Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßvollmacht bei Vertretung eines Mitglieds einer Anwaltssozietät durch ein anderes
Leitsatz (NV)
1. Tritt ein Mitglied einer Rechtsanwaltssozietät in eigener Sache vor Gericht auf, so bedarf es keiner Prozeßvollmacht.
2. Vertritt ein Mitglied einer Rechtsanwaltssozietät ein anderes Mitglied vor Gericht, so ist im finanzgerichtlichen Verfahren eine Prozeßvollmacht vorzulegen.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfene Rechtsfrage, ob er sich selbst eine Prozeßvollmacht ausstellen müsse, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Ihr fehlt die Klärungsbedürftigkeit.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer für die Beurteilung des Streitfalles maßgebenden Rechtsfrage nur zu, wenn sie das (abstrakte) Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Sie setzt daher nach ständiger Rechtsprechung u. a. Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage voraus. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten läßt (vgl. z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Rdnr. 9, m. w. N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz. 56, m. w. N.). Dies gilt für die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage.
Für die Erteilung bzw. Anforderung von Vollmachten gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO ist naturgemäß nur Raum, wenn jemand eine Willenserklärung (hier: Prozeßerklärung; Klageerhebung) im Namen eines Vertretenen abgibt. Davon geht auch § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO aus, wie sich aus dem Zusammenhang dieser Bestimmung mit § 62 Abs. 1 Satz 1 FGO ergibt. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob er sich selbst eine Vollmacht erteilen muß, ist daher eindeutig zu verneinen.
Die Besonderheit des Streitfalles besteht allerdings darin, daß der streitige Klageschriftsatz gerade nicht vom Kläger selbst unterzeichnet worden ist. Versteht man daher den Vortrag des Klägers im Beschwerdeschriftsatz dahin, daß er die Frage geklärt wissen will, ob er den Mitgliedern einer Rechtsanwaltssozietät, der er selbst angehört, schriftlich Prozeßvollmacht zur Klageerhebung in Privatangelegenheiten erteilen muß, so ist dies eindeutig zu bejahen. Anwaltssozietäten sind Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GdbR) i. S. des § 705 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Diese Tatsache und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen für die Vertretungsbefugnis der Sozietätsmitglieder nach § 714 BGB ändern nichts daran, daß bei Vertretung eines Sozius durch den anderen eine rechtsgeschäftliche Vertretung vorliegt. Zu ihrem Nachweis setzt § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO die Vorlage einer schriftlichen Prozeßvollmacht voraus.
Offenbleiben kann auch die Tatfrage, ob die Verwendung eines gemeinsamen Briefkopfes eine gegenseitige Bevollmächtigung der Sozietätsmitglieder zur prozessualen Vertretung in Privatangelegenheiten beinhaltet. Der gemeinsame Briefkopf erfüllt mangels eigenhändiger Unterschrift des Klägers nicht die nach § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO i. V. m. § 126 Abs. 1 BGB notwendigen Formvoraussetzungen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde kann auch nicht deswegen Erfolg haben, weil möglicherweise der im Klageverfahren vom Kläger persönlich unterzeichnete Schriftsatz vom 20. Februar 1990, mit dem die Klage begründet wurde, als stillschweigende Genehmigung der Prozeßführung durch die Rechtsanwältin X angesehen werden kann (vgl. § 155 FGO i. V. m. § 69 der Zivilprozeßordnung; Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. November 1971 I R 116/71, BFHE 103, 408, BStBl II 1972, 95, m. w. N.). Die Revision kann nur wegen der in § 115 Abs. 2 FGO bezeichneten und vom Kläger dargelegten Gründe, nicht aber wegen möglicher Rechtswidrigkeit der Vorentscheidung zugelassen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 423201 |
BFH/NV 1993, 553 |