Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Vorsitzenden Richters wegen des Eindrucks der Voreingenommenheit
Leitsatz (NV)
1. Nur die Prozeßpartei selbst, nicht aber auch ihr Prozeßvertreter besitzt ein Recht zur Richterablehnung. Gleichermaßen hat auch nur die Prozeßpartei ein Beschwerderecht gegen die Zurückweisung ihres Ablehnungsgesuchs.
2. Ein Ablehnungsgesuch muß gegen einen bestimmten Richter gerichtet werden. Außerdem muß ein Ablehnungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Eine pauschale Ablehnung des gesamten Spruchkörpers ist unzulässig.
3. Ein Ablehnungsgrund läßt sich nicht aus einem im Rahmen der richterlichen Sachaufklärung gebotenen Verhalten herleiten. Dies gilt selbst für fehlerhafte Maßnahmen. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn Gründe dargelegt werden, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht.
4. Richter der Finanzgerichtsbarkeit können nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, sie hätten früher einmal der Finanzverwaltung angehört.
5. Ein objektiver Betrachter kann auf eine Voreingenommenheit eines Vorsitzenden Richters schließen, wenn dieser während einer Sitzungspause in Abwesenheit des Klägers äußert, man sei ja nun ganz unter sich und mit dem Vertreter des Finanzamts Fragen des Rechtsstreits erörtert, ohne den Kläger darüber nach Fortsetzung der mündlichen Verhandlung zu unterrichten.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 42 Abs. 1-2, §§ 43, 44 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Eigentümer eines im Streitjahr 1983 als Zweifamilienhaus bewerteten Gebäudes, das aus einem Erdgeschoß und einem ausgebauten, aber nicht abgeschlossenem Dachgeschoß besteht. Er bewohnt das Erdgeschoß mit seiner Familie; das Dachgeschoß hingegen - so behauptet er - habe im Streitjahr 1983 leergestanden, nachdem er vergeblich versucht habe, es zu vermieten. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) ermittelte für das Streitjahr 1983 einen Nutzungswert für die Räume beider Stockwerke durch Gegenüberstellung des Mietwerts und der Werbungskosten.Mit seiner gegenwärtig beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klage wendet sich der Kläger dagegen, daß das FA für die Räume im Obergeschoß überhaupt einen Nutzungswert angesetzt habe. Anfänglich hatte er sich auch gegen die Höhe des vom FA für alle Wohnräume des Hauses angenommenen Mietwerts gewehrt.
Demgegenüber hat das FA vorgetragen, im Dachgeschoß befänden sich ein Hobbyraum, ein Gästezimmer und ein Bad. Diese Räume seien Bestandteile der Wohnung des Klägers und daher in die Berechnung des Nutzungswerts der eigengenutzten Wohnräume miteinzubeziehen.
Bei der auf den 3. März 1988 anberaumten mündlichen Verhandlung waren als Richter der Vorsitzende Richter am FG A, die Richter am FG B und C sowie die ehrenamtlichen Richter D und E anwesend. Der Kläger erschien mit seinem Prozeßbevollmächtigten und dessen Mitarbeiter F. Der Kläger wiederholte seine Auffassung, daß ein Nutzungswert nur für die von ihm bewohnten Wohnräume im Erdgeschoß angesetzt werden dürfe, während Werbungskosten für das gesamte Haus zu berücksichtigen seien. Der Vorsitzende Richter am FG A und der Berichterstatter Richter am FG B wiesen demgegenüber darauf hin, der Senat könne einen Mietwert nicht ohne ein Sachverständigengutachten feststellen. Auf Antrag des Prozeßbevollmächtigten des Klägers wurde die Sitzung unterbrochen. Der Kläger und der Prozeßbevollmächtigte verließen den Sitzungssaal, während dort der Senat, die Protokollführerin, der Vertreter des FA und der beim Prozeßbevollmächtigten des Klägers tätige Mitarbeiter F zurückblieben. Währenddessen ergab sich ein Gespräch zwischen dem Vorsitzenden Richter am FG A sowie dem Richter am FG B und dem Vertreter des FA darüber, wie dieser sich den Fortgang des Verfahrens vorstelle. Der Vertreter des FA trat für die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Mietwerts ein und fragte, welche Sachverständigen in Betracht kämen und welche Kosten hierfür zu erwarten seien. Der Vorsitzende Richter am FG A und der Richter am FG B stimmten dem Standpunkt des Vertreters des FA zu, daß ein Sachverständigengutachten erforderlich sei. Ergänzend behauptet der Kläger zu dem Inhalt des in Abwesenheit von ihm und seinem Prozeßbevollmächtigten geführten Gesprächs, der Vorsitzende Richter am FG A habe eingangs geäußert, daß man ja nun ,,ganz unter uns" sei. Demgegenüber habe der Vertreter des FA ihn auf die Anwesenheit des Mitarbeiters F hingewiesen. Der Vorsitzende Richter am FG habe gemeint, daß die Einholung eines Sachverständigengutachtens Kosten von etwa 1 500 DM verursachen werde.
Nachdem der Kläger wieder in den Sitzungssaal zurückgekehrt war, fragte ihn der Vorsitzende Richter am FG A, ob er den Rechtsstreit fortsetzen wolle. Ggf. müsse ein Sachverständigengutachten eingeholt werden, das etwa 2 000 DM kosten werde. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung erklärte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, dieser sei mit der vom FA angenommenen Höhe des Mietwerts einverstanden, jedoch dürfe für die Räume im Dachgeschoß kein Nutzungswert angesetzt werden. Er änderte dementsprechend den Klagantrag. Im Anschluß an die mündliche Verhandlung verkündete das FG den Beschluß, daß Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage erhoben werden solle, zu welchem monatlichen Mietzins die im Dachgeschoß belegene, nicht abgeschlossene Wohnung im Jahre 1983 hätte vermietet werden können.
Am 11. April 1988 ging beim FG das Ablehnungsgesuch des Klägers ein, mit dem er den Vorsitzenden Richter am FG A, die Richter am FG B und C sowie die ehrenamtlichen Richter D und E wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte.
Der Vorsitzende Richter am FG A habe durch das in seiner Abwesenheit mit dem Vertreter des FA geführte Gespräch bei dem Kläger den Eindruck erweckt, er habe die Sache über seinen Kopf hinweg verhandeln wollen. Der Vorsitzende Richter am FG A sei offensichtlich darüber verärgert gewesen, daß er den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 3. März 1988 nicht habe einvernehmlich erledigen können. Deswegen solle der Kläger nun wenigstens finanziell geschädigt werden. Aufgrund der gestellten Klaganträge müsse der Kläger damit rechnen, einen erheblichen Teil der Kosten des Sachverständigengutachtens tragen zu müssen. Der Kläger sei durch die Äußerung des Vorsitzenden Richters am FG A, daß er die Kosten des Sachverständigengutachtens von 2 000 DM werde tragen müssen, so verunsichert und verängstigt worden, daß er sich dem Druck des Gerichts nicht mehr habe gewachsen gesehen und ein möglichst schnelles Ende der mündlichen Verhandlung gewünscht habe.
Die Befangenheit des Richters am FG B folge nicht nur daraus, daß er sich an dem in Abwesenheit des Klägers und seines Prozeßbevollmächtigten mit dem Vertreter des FA geführten Gespräch des Vorsitzenden Richters am FG A und dessen Drohungen mit dem Prozeßkostenrisiko beteiligt habe, sondern auch daraus, daß er einen Teil seiner Ausbildungszeit beim FA verbracht habe. Schließlich habe er noch am 28. April 1988 trotz seiner Ablehnung die Übersendung eines Schriftsatzes verfügt.
Der Richter am FG C sowie die ehrenamtlichen Richter D und E seien abzulehnen, weil sie die Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens mitbeschlossen hätten. Diese Beweiserhebung sei überflüssig, da der Kläger sich mit dem vom FA angenommenen Mietwert bereits einverstanden erklärt habe. Die Beweiserhebung schädige den Kläger.
Der Kläger fügte seinem Ablehnungsgesuch eine eidesstattliche Versicherung des Mitarbeiters F bei, in der dieser erklärte, die Angaben des Klägers in seinem Ablehnungsgesuch entsprächen den Tatsachen, soweit darin auf seine Person Bezug genommen worden sei.
Sämtliche wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richter gaben an, sie hielten sich nicht für befangen.
Der Vorsitzende Richter am FG A erklärte in seiner dienstlichen Äußerung, das Gericht habe während der Sitzungspause in Abwesenheit des Klägers und seines Prozeßbevollmächtigten nicht zur Sache verhandelt, sondern sich mit dem Vertreter des FA nur über den Fortgang des Verfahrens unterhalten. Er, der Vorsitzende Richter am FG A, habe den Kläger nicht unter Druck gesetzt und ihm nicht mit einem Kostenrisiko gedroht. Er habe ihn nur auf sein Kostenrisiko für den Fall hingewiesen, daß er unterliegen sollte und dann die Kosten des Verfahrens tragen müßte. Der Vorsitzende Richter am FG A ging auf die Behauptung des Klägers, der Vorsitzende Richter am FG A habe zu Beginn des Gesprächs geäußert, nun sei man ja ganz unter sich, nicht ein.
Die Richter am FG B und C schlossen sich der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden Richters am FG A an.
Das FG erklärte mit Beschluß vom 31. Oktober 1988 das Ablehnungsgesuch des Klägers für nicht begründet. Der Kläger verfolgt mit seiner Beschwerde seine Richterablehnung weiter.
Entscheidungsgründe
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der Beschwerdeschrift geschrieben hat: ,,. . . lege ich gegen den Beschluß des . . . Finanzgerichts vom 31. 10. 1988 Beschwerde ein." Allerdings besitzt nur die Prozeßpartei selbst, nicht aber auch ihr Prozeßbevollmächtigter ein Ablehnungsrecht (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12, und vom 5. Juni 1986 IX B 30/83, BFH / NV 1986, 551). Gleichermaßen ist auch nur die Prozeßpartei selbst durch eine Zurückweisung ihres Ablehnungsgesuchs in ihren Rechten betroffen. Es muß jedoch angenommen werden, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Beschwerde für seinen Mandanten eingelegt hat. Denn Erklärungen eines Prozeßvertreters gegenüber dem Gericht werden in der Regel im Namen des Mandanten abgegeben.
Die Beschwerde des Klägers hat insoweit Erfolg, als der angefochtene Beschluß des FG das Ablehnungsgesuch bezüglich des Vorsitzenden Richters am FG A betrifft. Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am FG A ist begründet. Im übrigen vermag die Beschwerde keinen Erfolg zu haben.
1. Ein Richter kann nach § 51 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, aber bei objektiver und vernünftiger Betrachtung, davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (BFH-Beschluß in BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12).
Das Ablehnungsgesuch muß gegen einen bestimmten Richter gerichtet werden. Außerdem muß der Ablehnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 44 Abs. 2 ZPO). Unzulässig ist es, pauschal den ganzen Spruchkörper abzulehnen. Der Kläger hat zwar alle Richter abgelehnt, die an der mündlichen Verhandlung vom 3. März 1988 teilgenommen hatten; er hat jedoch in bezug auf jeden einen Ablehnungsgrund dargelegt.
2. Einen Ablehnungsgrund im vorstehenden Sinne kann der Kläger mit Erfolg nicht schon daraus herleiten, daß die fünf von ihm abgelehnten Richter an dem Beweisbeschluß vom 3. März 1988 mitgewirkt hatten, demzufolge Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage erhoben werden soll, zu welchem Mietzins die im Dachgeschoß belegene, nicht abgeschlossene Wohnung im Jahre 1983 hätte vermietet werden können.
Ein im Rahmen der richterlichen Sachaufklärungspflicht gebotenes Verhalten begründet grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund. Dies gilt selbst für fehlerhafte Maßnahmen. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn Gründe dargelegt werden, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (BFH-Beschluß vom 16. Januar 1987 IX B 157/86, BFH / NV 1987, 382).
Der Senat vermag die Notwendigkeit der vom FG in seinem Beschluß vom 3. März 1988 angeordneten Beweisaufnahme über die Höhe des Mietwerts der Dachgeschoßräume des Klägers nicht zu erkennen. Die Frage nach der Höhe des Mietwerts der Dachgeschoßräume war unter den Beteiligten außer Streit gestellt worden, nachdem sich der Kläger während der mündlichen Verhandlung vom 3. März 1988 ausweislich der Sitzungsniederschrift mit der vom FA angenommenen Höhe des Mietwerts der Dachgeschoßräume einverstanden erklärt hatte. Das FG sprach auch in der mündlichen Verhandlung vom 3. März 1988 - nach der Sitzungsniederschrift zu urteilen - überhaupt nicht die danach unter den Beteiligten allein noch streitige Frage an, ob für die Dachgeschoßräume ein Nutzungswert anzusetzen war, weil der Kläger - wie das FA behauptete - auch diese Räume mit seiner Familie bewohnt habe, oder ob für diese Räume zwar keine Mieteinnahmen, wohl aber Werbungskosten zu berücksichtigen waren, weil der Kläger - wie er behauptete - sich vergeblich bemüht habe, die leerstehenden Räume zu vermieten.
Der Senat kann jedoch aus der Sitzungsniederschrift vom 3. März 1988 und dem Vorbringen des Klägers nicht hinreichende Umstände entnehmen, die den Schluß rechtfertigen könnten, die Anordnung einer Beweisaufnahme über die Höhe des Mietwerts der Dachgeschoßräume beruhe auf einer unsachlichen Einstellung der mitwirkenden Richter gegenüber dem Kläger oder auf Willkür.
Damit scheidet eine Befangenheit des Richters am FG C sowie der ehrenamtlichen Richter D und E aus, die der Kläger allein aufgrund ihrer Mitwirkung am Beweisbeschluß vom 3. März 1988 abgelehnt hatte.
3. Auch das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Richter am FG B ist nicht begründet.
Der Senat hält eine Besorgnis der Befangenheit des Richters am FG B nicht schon aufgrund einer etwaigen Beteiligung an dem Gespräch des Vorsitzenden Richters am FG A mit dem Vertreter des FA während der Sitzungspause für gerechtfertigt. Es war der Vorsitzende Richter am FG A, der mit dem Vertreter des FA darüber gesprochen hatte, wie dieser sich den Fortgang des Verfahrens vorstelle. Er trug als Vorsitzender die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der mündlichen Verhandlung.
Die Ablehnung des Richters am FG B durch den Kläger kann auch nicht aufgrund seines Vorbringens Erfolg haben, der Richter am FG B habe sich den Drohungen des Vorsitzenden Richters am FG A mit dem Kostenrisiko angeschlossen. Es kann dahinstehen, ob sich hieraus ein Ablehnungsgrund ergeben kann. Jedenfalls verlor der Kläger ein etwaiges, daraus folgendes Ablehnungsrecht nach § 43 ZPO, indem er sich anschließend in die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung einließ und seinen Klagantrag abänderte, ohne den von ihm nunmehr vorgebrachten Ablehnungsgrund geltend zu machen. Denn nachdem der Vorsitzende Richter am FG A und der Richter am FG B den Kläger auf die nach ihrer Meinung bestehende Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens und die hiermit verbundenen Kosten hingewiesen hatten, ließ der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 3. März 1988 seinen Klagantrag ändern.
Ein Ablehnungsgrund ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers, der Richter am FG B habe einen Teil seiner Ausbildungszeit beim FA verbracht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß Richter der Finanzgerichtsbarkeit nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden können, sie hätten früher einmal der Finanzverwaltung angehört (BFH-Beschluß vom 14. April 1986 III B 47/84, BFH / NV 1986, 547, Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 9. Dezember 1987 1 BvR 1 271/87, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung § 51, Rechtsprechung 47).
Schließlich kann es dahinstehen, ob der Richter am FG B gegen § 47 FGO verstoßen hat, indem er nach Eingang des Ablehnungsgesuchs am 11. April 1988 noch am 28. April 1988 die Übersendung eines Schriftsatzes verfügte. Jedenfalls läßt sich bei objektiver und vernünftiger Betrachtung nicht daraus schließen, daß er bei der Entscheidung des Rechtsstreits gegenüber dem Kläger voreingenommen sein werde.
4. Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Vorsitzenden Richter am FG A ist - entgegen der Auffassung des FG - begründet. Der Kläger konnte aufgrund des Verhaltens des Vorsitzenden Richters am FG A anläßlich der mündlichen Verhandlung vom 3. März 1988 bei objektiver und vernünftiger Betrachtung zu der Besorgnis gelangen, der Vorsitzende Richter am FG A werde über seine Klage nicht unvoreingenommen entscheiden. Der Senat ist zu diesem Ergebnis unter Würdigung aller Umstände gelangt.
a) Der Kläger hat glaubhaft gemacht, daß der Vorsitzende Richter am FG A während der Sitzungspause, nachdem der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter den Sitzungssaal verlassen hatten, äußerte, man sei ja nun ganz unter sich. Der Senat hält es - entsprechend den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung - für überwiegend wahrscheinlich, daß der Vorsitzende Richter am FG A dies sagte. Denn zum einen hat der Mitarbeiter F in seiner eidesstattlichen Versicherung diese Äußerung bestätigt; zum anderen hat der Vorsitzende Richter am FG A selbst diese nicht in Abrede gestellt. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, daß ein Richter sich gegen eine derartige Behauptung wie die des Klägers zur Wehr setzt, wenn sie nicht zutrifft.
Ein objektiver Betrachter kann aus der Äußerung des Vorsitzenden Richters am FG A, man sei ja nun ganz unter sich, schließen, daß dieser sich dem im Sitzungssaal verbliebenen Vertreter des FA verbunden fühlt und sich dessen Standpunkt im vorliegenden Rechtsstreit zu eigen macht, während er ein offenes Gespräch mit dem Kläger und dessen Prozeßbevollmächtigten zur Klärung des Sach- und Streitstandes für wenig erfolgversprechend hält.
b) Der schon durch die einleitende Äußerung, man sei ja nun ganz unter sich, begründete Eindruck der Verbundenheit des Vorsitzenden Richters am FG A mit der Verwaltung wird noch dadurch bestätigt, daß dieser anschließend tatsächlich mit dem Vertreter des FA in Abwesenheit des Klägers und seines Prozeßbevollmächtigten anstehende Fragen des vorliegenden Rechtsstreits besprach. Wie der Vorsitzende Richter am FG A in seiner dienstlichen Äußerung eingeräumt hat, erörterte er mit dem Vertreter des FA, wie das Verfahren weitergehen solle.
c) Der Eindruck der Voreingenommenheit des Vorsitzenden Richters am FG A gegenüber dem Kläger wird schließlich dadurch vervollständigt, daß dieser den Kläger und seinen Prozeßbevollmächtigten nach ihrer Rückkehr in den Sitzungssaal offensichtlich nicht über sein in ihrer Abwesenheit mit dem Vertreter des FA geführtes Gespräch unterrichtete. Nach einem solchen Gespräch mit der einen Prozeßpartei wäre es seine Pflicht als Vorsitzender gewesen, auch die andere Prozeßpartei über den Inhalt des Gesprächs in Kenntnis zu setzen. Anderenfalls konnte bei der nichtinformierten Prozeßpartei die Befürchtung aufkommen, ihr könnte das rechtliche Gehör versagt werden. Es finden sich jedoch weder in der Sitzungsniederschrift vom 3. März 1988 noch in der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden Richters am FG A Hinweise dafür, daß er den Kläger und seinen Prozeßbevollmächtigten entsprechend unterrichtet hätte. Es muß daher angenommen werden, daß diese von dem Gespräch des Vorsitzenden Richters am FG A mit dem Vertreter des FA erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung erfuhren, als der Mitarbeiter F Gelegenheit fand, ihnen davon zu berichten. Mangels Kenntnis von dem Ablehnungsgrund konnte der Kläger sein Ablehnungsrecht auch nicht nach § 43 ZPO dadurch verlieren, daß er sich nach seiner Rückkehr in den Sitzungssaal in die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung einließ und seinen Klagantrag abänderte.
5. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 135 Abs. 2 FGO, soweit die Beschwerde erfolglos geblieben ist. Soweit die Beschwerde Erfolg gehabt hat, gehören die Kosten zu denen der Hauptsache (Zöller /Vollkommer, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl. 1987, § 46 Rn. 20).
Fundstellen
Haufe-Index 416427 |
BFH/NV 1990, 240 |