Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von ,,Aprikosenpüree"
Leitsatz (NV)
Zolltariflicher Begriff ,,Fruchtmus, durch Kochen hergestellt" (Vorlage an EuGH)
Normenkette
GZT Tarifst. 20.05 C, 20.06 B
Tatbestand
Die Klägerin ließ im Januar 1984 ,,Aprikosenpüree" aus Argentinien zum freien Verkehr abfertigen. Es handelt sich um ein festes, gelbliches, nach Aprikosen riechendes Mus, zu dessen Herstellung das durch Siebpressung des Fruchtfleisches gewonnene Püree in einem Konzentrierer unter Vakuum erhitzt wird. Das Hauptzollamt (HZA) wies die Ware zunächst der von der Klägerin angemeldeten Tarifst. 20.06 B II a 7aa des Gemeinsamen Zolltarifs - GZT - zu, ordnete sie jedoch später als ,,Fruchtmus, durch Kochen hergestellt" der Tarifst. 20.05 C I b ein und forderte Zoll und Abschöpfung nach (Änderungsbescheid vom 20. März 1984). Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht urteilte, die Ware sei ein durch Kochen hergestelltes Fruchtmus i. S. der Tarifst. 20.05 C I b GZT. Nach den Feststellungen des Sachverständigen werde bei thermischen Konzentrierungen der hier vorgenommenen Art für 10 bis 30 Sekunden der Siedepunkt erreicht. Es sei nicht ersichtlich, daß eine Verdunstung knapp unter dem Siedepunkt stattgefunden habe. Durch das auch nur kurze Erreichen des Siedepunktes sei die Ware ,,angekocht". Es komme nicht darauf an, ob das Produkt chemisch verändert worden sei. Die Tarifnr. 20.06 sei nicht anwendbar, weil die Haltbarmachung oder Herstellung nicht in ,,anderer Weise" erfolgt sei.
Demgegenüber vertritt die Klägerin in der Revision die Auffassung, daß ,,Kochen" eine Veränderung des Produkts voraussetze, nämlich zunächst einen Garprozeß. Bei dem hier vorliegenden Konzentrieren stehe aber als Ziel des Erwärmungsvorgangs der Wasserentzug im Vordergrund, der wesentlich höher sei als bei einem normalen Kochvorgang. Im übrigen reiche für die Anwendung der Tarifnr. 20.05 ein Kochvorgang nicht aus; vielmehr müsse die Ware durch einen solchen Vorgang ,,hergestellt" sein. Das treffe nicht zu, wenn lediglich das Volumen der Ware für Transportzwecke durch Erhitzen reduziert würde, ohne jede chemische Veränderung.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung über die Revision hängt von der Auslegung von Gemeinschaftsrecht ab, nämlich der Tarifnrn. 20.05 und 20.06 GZT.
Nach den den Senat bindenden Feststellungen der Vorinstanz hat die zolltariflich zu beurteilende Ware die Konsistenz eines Fruchtmuses. Zu ihrer Herstellung ist püriertes Fruchtfleisch unter thermischer Konzentrierung im Vakuum kurzfristig zum Siedepunkt gebracht worden. Der Senat hat Zweifel, ob unter diesen Umständen die Ware als ,,Fruchtmus, durch Kochen hergestellt" - Tarifnr. 20.05 - beurteilt werden kann.
Nach den Erläuterungen zum Zolltarif (ErlZT), die als wichtiges Erkenntnismittel bei der zolltariflichen Auslegung heranzuziehen sind, sind Fruchtmuse Waren, zu deren Herstellung passiertes Fruchtfleisch bis zu einer dickbreiigen Konsistenz gekocht wird (ErlZT zu Tarifnr. 20.05 Teil I Rz. 4). Die Ware entspricht nach ihrer Konsistenz diesen Anforderungen. Die Frage ist aber, ob sie durch Kochen hergestellt ist. Der Begriff ,,Herstellen durch Kochen" ist nicht definiert. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß ein Kochprozeß, wie von der Klägerin unter Hinweis auf den Wortsinn vorgetragen, mehr oder anderes erfordert als die Herbeiführung des Siedens (vgl. auch das von der Vorinstanz eingeholte Sachverständigengutachen . . .). Für die Auffassung der Klägerin könnte auch sprechen, daß nach den Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur (ErlKN), und zwar zu der mit der Tarifnr. 20.05 GZT im wesentlichen übereinstimmenden Position 2007, Fruchtmuse ,,durch längeres Kochen" von passiertem Fruchtfleisch . . . hergestellt werden (ErlKN zu Position 2007 - Harmonisiertes System - Rz. 04.0), also möglicherweise durch ein Kochen, das in einer Erwärmung oder Garung besteht, die - auch infolge ihrer freilich nicht näher bestimmten Dauer - dem Erzeugnis spezifische Eigenschaften verleiht (Aufschließung von Geschmacks- und Inhaltsstoffen). Ein nur sehr kurzfristiges Sieden kann nicht als ,,längeres Kochen" gewertet werden. Sollte darin aber das in Tarifnr. 20.05 GZT vorausgesetzte Kochen liegen, so dürfte ein derart behandeltes Fruchtpüree als durch Kochen hergestellt anzusehen sein. Der Begriff ,,Herstellung" drückt einen auf die Hervorbringung eines bestimmten Erzeugnisses gerichteten, mithin zweckbestimmten Vorgang aus, ohne diesen - hier das Kochen - selbst näher zu beschreiben (vgl. die französische Sprachfassung: ,,obtenu[es] par cuisson").
Ist die Ware nicht als durch Kochen hergestelltes Fruchtmus zu beurteilen, so wird sie als ,,in anderer Weise zubereitet" i. S. der Tarifnr. 20.06 GZT anzusehen sein (vgl. ErlZT zu Tarifnr. 20.06 Teil II Rdz. 13 für ,,Fruchtpülpe"). Eine andere Tarifnummer kommt nach Ansicht des Senats nicht in Betracht. Insbesondere scheidet nach der Beschaffenheit des Erzeugnisses eine Zuweisung zu Tarifnr. 20.07 oder zu einer Tarifnummer des Kapitels 8 aus, auch zu Tarifnr. 08.10, die u. a. ,,gekochte" Früchte (als solche) erfaßt.
Aus den vorstehenden Gründen hat der Senat beschlossen, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 177 Abs. 1 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
a) Ist der Gemeinsame Zolltarif (1984) dahin auszulegen, daß ein durch Siebpressung des Fruchtfleisches gewonnenes, in einem Konzentrierer unter Vakuum für maximal 30 Sekunden auf den Siedepunkt gebrachtes Aprikosenpüree als durch Kochen hergestelltes Fruchtmus der Tarifst. 20.05 C zuzuweisen ist?
b) Bei Verneinung der Frage 1: Ergibt die zolltarifliche Auslegung, daß Erzeugnisse der vorbezeichneten Art als ,,Früchte, in anderer Weise zubereitet oder haltbar gemacht" der Tarifst. 20.06 B zuzuweisen sind?
c) Bei Verneinung der Frage 2: Welcher anderen Tarifnummer ist die Ware zuzuweisen?
Fundstellen
Haufe-Index 416632 |
BFH/NV 1990, 272 |