Entscheidungsstichwort (Thema)
Erledigung in der Hauptsache; Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO
Leitsatz (NV)
Hat das FA dem Klageantrag nur zum Teil entsprochen und erklären die Beteiligten hierauf übereinstimmend die Hauptsache für erledigt, so ist über die Kosten gemäß § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen zu entscheiden.
2 Werden die übereinstimmenden Erledigungserklärungen erst im Revisionsverfahren abgegeben, so wird das angefochtene Urteil des FG - einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung - gegenstandslos.
Normenkette
FGO § 138
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren (1975 bis 1977) als Kommanditist an der A-KG (im folgenden: KG) beteiligt.
Die KG reichte für die Streitjahre beim Finanzamt (FA) (Betriebs-FA) Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte ein. Hierauf erließ das Betriebs-FA gemäß § 180 Abs. 1 Nr.2a der Abgabenordnung (AO 1977) Gewinnfeststellungsbescheide für die Streitjahre.
Die auf den Kläger hiernach entfallenden Verlustanteile berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (Wohnsitz-FA) bei der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer.
Anläßlich einer steuerlichen und strafrechtlichen Überprüfung der KG wurde bekannt, daß die erklärten Buchverluste den Finanzbehörden vorgetäuscht worden waren.
Aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung wurden die Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte für die Streitjahre geändert. Danach entfallen auf den Kläger nur noch folgende Verlustanteile:. . .
Durch Bescheid vom 29. November 1983 setzte das Wohnsitz-FA gemäß § 235 AO 1977 Hinterziehungszinsen gegen den Kläger fest. Auf dessen Einspruch hin ermäßigte das FA den Zinsbetrag für 1975; im übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es hob den Bescheid über die Festsetzung der Hinterziehungszinsen in der Form der Einspruchsentscheidung auf.
Zur Begründung führte das FG aus: Das Wohnsitz-FA sei nicht befugt gewesen, anstelle des Betriebs-FA eine abschließende Feststellung darüber zu treffen, inwieweit die in den geänderten Gewinnfeststellungsbescheiden festgestellten Verlustminderungen auf Hinterziehungshandlungen beruhten. Hinterziehungszinsen könnten vom Kläger nur insoweit erhoben werden, als die auf den Verlustkürzungen bei der KG beruhenden Einkommensteuernachforderungen gegen den Kläger gerade auf Hinterziehungen im Bereich der KG beruhten. Unstreitig seien in den geänderten Gewinnfeststellungsbescheiden des Betriebs-FA auch Verlustkürzungen vorgenommen worden, die nicht mit Hinterziehungshandlungen in Zusammenhang stünden. Für den Umfang der Zinspflicht sei also das Verhältnis der hinterziehungsbefangenen Verlustkürzungen und der übrigen Verlustkürzungen von entscheidender Bedeutung. Die hierzu maßgebenden Sachverhaltsfeststellungen könne das Wohnsitz-FA schwerlich treffen. Es hätten vielmehr Gewinnfeststellungsbescheide ergehen müssen, in denen nicht nur die Verlustkürzungen ausgewiesen werden, sondern in denen auch zusätzliche Angaben darüber enthalten sind, in welcher Höhe diese Verlustkürzungen auf Hinterziehungshandlungen beruhen. Aus dem Fehlen solcher Grundlagenbescheide folge die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Zinsbescheids. Ein Zinsbescheid in der hier vorliegenden Form könne ohne Grundlagenbescheide auch nicht nach § 155 Abs. 2 AO 1977 als rechtmäßig angesehen werden.
Mit der Revision rügte das FA die Verletzung materiellen Rechts. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß als Voraussetzung für die Zinsfestsetzung ein Grundlagenbescheid erforderlich sei.
Während des Revisionsverfahrens - am 31. August 1988 - hat das Wohnsitz-FA den angefochtenen Zinsbescheid nach § 175 Abs. 1 Nr.1 AO 1977 geändert. Der Änderung liegt eine Mitteilung des Betriebs-FA vom 10. November 1987 zugrunde, mit der die durch Bescheid vom 15. Oktober 1987 einheitlich und gesondert festgestellten hinterziehungsbefangenen Verlustkürzungen bekanntgegeben wurden. Der Kläger beantragte, den geänderten Bescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Revisionsverfahrens zu machen. Der geänderte Bescheid vom 31. August 1988 wurde aufgrund einer weiteren Mitteilung des Betriebs-FA vom 22.Mai 1989 nochmals - und zwar am 25. Juli 1989 - geändert.
Der Kläger erklärte ,,im Hinblick auf diese Änderung" die Hauptsache für erledigt. Er beantragt, die Kosten des gesamten Rechtsstreits dem FA aufzuerlegen und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Das FA erklärte, gegen den geänderten Bescheid vom 25. Juli 1989 liege kein Einspruch vor; er sei auch nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden. Er sei somit bestandskräftig. Im Hinblick hierauf erkläre es den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das FA beantragt, die Kosten des Verfahrens gemäß § 138 Abs. 1 FGO teilweise dem Kläger aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
1. Es ist davon auszugehen, daß die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt haben.
a) Die Voraussetzungen für die Abgabe einer wirksamen Erledigungserklärung haben auf seiten des Klägers vorgelegen. Die Auffassung des FA, vor Abgabe dieser Erklärung hätte der Kläger den nochmals geänderten Bescheid vom 25. Juli 1989, der den Anlaß für die Erledigungserklärung gab, gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens machen müssen, ist unzutreffend (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Oktober 1990 II R 45/88, BFHE 162, 215, BStBl II 1991, 102).
b) Es liegt auch eine uneingeschränkte Erledigungserklärung des FA vor. Aus den Ausführungen des FA ergibt sich zwar, daß das FA seine Erledigungserklärung im Hinblick darauf abgegeben hat, daß der Kläger gegen den Bescheid vom 25. Juli 1989 keinen Einspruch eingelegt und diesen Bescheid auch nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat. Der Senat sieht in diesen Ausführungen jedoch lediglich eine Begründung - und keine Einschränkung - für die Abgabe der Erledigungserklärung.
2. Infolge der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Da die Erklärungen erst im Revisionsverfahren abgegeben wurden, ist das angefochtene Urteil einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung gegenstandslos geworden (vgl. BFH-Beschluß vom 25. Juli 1985 VIII R 47/84, BFH/NV 1987, 184). Der Senat hat nunmehr nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden (BFH-Beschluß vom 26. September 1985 IX R 60/85, BFH/NV 1987, 317).
3. Rechtsgrundlage für die Kostenentscheidung ist § 138 Abs. 1 FGO. Eine Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 2 FGO hätte vorausgesetzt, daß der Rechtsstreit dadurch erledigt wird, ,,daß dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben . . . wird". Etwas Derartiges lag hier nicht vor. Das FA hat dem Klageantrag vielmehr nur zum Teil entsprochen, indem es den Änderungsbescheiden nunmehr die vom Kläger zu Recht vermißten gesonderten Feststellungen des Betriebs-FA über die hinterziehungsbefangenen Verlustkürzungen zugrunde gelegt hat. Damit ist aber dem Antrag des Klägers auf vollständige Aufhebung der Zinsbescheide nicht entsprochen worden. Entspricht aber das FA dem Antrag des Steuerpflichtigen in einem Änderungsbescheid nur teilweise und erklären in einem solchen Fall die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt, so ist über die Kosten nach § 138 Abs. 1 FGO zu entscheiden (BFH-Beschluß vom 13. August 1986 V R 112/80, BFH/NV 1987, 54).
Nach § 138 Abs. 1 FGO ist die Entscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu treffen. Einem Beteiligten sind danach in der Regel die Kosten aufzuerlegen, wenn er nach dem bisherigen Sach- und Streitstand bei Fortsetzung des Rechtsstreits unterlegen wäre, da er dann nach dem Gesetz die Kosten zu tragen gehabt hätte. Zur Entscheidung darüber braucht allerdings die Rechtslage nicht eingehend geprüft und die Sachlage nicht abschließend geklärt zu werden (BFH-Beschluß vom 25. Juli 1991 III B 555/90, BFHE 164, 570, BStBl II 1991, 876).
Nach Auffassung des Senats erfordert es die Billigkeit im Streitfall, den Beteiligten die Kosten je zur Hälfte aufzuerlegen. Der BFH hat durch Urteil vom 19. April 1989 X R 3/86 (BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596) über die Rechtsfragen, auf die es dem Kläger ankam, in einem von einem anderen Kommanditisten betriebenen Parallelverfahren entschieden. Hiernach ist die Frage, ob und in welchem Umfang Steuernachforderungen gegen die Gesellschafter der KG auf Hinterziehungshandlungen beruhen, im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung zu klären. Soweit ein Zinsbescheid die einheitlich und gesonderte Feststellung vorwegnimmt, ist er durch die Vorschriften der §§ 155 Abs. 2 und 162 Abs. 3 AO 1977 nicht gedeckt. Für den Adressaten des Zinsbescheids muß vielmehr aus dem Bescheid selbst oder aus den Umständen eindeutig zu erkennen sein, daß eine der Besteuerungsgrundlagen - nämlich der Umfang des durch die Hinterziehung erlangten Vorteils - von der Klärung in dem Feststellungsbescheid abhängig ist. Daran hat es im Streitfall zunächst gefehlt. Die nach dem BFH-Urteil in BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596 gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen wurden erst den im Laufe des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheiden vom 31. August 1988 und vom 25. Juli 1989 zugrunde gelegt.
Wenn der Kläger auch hinsichtlich dieses - streitwertmäßig nicht genau quantifizierbaren - Punkts mit seiner Klage Erfolg gehabt hätte, so hätte er doch mit seinem auf vollständige Aufhebung des Zinsbescheids gerichteten Begehren keinen Erfolg haben können. Die Auffassung des Klägers, gegen ihn könne schon deshalb kein Anspruch auf Hinterziehungszinsen bestehen, weil er die Steuerhinterziehung nicht selbst begangen habe, trifft nicht zu (BFH-Urteil in BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596). Ebensowenig konnte sich der Kläger darauf berufen, daß er allenfalls als Gesamtschuldner - neben dem Hinterzieher - zinspflichtig sei, der Hinterzieher aber primär in Anspruch genommen werden müsse (BFH-Urteil in BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596).
Bei dieser Sachlage hält es der Senat für billig, daß jeder der Beteiligten die Hälfte der Kosten trägt.
Angesichts der Schwierigkeit der Rechtslage war die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das gegen den Bescheid vom 31. August 1988 gerichtete Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 418762 |
BFH/NV 1993, 188 |