Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist nur zu gewähren, wenn der Antragsteller die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Tatsachen schlüssig vorträgt und glaubhaft macht.
Normenkette
FGO §§ 56, 120 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
. . .
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Kläger als unbegründet abgewiesen und die Revision zugelassen. Das FG-Urteil ist den Klägern am 11.Mai 1990 zugestellt worden.
Mit an das FG gerichtetem Schriftsatz vom 7. Juni 1990 - dort eingegangen am 11.Juni 1990 - legten die Kläger Revision ein und machten geltend, die Vorentscheidung weiche von Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) ab; außerdem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Die Kläger beantragten, die streitigen Aufwendungen als Werbungskosten gemäß § 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG), hilfsweise als vorweggenommene Betriebsausgaben oder - soweit vom FA nicht bereits als Sonderausgaben berücksichtigt - als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen. Der Schriftsatz enthält keinen Hinweis auf eine noch nachfolgende Revisionsbegründung.
Mit Schriftsatz vom 13. September 1990 beantragte das FA, die Revision als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspreche.
Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 1990 - Eingang beim BFH am 10. Oktober 1990 - machten die Kläger geltend, die Klagebegründung sei am 20. Juni 1990 zur Post gegeben worden. Gleichzeitig baten sie vorsorglich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dem Schriftsatz war die Ablichtung eines als Revisionsbegründung bezeichneten und an den BFH gerichteten Schriftsatzes vom 20. Juni 1990 beigefügt.
Die Geschäftsstelle des Senats teilte den Klägern am 24. Oktober 1990 mit, daß das Original der Revisionsbegründung beim BFH nicht eingegangen sei und bat um die Bekanntgabe und Glaubhaftmachung von Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages. Mit Schriftsatz vom 13. Novemer 1990 - beim BFH eingegangen am 14. November 1990 - baten die Kläger unter Hinweis auf einen bei der Post gestellten Nachforschungsantrag um etwas Geduld. Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1990 - beim BFH eingegangen am 20. Dezember 1990 - teilten sie dann mit, daß der Nachforschungsantrag ohne Erfolg geblieben sei. Auch eine persönliche Befragung des Postbediensteten des Postamtes X, in dessen Zuständigkeitsbereich sich der Postkasten befinde, in den der Brief eingeworfen worden sei, habe zu keinem Erfolg geführt. Der Brief sei inhaltlich unter den auf dem Briefkopf des Schriftsatzes genannten Sozietätskollegen besprochen und gemäß dem Zeugnis von Y gegen 17.30 Uhr vom Kläger persönlich mit anderen Briefen zur Post gegeben worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unzulässig.
Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen FG-Urteils schriftlich einzulegen und innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Die Revisionsbegründungsfrist endete hier mit Ablauf des 11.Juli 1990 (Mittwoch). Bis zu diesem Zeitpunkt lag dem BFH - wie das FA zu Recht geltend macht - noch keine den Anforderungen des § 120 Abs. 1 FGO genügende Revisionsbegründung vor.
Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann den Klägern nicht gewährt werden.
Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, daß innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 56 Anm.50 f., m.w.N.). Nach Ablauf der Frist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unvollständige Angaben ergänzt und vervollständigt werden (BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586).
Wird im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag die fristgerechte Absendung eines beim Empfänger nicht eingegangenen Schriftstückes behauptet, ist im einzelnen darzulegen, wann und von wem es zur Post aufgegeben wurde (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 1983 II R 211/81, BFHE 139, 15, BStBl II 1983, 681, vom 28. Februar 1985 VIII R 261/84, BFH/NV 1986, 30 und vom 13. Juli 1989 VIII R 64/88, BFH/NV 1990, 577). Die Angaben sind durch die Vorlage präsenter Beweismittel glaubhaft zu machen (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 25. April 1988 X R 90/87, BFH/NV 1989, 110; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1990, 577 und vom 28. Dezember 1989 VIII R 70/87, BFH/NV 1990, 714).
Im Streitfall kann offen bleiben, ob die Kläger innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (Kenntnis des Nichteingangs der Originalrevisionsbegründung beim BFH) einen Wiedereinsetzungsgrund hinreichend substantiiert vorgetragen haben; denn es fehlt an der erforderlichen Glaubhaftmachung. Hierzu wäre die Vorlage von präsenten Beweismitteln (z.B. die Ablichtung der Seite des Postausgangsbuchs mit dem die Revisionsbegründung betreffenden Absendevermerk i.V.m. detaillierten eidesstattlichen Versicherungen der mit der Anfertigung und Absendung der Revisionsbegründung betrauten Personen) nötig gewesen. Auf die Notwendigkeit der Glaubhaftmachung ihrer Angaben sind der fachkundige Kläger und die fachkundig beratene Klägerin durch die Geschäftsstelle des Senats mit Schreiben vom 24. Oktober 1990 hingewiesen worden.
Fundstellen