Entscheidungsstichwort (Thema)
Recht auf mündliche Verhandlung bei nachträglicher Beiladung im Verfahren zur Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags
Leitsatz (NV)
1. Erfolgt nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eine notwendige Beiladung und verzichtet der Beigeladene nicht auf mündliche Verhandlung, ist er im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten; die bereits geschlossene mündliche Verhandlung hätte von Amts wegen wiedereröffnet werden müssen.
2. Diesen Verfahrensfehler kann auch der Beteiligte rügen, der einen Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt hat.
Normenkette
FGO §§ 60, 90 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6; GewStG 1999 § 30
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 18.12.2013; Aktenzeichen 8 K 1098/09) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 18. Dezember 2013 8 K 1098/09 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Gemeinde, begehrt, mit einem höheren Anteil an der Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags der X-GbR für den Erhebungszeitraum 2000 einbezogen zu werden. Der zu zerlegende Gewerbeertrag resultiert aus dem Gewinn der vormaligen E. E war über ein Organschaftsverhältnis mit der X-AG verbunden und diese wiederum über ein Organschaftsverhältnis mit der X-GbR. Aufgrund der bestehenden (gewerbesteuerlichen) Organschaftsverhältnisse erfolgte die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags bei der X-GbR.
Rz. 2
Gegenstand des Unternehmens der E ist die Erzeugung, Fortleitung und Verteilung von elektrischer Energie, Fernwärme, Gas und Wasser. Der Betriebssitz der E befindet sich auf dem Gebiet der Klägerin. Das Versorgungsgebiet erstreckt sich im Wesentlichen auf den … Raum.
Rz. 3
Das Finanzamt A hatte zunächst den Gewerbesteuermessbetrag für den Erhebungszeitraum gemäß § 33 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG 1999) hälftig nach den Faktoren „Arbeitslohn” und „Stromabnahme” auf … beteiligte Gemeinden zerlegt. Nachdem im Rahmen eines Änderungsbescheides die genannten Faktoren im Verhältnis von 40 v.H. zu 60 v.H. gewichtet worden waren, verringerte sich dadurch der Anteil der Klägerin.
Rz. 4
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht (FG). Während des finanzgerichtlichen Verfahrens hat der (nunmehr zuständige) Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) den (geänderten) Gewerbesteuermessbetrag nach § 30 GewStG 1999 zerlegt und der Klägerin einen (höheren) Anteil zugerechnet. Der Zerlegungsmaßstab blieb allerdings unverändert. Im Klageverfahren machte die Klägerin geltend, dass der Faktor „Arbeitslöhne” (unter Berücksichtigung von weiteren Faktoren „Wohnen der Arbeitnehmer” und „Wohnen der Arbeitnehmerkinder”) mit mindestens 75 v.H. und ein auf das Anlagevermögen bezogener Faktor (Buchwert der Betriebsanlagen, alternativ abgegebene Strommengen) mit höchstens 25 v.H. im Rahmen der Zerlegung nach § 30 GewStG 1999 zu berücksichtigen sei. Das FG folgte dieser Auffassung der Klägerin nicht und wies die Klage als unbegründet ab (Sächsisches FG, Urteil vom 18. Dezember 2013 8 K 1098/09).
Rz. 5
Im finanzgerichtlichen Verfahren hatte am 6. Juni 2012 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Dabei haben ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung die anwesenden Beteiligten mit „Rücksicht auf die in Aussicht gestellte Änderung des Bescheides …, mit Rücksicht auf die Notwendigkeit einer Beiladung der Steuerpflichtigen und mit Rücksicht auf das Verböserungsverbot gegenüber der Klägerin und den deswegen vorzunehmenden Berechnungen” ihr Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren erklärt. Der Rechtsstreit wurde vertagt und das schriftliche Verfahren angeordnet. Mit Beschluss vom 16. November 2012 wurde die X-GbR als Steuerschuldnerin der Gewerbesteuer zu dem Verfahren beigeladen. Die X-GbR wurde im weiteren Verfahren weder dazu aufgefordert, eine Erklärung darüber abzugeben, ob sie auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet noch hat sie von sich aus eine entsprechende Erklärung abgegeben. Eine weitere mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden. Die angefochtene Entscheidung erging „mit Zustimmung der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung”.
Rz. 6
Die Klägerin macht Verfahrensmängel der vorinstanzlichen Entscheidung geltend und beantragt unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Revision gegen das FG-Urteil zuzulassen.
Rz. 7
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
Rz. 9
1. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, liegt vor. Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2012 beigeladene X-GbR war im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten. Das FG hätte nach der mit Beschluss vom 16. November 2012 angeordneten Beiladung der X-GbR nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen.
Rz. 10
a) Ein Beteiligter ist in gesetzeswidriger Weise im Verfahren vor dem FG nicht vertreten, falls das Gericht bei der Vorbereitung oder Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften nicht genügte und dadurch der Beteiligte nicht zu Wort kommen konnte. Eine verfahrensfehlerhafte Entscheidung ohne mündliche Verhandlung liegt auch dann vor, wenn ein FG nach Schluss der mündlichen Verhandlung weitere Personen notwendig beilädt und diese nicht auf die mündliche Verhandlung verzichten. Bei diesem Verfahren fehlt eine mündliche Verhandlung unter Beteiligung der Beigeladenen. Die bereits geschlossene mündliche Verhandlung hätte von Amts wegen wiedereröffnet werden müssen (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 8. Oktober 1998 VIII R 67/96, BFH/NV 1999, 497; vgl. Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 93 Rz 10).
Rz. 11
Erfolgt im Laufe eines finanzgerichtlichen Verfahrens eine notwendige Beiladung, so muss der Beigeladene zwar den Verfahrensstand im Zeitpunkt der Beiladung übernehmen (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 60 FGO Rz 101). Dies führt jedoch nicht dazu, dass Beigeladene das Recht auf mündliche Verhandlung durch Beiladung nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung verlieren. § 90 Abs. 2 FGO macht den Verzicht auf mündliche Verhandlung vom Einverständnis aller Beteiligten abhängig. Daraus ergibt sich, dass alle Beteiligten, also auch die Beigeladenen (§ 57 Nr. 3 FGO), einen eigenen Anspruch auf mündliche Verhandlung haben. Eine mündliche Verhandlung nur mit einem Teil der Beteiligten ist unter Berücksichtigung der Bedeutung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 60 Rz 13) nicht genügend (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 497).
Rz. 12
b) Im Streitfall hat die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2012 sowie nach dem Beschluss zur Vertagung des Rechtsstreits und Anordnung des schriftlichen Verfahrens beigeladene X-GbR nicht wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet. Ein Verzicht ist nur wirksam, wenn er klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Selbst wenn die X-GbR –wie der Prozessvertreter der B-GmbH und damit der mittelbar von ihr vertretenen beigeladenen Gemeinden behauptet– Kenntnis von der Absicht des FG gehabt hätte, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, könnte aus einem bloßen Schweigen der X-GbR im weiteren finanzgerichtlichen Verfahren kein Einverständnis abgeleitet werden, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
Rz. 13
c) Dieser Verfahrensfehler ist ein absoluter Revisionsgrund, bei dem gemäß § 119 Nr. 4 FGO davon auszugehen ist, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Den Verfahrensverstoß kann auch der Beteiligte rügen, der einen Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt hat (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 FGO Rz 322). Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Auf die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehler war von daher nicht mehr einzugehen.
Rz. 14
2. Der Senat sieht davon ab, das Rubrum des Urteils der Vorinstanz vom 18. Dezember 2013 8 K 1098/09 dahingehend zu berichtigen, dass als weitere Beigeladene die X-GbR genannt wird. Eine Beiladung der X-GbR ist zwar mit Beschluss vom 16. November 2012 erfolgt. Das Urteil der Vorinstanz wurde zudem der X-GbR mit Zustellungsurkunde am 15. Januar 2014 übergeben. Das Urteil enthält allerdings im Rubrum keine Nennung der X-GbR als Beteiligte des Verfahrens. Es handelt sich um einen Schreibfehler und damit eine offensichtliche Unrichtigkeit gemäß § 107 Abs. 1 FGO, zu deren Berichtigung der Senat im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens auch ohne entsprechenden Antrag zuständig wäre (BFH-Beschluss vom 24. Mai 2007 VII B 105/06, BFH/NV 2007, 1902). Angesichts der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG nach § 116 Abs. 6 FGO hält der Senat eine Berichtigung nicht für erforderlich.
Rz. 15
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Rz. 16
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 8575195 |
BFH/NV 2015, 1695 |