Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Anordnungsgrund bei einer einstweiligen Anordnung
Leitsatz (NV)
1. Nur schwerwiegende Gründe rechtfertigen eine Regelungsanordnung.
2. Ändert sich die maßgebende Situation im Beschwerdeverfahren, so bedarf die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes weiterer Darlegungen.
Normenkette
FGO § 114
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) ist mit Steuern rückständig. Am 13. Juli 1988 kündigte der Antraggegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) der Beschwerdeführerin telefonisch an, daß aus dem Körperschaftsteuerbescheid 1985 sowie den festgesetzten Körperschaftsteuervorauszahlungen für 1986 und für das I. und II. Vierteljahr 1987 vollstreckt würde. Nach erfolglosem Einspruchs- und Beschwerdeverfahren ist beim Finanzgericht (FG) unter dem Az. . . . neben anderen Rechtsstreitigkeiten ein Verfahren wegen Ablehnung von Vollstreckungsaufschub nach § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) hinsichtlich rückständiger Körperschaftsteuer sowie rückständiger Körperschaftsteuervorauszahlungen für 1986 und für das I. Vierteljahr 1987 anhängig. Im vorliegenden Verfahren beantragte die Beschwerdeführerin beim FG, dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen, die ihre Grundlage im Körperschaftsteuerbescheid 1985 haben und die darüber hinaus die Körperschaftsteuervorauszahlung für das I. und II. Quartal 1987 betreffen.
Das FG wies den Antrag ab. Zur Begründung führte es u. a. aus: Es fehle an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches (vgl. § 114 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Unbilligkeit der angekündigten Vollstreckung i. S. des § 258 AO 1977 könne nicht daraus hergeleitet werden, daß die zu vollstreckenden Verwaltungsakte rechtsfehlerhaft seien. Einwendungen gegen deren Rechtmäßigkeit seien bei der Entscheidung über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht zu berücksichtigen (vgl. § 256 AO 1977). Überdies könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Körperschaftsteuerbescheid 1985 sowie der Vorauszahlungsbescheid für 1986 an schwerwiegenden Mängeln leide. Im übrigen geht das FG in den Gründen der Vorentscheidung im einzelnen auf die Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen die Steuerbescheide ein und kommt zu dem Ergebnis, daß die Bescheide nicht als offenkundig fehlerhaft anzusehen sind und die Würdigung des den Finanzbehörden zugänglichen Sachverhalts vertretbar erscheint. Zur behaupteten Unbilligkeit der angekündigten Vollstreckung führt das FG überdies aus: Die Beschwerdeführerin könne nicht mit Erfolg vortragen, daß die Existenz ihres Betriebes gefährdet werde. Sie verkenne, daß die Anwendung des § 258 AO 1977 voraussetze, daß vorübergehende Umstände vorlägen, die eine Vollstreckung unbillig erscheinen ließen. Die im übrigen wenig substantiierte Behauptung, durch die Vollstreckung aus dem Körperschaftsteuerbescheid sowie aus den Vorauszahlungsbescheiden werde die Existenz des Unternehmens gefährdet, besage nicht, daß die Gefahr nur vorübergehend sei und daß durch eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung die Gefahr beseitigt werde.
Ihre Beschwerde begründet die Beschwerdeführerin im wesentlichen wie folgt: Sie habe unstreitig bereits einen Berichtigungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO 1977 hinsichtlich des Körperschaftsteuerbescheides 1985 gestellt. Dieser Antrag sei vom FA abgelehnt worden. Gegen die Ablehnung sei Einspruch eingelegt worden, über den bis heute noch nicht entschieden worden sei (die Entscheidung ist inzwischen ergangen). Sie, die Beschwerdeführerin, könne im Rahmen des Antragsverfahrens nach § 164 Abs. 2 AO 1977 einstweiligen Rechtsschutz nach § 69 FGO nicht erhalten, da ein anfechtbarer Verwaltungsakt nicht vorhanden sei. Es müsse ihr also einstweiliger Rechtsschutz nach § 114 FGO gewährt werden. Im vorliegenden Fall sehe sich das FA trotz der unstreitig bestehenden ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung des Jahres 1985 veranlaßt, die Vollstreckung aus diesem Bescheid zu betreiben. Die steuerlichen Folgen des Körperschaftsteuerbescheides 1985 für die Vorauszahlungen der Jahre 1986 und 1987 seien in der Klage auf Vollstreckungsschutz dargestellt worden. Im Gegensatz zur Auffassung des FG dürfe im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht darauf abgestellt werden, ob der zu berichtigende Bescheid offenkundig fehlerhaft sei. Im Rahmen des Verfahrens nach § 164 Abs. 2 AO 1977 könnten die Grundsätze des § 69 FGO nicht außer Betracht gelassen werden. Eine andere Betrachtungsweise würde dazu führen, daß hinsichtlich des Vollzugs von Verwaltungsakten und Steuerbescheiden unterschiedliche Voraussetzungen gälten, je nachdem, ob der Bescheid durch einen Einspruch angefochten oder ob Antrag auf schlichte Berichtigung dieses Bescheides gestellt werde.
Unter Berücksichtigung dieser Beschwerdebegründung führte das FG einen Erörterungstermin durch, in dem der Berichterstatter mit den Beteiligten die Streitsache mit dem Ziel einer weitgehenden Bereinigung der bei Gericht anhängigen Verfahren verhandelte. Auf Anregung des Gerichts erzielten die Beteiligten folgende Einigung: Das FA erklärt sich bereit, für 1985 und 1986 Aussetzung gegen geeignete Sicherheitsleistung (§ 241 AO 1977) zu gewähren. Der Beschwerdeführerin wurde eine Frist von 14 Tagen gewährt zur Erklärung, ob sie die Beschwerde zurücknehme. Sie teilte sodann mit, daß sie die Beschwerde aufrechterhalte. Das FA teilte mit, daß eine Sicherheitsleistung in Höhe von insgesamt . . . DM zur Verfügung zu stellen sei, damit Aussetzung der Vollziehung gewährt werden könne.
Mit der Einspruchsentscheidung wies das FA den Einspruch der Beschwerdeführerin gegen die Ablehnung ihres Änderungsantrages nach § 164 Abs. 2 AO 1977 in bezug auf die Körperschaftsteuer 1985 zurück. Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Die Beschwerdeführerin beantragt eine Regelungsanordnung nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Eine solche Anordnung setzt voraus, daß der Antragsteller eine einstweilige Maßnahmen rechtfertigende Rechtsposition innehat (Anordnungsanspruch) und daß derartige Maßnahmen außerdem notwendig sind (Anordnungsgrund). Beides ist glaubhaft zu machen (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die Beschwerdeführerin hat nicht glaubhaft gemacht, daß ein Anordnungsgrund gegeben ist. Es bedarf daher keines Eingehens auf die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht verneint hat, daß die Beschwerdeführerin den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat.
Ein Anordnungsgrund ist in den Fällen des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO nur gegeben, wenn die einstweilige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen vor Abschluß des Hauptsacheverfahrens als nötig erscheint. Bei der Interessenabwägung sind die Belange der Öffentlichkeit und die privaten Interessen des Antragstellers zu berücksichtigen. Die Gründe - auch die ,,anderen" - müssen so schwerwiegend (wesentlich) sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 114 Anm. 49, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -).
Einen solchen Grund hat die Beschwerdeführerin in der Vorinstanz auch behauptet, indem sie vorgetragen hat, die beabsichtigte Vollstreckung führe zu ihrer Existenzvernichtung. In der Vorentscheidung hat das FG bereits darauf aufmerksam gemacht, daß die Beschwerdeführerin diese Behauptung wenig substantiiert hat. Der Senat braucht jedoch nicht weiter darauf einzugehen, ob damit bereits davon ausgegangen werden muß, daß es an einer Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes fehlt. Denn jedenfalls hat sich die Situation seit Erlaß der Vorentscheidung geändert. Das FA hat sich inzwischen bereit erklärt, auf die Vollstreckung gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von . . . DM zu verzichten. Unter diesen Umständen bedurfte es zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes weiterer Darlegungen. Denn die Glaubhaftmachung setzt die schlüssige Darlegung der entscheidungserheblichen Tatsachen voraus (vgl. Gräber / Koch, a. a. O., § 114 Anm. 58, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BFH). Zumindest hätte die Beschwerdeführerin behaupten und belegen müssen, daß sie zur Leistung einer Sicherheit in der genannten Höhe unter keinen Umständen in der Lage sei oder daß die Zurverfügungstellung dieser Sicherheitsleistung sie so mit Kosten belaste, daß ihre Existenz gefährdet sei. Zu diesem Zweck hätte die Beschwerdeführerin - die durch einen Rechtsanwalt und Steuerberater vertreten ist - unter Vorlage entsprechender Unterlagen über ihre gegenwärtige finanzielle Lage schlüssig Aufschluß geben müssen. Das hat sie nicht getan.
Zu Unrecht beruft sich die Beschwerdeführerin darauf, daß sie im vorliegenden Fall einstweiligen Rechtsschutz durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach den Grundsätzen des § 69 FGO erhalten könne, d. h. daß dem FA Vollstreckungsmaßnahmen untersagt werden könnten, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des einen Antrag der Beschwerdeführerin nach § 164 Abs. 2 AO 1977 ablehnenden Bescheides des FA bestünden. Die Beschwerdeführerin hat den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt. Eine solche Anordnung kann nur unter den Voraussetzungen des § 114 FGO erlassen werden. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck dieser Vorschrift lassen eine Auslegung zu, nach der der Erlaß einer einstweiligen Anordnung auch ohne Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund erlassen werden kann, wenn nur ernstliche Zweifel an einem einschlägigen ablehnenden Bescheid des FA bestehen. Ein Fall, der dem vom Großen Senat des BFH mit Beschluß vom 14. April 1987 GrS 2/85 (BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637) entschiedenen gleicht (vorläufiger Rechtsschutz gegen einen negativen Gewinnfeststellungsbescheid), liegt hier offensichtlich schon deswegen nicht vor, weil Gegenstand des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung die uneingeschränkte Untersagung der Vollstreckung und nicht der den Antrag nach § 164 Abs. 2 AO 1977 ablehnende Bescheid des FA war.
Fundstellen
Haufe-Index 416190 |
BFH/NV 1989, 592 |