Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelbesteuerungsabkommen
Leitsatz (amtlich)
Der Versicherungsvertreter, der in vollem Umfange selbständiger Gewerbetreibenden ist, begründet durch seinen Gewerbebetrieb in der Regel jedenfalls dann keine Betriebstätte des Versicherungsunternehmens, wenn er die Büroräume gemietet hat und nur eigene Angestellte beschäftigt. Das Recht des Versicherungsunternehmens, die Räume des Vertreters zur überprüfung von Geschäftsvorfällen und zur Kontrolle des Geldverkehrs zu betreten, begründet auch dann keine Betriebstätte des Versicherungsunternehmens, wenn das Versicherungsunternehmen von seinem Recht tatsächlich Gebrauch macht.
Normenkette
OECD-MA 5; StAnpG § 16 Abs. 2 Ziff. 2; OECD-MA 5/1
Tatbestand
Der Streit geht darum, ob der beschwerdeführenden Stadt G. (Bfin.) Zerlegungsanteile an den einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträgen einer Versicherungs-Aktiengesellschaft (Gesellschaft) zustehen.
Das Finanzamt verneinte das in den berichtigten Zerlegungsbescheiden vom 20. Juni 1958 für die Streitjahre 1952 bis 1956. In ihrer Beschwerde vertrat die Bfin. die Auffassung, der Versicherungsagent A. (Vertreter) sei in seiner Wohnung in G. für die Gesellschaft als deren ständiger Vertreter tätig gewesen. über den als Büroraum verwendeten Teil der Wohnung habe die Gesellschaft auf Grund ihrer vertraglichen Berechtigung, die Kasse sowie die Buch- und Geschäftsführung des Vertreters jederzeit zu prüfen, eine nicht nur vorübergehende Verfügungsgewalt besessen. Es sei somit eine Betriebstätte der Gesellschaft in G. anzuerkennen (Beschlüsse des Reichsfinanzhofs I 432/38 und I 163/39 vom 19. Dezember 1939 und I 220/39 vom 27. Februar 1940, RStBl 1940 S. 25, 26 und 322, Slg. Bd. 48 S. 72; I B 71/43 vom 23. November 1943, RStBl 1944 S. 10).
Die Oberfinanzdirektion wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Sie stimmte der Auffassung der Bfin. zu, daß der Vertreter als ständiger Vertreter der Gesellschaft im Sinn des § 16 Abs. 2 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) anzusehen sei, verneinte aber eine Verfügungsgewalt der Gesellschaft über den Büroraum des Vertreters.
Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde der Bfin. Der Bundesminister der Finanzen trat dem Verfahren bei und nahm zu der streitigen Frage Stellung. Er hob hervor, daß beim Agenten mit überwiegender Verwaltungstätigkeit in der Regel die Einrichtung eines besonderen Büros erforderlich sei, das eine eigene Geschäftseinrichtung des Unternehmens darstelle und dessen Verfügungsmacht unterliege. Beim Agenten mit überwiegender Vermittlungstätigkeit (Spezialagenten) hingegen diene die Geschäftseinrichtung zunächst dem eigenen selbständigen Gewerbebetrieb des Agenten. In seinen Räumen könne eine Betriebstätte des Unternehmers nur angenommen werden, wenn dieser dort eine eigene Geschäftseinrichtung besitze, indem er z. B. die Einrichtung zur Verfügung gestellt habe oder die Mietauslagen ersetze. Die durch den Vertreter für Rechnung des Unternehmers geführte Kasse sei bei der untergeordneten Bedeutung des Bargeldverkehrs im modernen Geschäftsleben noch keine eine Betriebstätte begründende Geschäftseinrichtung des Unternehmers. Ein Kontrollrecht des Unternehmers könne nur dann die Annahme einer Betriebstätte rechtfertigen, wenn es tatbestandsmäßig die Prüfung in den Geschäftsräumen des Vertreters notwendig einschließe. Nach diesen Grundsätzen sei im Streitfalle eine Betriebstätte der Gesellschaft in der Wohnung des Vertreters nicht anzunehmen.
Entscheidungsgründe
Die weitere Beschwerde ist nicht begründet.
Nach § 16 Abs. 1 StAnpG ist Betriebstätte im Sinn der Steuergesetze jede feste örtliche Anlage oder Einrichtung, die der Ausübung des Betriebs eines stehenden Gewerbes dient. Als Betriebstätten gelten nach Abs. 2 Ziff. 2 (neben einer Reihe besonders aufgezählter Einrichtungen) auch sonstige Geschäftseinrichtungen, die dem Unternehmer oder seinem ständigen Vertreter zur Ausübung des Gewerbes dienen. Die Rechtsprechung geht bei der Auslegung dieser Vorschrift von folgenden Grundsätzen aus. Ständiger Vertreter kann ein Angestellter oder ein weisungsgebundener selbständiger Gewerbetreibender sein (Beschluß des Reichsfinanzhofs IV B 25/35 vom 15. November 1935, RStBl 1935 S. 1533; Urteil des Reichsfinanzhofs VI 7/41 vom 23. April 1941, RStBl 1941 S. 355). Die feste örtliche Anlage oder Einrichtung muß dem Unternehmer oder seinem ständigen Vertreter zur Ausübung des Gewerbes des Unternehmers dienen (Urteil des Reichsfinanzhofs I 137/40 vom 22. Oktober 1940, RStBl 1940 S. 972, Slg. Bd. 49 S. 271). Ist der ständige Vertreter selbständiger Gewerbetreibender, so muß seine Tätigkeit für den Unternehmer über den Rahmen seines eigenen Gewerbebetriebs hinausgehen (Beschlüsse des Reichsfinanzhofs V f B 7/28 vom 12. Juli 1929, RStBl 1929 S. 480; IV B 47/33 vom 22. März 1934, RStBl 1934 S. 523; IV B 20/34 vom 28. Juni 1935, RStBl 1935 S. 1023; IV B 11/35 vom 11. September 1935, RStBl 1935 S. 1231). Die feste örtliche Anlage oder Einrichtung muß dem Unternehmer gehören oder es muß ihm darüber wenigstens eine gewisse, nicht nur vorübergehende Verfügungsgewalt zustehen (Urteil des Reichsfinanzhofs I 272/39 vom 26. September 1939, RStBl 1939 S. 1227, Slg. Bd. 47 S. 257; Beschluß I 432/38 vom 19. Dezember 1939, a. a. O.).
Wie sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 200/59 S vom 3. Oktober 1961, BStBl 1961 III S. 567, ergibt, war der Vertreter im vorliegenden Falle in vollem Umfange selbständiger Gewerbetreibender, weil er die Büro- und Personalkosten trug, ihm die Geschäftseinrichtung gehörte und kein als Arbeitsverhältnis bezeichnetes Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Unternehmer vereinbart war.
Die Auffassung der Bfin., daß die Büroräume des Vertreters deshalb als eine der Gesellschaft zuzurechnende Geschäftseinrichtung im Sinn des § 16 Abs. 2 Ziff. 2 StAnpG anzusehen seien, die dem Vertreter nicht nur zur Ausübung seines eigenen Gewerbes, sondern auch des Gewerbes des Unternehmers dienten, ist nicht zutreffend. Ist der Versicherungsvertreter selbständiger Gewerbetreibender und übt er sein in der Vertretung des Unternehmers bestehendes Gewerbe in eigenen Büroräumen mit eigenem Personal aus, so entfaltet er weder eine über den Rahmen seines eigenen Gewerbebetriebs hinausgehende gewerbliche Tätigkeit des Unternehmers noch steht dem Unternehmer eine zur Begründung einer Betriebstätte ausreichende Verfügungsgewalt über die Räume des Vertreters zu. Das vertraglich vorgesehene Recht des Unternehmers, die Räume des Versicherungsvertreters zum Zwecke der Prüfung von Geschäftsvorfällen, Büchern und Belegen und zur Kontrolle des Geldverkehrs zu betreten, reicht nicht aus, um das Büro des Vertreters zu einer dem Gewerbebetrieb des Unternehmers dienenden Geschäftseinrichtung zu machen. Das gilt auch dann, wenn der Unternehmer von seinem Recht in weitem Umfang tatsächlich Gebrauch macht. Versicherungsvertreter, die in vollem Umfange selbständige Gewerbetreibende sind, begründen deshalb durch die Ausübung ihres Gewerbebetriebs in aller Regel nur dann eine Betriebstätte des Unternehmers, wenn sie ihr Gewerbe in Räumen des Unternehmers ausüben, Angestellte des Unternehmers in ihrem Büro tätig sind oder dem Unternehmer Einrichtungsgegenstände von wirtschaftlich ins Gewicht fallender Bedeutung gehören.
Fundstellen
Haufe-Index 410408 |
BStBl III 1962, 227 |
BFHE 1962, 614 |
BFHE 74, 614 |