Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter
Leitsatz (NV)
Die Regelung des § 6 Abs. 1 FGO, den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Die namentliche Benennung des Einzelrichters ist nicht notwendig.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5, § 119 Nr. 6
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde mit Bescheid vom 30. Oktober 1989 zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin machte mit ihrem Einspruch u.a. geltend, daß der Bescheid nicht ordnungsgemäß adressiert worden sei und daß der Grundfreibetrag das Existenzminimum nicht abdecke. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) teilte der Klägerin mit, daß zur Zeit keine Einspruchsentscheidung erlassen werden könne, da der Gesetzgeber zur Frage des Grundfreibetrags noch keine Entscheidung getroffen habe. Die Klägerin erhob Untätigkeitsklage.
Die Sache wurde durch Beschluß vom 22. November 1995 auf den Einzelrichter übertragen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab. Die Klage sei rechtsmißbräuchlich, da sie zu einem Zeitpunkt erhoben worden sei, als sowohl das FA als auch das Gericht keine Entscheidung in der Sache hätten treffen können. Die Klage verfehle daher den Zweck des § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), eine Entscheidung in der Sache durch das Gericht zu ermöglichen, wenn die Finanzbehörde das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren unangemessen verzögere. Das Entstehen von Prozeßzinsen könne die Klageerhebung nicht rechtfertigen; im übrigen müßten Steuererstattungsansprüche ohnehin verzinst werden. Dem Begehren der Klägerin, das Verfahren auszusetzen, könne nicht entsprochen werden; in den von der Klägerin genannten Verfassungsbeschwerdeverfahren gehe es um die Auslegung und Anwendung des § 46 Abs. 1 FGO, nicht aber um ein Musterverfahren gegen die Verfassungsmäßigkeit einer im Streitfall anzuwendenden materiellen Norm. Durch eine klageabweisende Entscheidung entstünden der Klägerin keine Rechtsnachteile, da das Einspruchsverfahren gegen den angefochtenen Bescheid weiter anhängig bleibe.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von Bundesrecht, insbesondere der Art. 101 und 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie der §§ 119 Nr. 1 und 6, § 74 FGO.
1. Die Sache sei ohne Namensnennung und ohne Gewährung rechtlichen Gehörs auf den Einzelrichter übertragen worden. Die Vorschrift des § 6 FGO sei verfassungsrechtlich bedenklich. Bei der Bestimmung des zuständigen Richters dürfe kein Ermessen eingeräumt werden. Unter Berücksichtigung dieser Bedenken sei das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) I R 70/94 begnüge sich unter Bezugnahme auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― (Vorprüfungsausschuß) vom 22. September 1983 2 BvR 1475/83 (Neue Juristische Wochenschrift 1984, 559) mit der lapidaren Feststellung, daß § 6 FGO verfassungsgemäß sei.
2. Die Entscheidungsgründe enthielten keine Ausführungen zur Beauftragung eines Einzelrichters; die Entscheidung verstoße daher gegen § 119 Nr. 6 FGO.
3. Vorsorglich werde die Besetzung des entscheidenden BFH-Senats gerügt; der senatsinterne Mitwirkungsplan entspreche nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen; das Verfahren sei bis zur Entscheidung des BVerfG über die Art. 101 GG i.V.m. § 21g Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes betreffenden Verfassungsbeschwerden auszusetzen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist gemäß § 124, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen. Die Revision ist nicht zugelassen worden; die von der Klägerin eingelegte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist durch Beschluß des erkennenden Senats vom heutigen Tag als unbegründet zurückgewiesen worden. Der Fall einer zulassungsfreien Revision, insbesondere nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 und 5 FGO, ist nicht gegeben.
1. Aus den vorgetragenen Tatsachen läßt sich die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts nicht herleiten. Das FG war gemäß § 6 Abs. 1 FGO berechtigt, den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen. Die Regelung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BFH-Beschlüsse vom 10. September 1996 IV R 51/94, BFH/NV 1997, 242; vom 27. März 1998 X R 161/96, BFH/NV 1998, 1487, und X R 105/96, BFH/NV 1998, 1488, m.w.N.; Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 6 FGO Rz. 14 ff.).
Unabhängig von der Frage, ob eine vorherige Anhörung der Beteiligten, die in § 6 Abs. 1 FGO ―im Unterschied zu § 6 Abs. 3 FGO― nicht vorgesehen ist, geboten ist (vgl. hierzu Urteil des FG Baden-Württemberg vom 16. Oktober 1997 10 K 130/97, Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 124, Revision IX R 94/97; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 6 FGO Tz. 9; Buciek, a.a.O., Rz. 27 f.), könnte ihre Unterlassung nicht die zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO eröffnen (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1998, 1488, m.w.N.).
Die namentliche Benennung des Einzelrichters ist nicht notwendig (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1997 IX R 22/95, BFH/NV 1998, 720; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 6 Rz. 7). Die Beteiligten können den Namen des zuständigen Richters jederzeit aus dem senatsinternen Mitwirkungsplan in Erfahrung bringen.
Die Klägerin hat nicht dargetan, daß die Übertragung nicht dem maßgeblichen Mitwirkungsplan entsprochen habe und "greifbar gesetzeswidrig" gewesen sei.
2. Mängel der Begründung der Entscheidung i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO sind nicht erkennbar. Ausführungen zur Übertragung auf den Einzelrichter sind nicht notwendiger Teil des Urteils, sondern Gegenstand des Übertragungsbeschlusses, der ―da unanfechtbar (§ 6 Abs. 4 Satz 1 FGO)― nicht begründet zu werden braucht. Die mitwirkenden Richter ergeben sich nach § 105 Abs. 2 Nr. 2 FGO aus der Bezeichnung des Gerichts und den Namen der Mitglieder, die bei dem Urteil mitgewirkt haben.
3. Die Besetzung des entscheidenden Senats ist nicht zu beanstanden. Sie folgt aus dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für 1999 in Verbindung mit dem senatsinternen Mitwirkungsplan für 1999 vom 11. Dezember 1998. Die Besetzung entspricht den Vorgaben, wie sie in dem Beschluß des BVerfG vom 8. April 1997 1 PBvU 1/95 (BVerfGE 95, 322, BStBl II 1997, 672) für erforderlich gehalten werden.
4. Durch die vorgenannte Entscheidung des BVerfG ist der Antrag nach § 74 FGO gegenstandslos geworden.
Fundstellen
Haufe-Index 171019 |
BFH/NV 1999, 1245 |