FG jeweils nicht zu.
Mit den dagegen erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden macht die Klägerin geltend, die Rechtssachen hätten grundsätzliche Bedeutung, eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich und die Urteile beruhten auf Verfahrensmängeln (Revisionszulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO).
Die Klägerin beantragt in allen drei Fällen, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerden als unbegründet zurückzuweisen.
Nach Ansicht des FA liegt keiner der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe vor.
Entscheidungsgründe
II. Der Senat verbindet die Verfahren IV B 58-60/07 gemäß §§ 121, 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung.
Die Beschwerden sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Verfahren an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 116 Abs. 6 FGO.
1. Das FG hat § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO verfahrensfehlerhaft angewendet, weil die Urteilsaussprüche nicht so gefasst sind, dass die Behörde die festzustellenden oder festzusetzenden Beträge auf Grund der Entscheidung errechnen konnte.
a) Hält ein FG die Anfechtungsklage für (teilweise) begründet und erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Das Gericht muss danach alle entscheidungserheblichen Rechtsfragen abschließend beantworten (BFH-Beschluss vom 14. August 1996 V B 107/95, BFH/NV 1997, 205; BFH-Urteil vom 12. Dezember 2000 VIII R 34/94, BFH/NV 2001, 757, unter II. der Gründe) und die für die Berechnung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags notwendigen Parameter für die Behörde bindend bestimmen (Schmidt-Troje in Beermann/Gosch, § 100 FGO Rz 75; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 100 Rz 37a).
Diese Voraussetzungen sind jedenfalls dann erfüllt, wenn alle für die von der Behörde benötigten Rechengrößen im Urteil zahlenmäßig aufgeführt sind. Eine Angabe aller Rechengrößen im Urteilstenor ist dabei nicht erforderlich, sofern sich die Angaben an anderer Stelle des Urteils finden lassen (BFH-Beschlüsse vom 25. Oktober 2006 VIII B 205/05, nicht veröffentlicht, und vom 23. Februar 1994 IV R 12/93, BFH/NV 1995, 56 zur Vorgängerregelung des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Darüber hinaus kann es auch ausreichen, wenn das Urteil auf Zahlenangaben verweist, die sich in den Akten befinden. Im Hinblick darauf, dass die Behörde in die Lage versetzt werden soll, den Betrag "auf Grund der Entscheidung" zu errechnen, muss das Gericht allerdings genau angeben, welche Daten gemeint und an welcher Stelle sie in den Akten zu finden sind. Dies ist einerseits erforderlich, um der insoweit als Erfüllungsgehilfe des Gerichts tätig werdenden Behörde vollständige Anweisungen zu erteilen. Andererseits werden auch Kläger und Revisionsgericht dadurch in die Lage versetzt, die korrekte Umsetzung des Berechnungsauftrags zu überprüfen.
b) Im Streitfall genügen die Angaben des FG den genannten Bestimmtheitsanforderungen nicht. Weder den Urteilsformeln noch den Tatbeständen oder Entscheidungsgründen der angefochtenen Urteile lässt sich entnehmen, auf welche Beträge die vom FG festgelegten Rohgewinnaufschlagsätze anzuwenden sein sollen. Es ist weiter unklar, wie das aus Anwendung der Rohgewinnaufschlagsätze errechnete Ergebnis in die Festsetzungen (Gewerbesteuermessbetrag, Umsatzsteuer) bzw. Feststellungen (vortragsfähiger Gewerbeverlust) eingehen soll.
Die Klägerin hat insoweit darauf hingewiesen, dass nicht entschieden ist, inwieweit sich der (nunmehr) verringerte Mehrumsatz bei der Umsatzsteuerfestsetzung auf die zum vollen und zum ermäßigten Steuersatz zu besteuernden Entgelte auswirkt. Selbst wenn anzunehmen ist, dass der Handhabung des FA folgend sämtliche Mehrumsätze die dem vollen Steuersatz unterliegenden Entgelte erhöhen, hätte das Gericht dies durch Hinweis auf die Berechnung in … des Betriebsprüfungsberichts vom … klarstellen sollen. Von welchem Wareneinsatz für die Anwendung der Rohgewinnaufschlagsätze auszugehen sein soll, lässt sich darüber hinaus noch nicht einmal dem Betriebsprüfungsbericht entnehmen. Aus den dem Revisionsgericht vorgelegten Akten lässt sich trotz sorgfältigen Studiums nicht für alle Streitjahre das auf die verschiedenen Gaststätten aufgeteilte Zahlenmaterial herausfiltern, das Grundlage für die nach § 100 Abs. 2 Satz 3 FGO mitgeteilten Berechnungen des FA war. Möglicherweise hat das FA hierzu die Handakten des Betriebsprüfers herangezogen.
c) Wegen dieses auch in einem nachfolgenden Revisionsverfahren nicht heilbaren Verfahrensfehlers i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO muss der Senat deshalb erneut von der Möglichkeit zur Aufhebung des Urteils im Beschwerdeverfahren nach § 116 Abs. 6 FGO Gebrauch machen.
2. Im Verlauf des weiteren Verfahrens hat das FG Gelegenheit, sich mit den weiteren im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerden erhobenen Rügen auseinanderzusetzen, zu denen der beschließende Senat wegen des durchgreifenden Verfahrensfehlers nicht mehr Stellung zu nehmen braucht. Insbesondere wird das FG berücksichtigen können, dass Beweisanträge über konkret behauptete entscheidungserhebliche Tatsachen nicht abgelehnt werden dürfen, weil das Gericht bereits --etwa auf Grund eines ihm schlüssig erscheinenden Schätzungsergebnisses-- vom Gegenteil überzeugt ist. Entscheidungserheblich sind im Rahmen einer Schätzung alle Tatsachen, die das Schätzungsergebnis im Rahmen des gewählten Schätzungsverfahrens beeinflussen.
Fundstellen