Gewerbesteuerrechtliches Schachtelprivileg bei doppelt ansässigen Kapitalgesellschaften
Hintergrund: Gewinnausschüttung einer ausländischen Kapitalgesellschaft
Streitig war die gewerbesteuerrechtliche Kürzung von Gewinnausschüttungen einer doppelt ansässigen Kapitalgesellschaft.
Die X-GmbH hat Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland. Ihr Unternehmensgegenstand ist die Verwaltung eigenen Vermögens.
In 2009 war die X-GmbH zu 100 % an der der B-BVBA, einer Gesellschaft mit Sitz in Belgien, beteiligt. Die B-BVBA ist nach dem sog. Rechtstypenvergleich als Kapitalgesellschaft einzuordnen. Ihr Unternehmensgegenstand war das Halten und Verwalten von Beteiligungen. Ihr alleiniger Geschäftsführer wohnte im Inland.
Die B-BVBA war ihrerseits am Stammkapital einer mexikanischen Kapitalgesellschaft (M-CV) beteiligt, die in 2009 aus ihrem in 2008 erzielten Gewinn einen Anteil an die B-BVBA ausschüttete. Die B-BVBA schüttete diesen Betrag noch in 2009 ohne Abschlag weiter an die X-GmbH aus.
Das FA ermittelte den Gewerbeertrag und den vortragsfähigen Gewerbeverlust der X-GmbH antragsgemäß unter Hinzurechnung von 95 % der Gewinnausschüttung der B-BVBA (gemäß § 8 Nr. 5 GewStG i.V.m. § 8b Abs. 1 und 5 KStG). Auf dieser Grundlage setzte das FA den Gewerbesteuermessbetrag für 2009 auf 0 € und den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2009 fest. Den Antrag der X-GmbH, diese Bescheide dahin zu ändern, dass die Hinzurechnung nach § 9 Nr. 7 GewStG wieder gekürzt wird, lehnte das FA ab.
Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt. Zwar seien die Voraussetzungen des § 9 Nr. 7 GewStG nicht erfüllt. Die Gewinnausschüttung der (doppelt ansässigen) B-BVBA erfülle jedoch die Voraussetzungen der Kürzung nach § 9 Nr. 2a GewStG. Eine inländische Kapitalgesellschaft im Sinne dieser Vorschrift liege auch dann vor, wenn sich (nur) der Ort der Geschäftsleitung im Inland befinde.
Entscheidung: Die Hinzurechnung entfällt nach § 9 Nr. 2a GewStG
Der BFH bestätigte das FG-Urteil und wies die Revision des FA zurück. Die Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG ist zu korrigieren und der vortragsfähige Verlust zu erhöhen. Denn die von der B-BVBA an die X-GmbH ausgeschütteten Gewinnanteile erfüllen die Voraussetzungen der Kürzung nach des § 9 Nr. 2a GewStG.
Doppelt ansässige Gesellschaft
Mit ihrem Sitz in Belgien und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland ist die B-BVBA eine "doppelt ansässige" Gesellschaft. Die Einbeziehung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften als "inländische" in den Anwendungsbereich des § 9 Nr. 2a GewStG ist umstritten. Zum Teil wird vertreten, die Voraussetzung einer inländischen Kapitalgesellschaft sei zumindest bei den Gesellschaften zu bejahen, die - wie die B-BVBA - ihren statutarischen Sitz im Ausland und ihren Ort der Geschäftsleitung im Inland haben (z.B. Schnitter in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 9 GewStG Rz. 133). Nach der Gegenmeinung erfordert § 9 Abs. 2a GewStG einen doppelten Inlandsbezug, d.h. Sitz und Ort der Geschäftsleitung müssen sich im Inland befinden (z.B. Brandis/Heuermann/Gosch, § 9 GewStG Rz. 164 f.).
Geschäftsleitung im Inland genügt
Der BFH hält die zuerst genannte Auffassung für zutreffend. Der Inlandsbezug ist auch bei einer Gesellschaft mit Sitz im Ausland gegeben, deren Geschäftsleitung sich im Inland befindet. Das ergibt sich aus der Systematik der gewerbesteuerrechtlichen Schachtelprivilegien. § 9 Nr. 2 GewStG erfasst ausdrücklich Gewinnanteile sämtlicher in- und ausländischer Personengesellschaften. Die Gewinnanteile von Kapitalgesellschaften sind dagegen zum einen in § 9 Nr. 2a GewStG und zum anderen in § 9 Nr. 7 GewStG geregelt. Da § 9 Nr. 7 GewStG ausdrücklich auf Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland beschränkt ist, muss im Umkehrschluss für § 9 Nr. 2a GewStG grundsätzlich ein einfacher Inlandsbezug ausreichen. Die Voraussetzung eines doppelten Inlandsbezugs hätte (wie in § 9 Nr. 7 GewStG der doppelte Auslandsbezug) ausdrücklich geregelt werden müssen.
Zweck des Schachtelprivilegs
Zumindest für den Fall des inländischen Orts der Geschäftsleitung, der zu einer inländischen GewSt führt, sind keine Anhaltspunkte erkennbar, weshalb das Gesetz doppelt ansässige Kapitalgesellschaften von der Anwendung der gewerbesteuerrechtlichen Schachtelprivilegien ausschließen sollte. Entscheidend ist letztlich der Zweck des gewerbesteuerrechtlichen Schachtelprivilegs gemäß § 9 Nr. 2a GewStG, eine gewerbesteuerliche Doppelbelastung sowohl auf Ebene der ausschüttenden Gesellschaft als auch auf Ebene ihres Anteilseigners zu vermeiden (BFH v. 25.1.2006, I R 104/04, BStBl II 2006, S. 844).
Hinweis: Ausschluss der Doppelbelastung
Das Regelungssystem des § 9 GewStG schließt zwar nicht sämtliche gewerbesteuerliche Doppelbelastungen aus. Allerdings unterliegen doppelt ansässige Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland und Ort der Geschäftsleitung im Inland in gleicher Weise wie Kapitalgesellschaften mit doppeltem Inlandsbezug der inländischen Gewerbesteuerpflicht. Ein Grund, weshalb es gerade in diesem Fall bei einer gewerbesteuerlichen Doppelbelastung bleiben soll, obwohl nach § 9 Nr. 7 GewStG sogar Kapitalgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Ausland begünstigt werden, ist auch unter dem Gesichtspunkt einer Typisierung nicht ersichtlich.
Doppelt ansässige Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland
Ob im umgekehrten Fall auch doppelt ansässige Kapitalgesellschaften mit statutarischem Sitz im Inland und Ort der Geschäftsleitung im Ausland als inländische Kapitalgesellschaft i.S. des § 9 Nr. 2a GewStG anzusehen sind, hat der BFH ausdrücklich offen gelassen.
BFH Urteil vom 28.06.2022 - I R 43/18 (veröffentlicht am 13.10.2022)
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