Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung fehlgegangener Lohnsteuererstattung
Leitsatz (NV)
1. Die Rückforderung einer fehlgegangenen Lohnsteuererstattung kann das Finanzamt auch dann durch Leistungsbescheid geltend machen, wenn der Empfänger bislang noch nicht Beteiligter eines Steuerschuldverhältnisses war.
2. Der Rückforderungsanspruch richtet sich auch dann gegen den tatsächlichen Empfänger der Leistung, wenn dieser - für den Leistenden nicht erkennbar - die Zahlung nur als Treuhänder für einen Dritten entgegengenommen hat.
3. Zur Rechtsnatur einer ,,Zahlungsanweisung zur Verrechnung" im Postgiroverkehr.
Normenkette
AO 1977 § 37 Abs. 2; ScheckG Art. 21; PostgiroO § 15 Abs. 4
Tatbestand
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger), wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Versagung der Prozeßkostenhilfe (PKH) für seine Klage gegen den Rückforderungsbescheid des beklagten Finanzamts (FA), mit dem dieses die Rückzahlung des auf dem Konto des Klägers gutgeschriebenen Betrags von . . . DM verlangt.
Der Steuerpflichtige V erklärte gegenüber dem FA, die ihm zustehende Steuererstattung aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich . . . nicht erhalten zu haben. Die hierauf durchgeführten Nachforschungen ergaben, daß die vom FA beim Postgiroamt in Auftrag gegebene und dem V übersandte ,,Zahlungsanweisung zur Verrechnung" (ZZV) nicht von V, sondern vom Kläger zur Gutschrift auf seinem Konto eingelöst worden war. Da das FA davon ausging, der Kläger habe die Erstattung ohne rechtlichen Grund erlangt, forderte es durch Bescheid . . . von ihm die Rückzahlung des Betrages. Hiergegen macht der Kläger nach erfolglosem Einspruch mit seiner Klage geltend, das FA sei nicht berechtigt, im Wege eines Rückforderungsbescheides gegen ihn vorzugehen, da zwischen ihm und dem FA lediglich privatrechtliche Rechtsbeziehungen bestünden. Zudem berufe er sich gemäß § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf den Wegfall der Bereicherung, denn er habe die Zahlungsanweisung zur Verrechnung nur treuhänderisch aus Gefälligkeit für seinen älteren Bruder, der über kein eigenes Girokonto verfüge, bei seiner Bank eingereicht und den Geldbetrag nach Gutschrift an seinen Bruder weitergeleitet. Hierbei habe er gutgläubig gehandelt, denn sein Bruder habe ihm erklärt, die Zahlungsanweisung vom Steuerpflichtigen V zur Tilgung einer Schuld rechtmäßig erhalten zu haben.
Das Finanzgericht (FG) hat den Antrag auf PKH für die erhobene Klage mit der Begründung abgelehnt, die Inanspruchnahme eines am Steuerschuldverhältnis unbeteiligten Dritten als Leistungsempfänger durch Rückforderungsbescheid sei rechtens. Die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung sei bei einem auf § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Rückforderungsbescheid ausgeschlossen. Der Rückforderungsbescheid sei auch zutreffend an den Kläger als Leistungsempfänger und nicht an dessen Bruder gerichtet worden. Ob der Bruder des Klägers rechtmäßig oder unrechtmäßig in den Besitz des Schecks gekommen sei, den der Steuerpflichtige V nach den unwiderlegten und unwidersprochenen Sachverhaltsfeststellungen des FA niemals erhalten habe, könne dahinstehen.
Mit der Beschwerde macht der Kläger geltend, § 37 Abs. 2 AO 1977 könne nicht als Rechtsgrundlage für den Leistungsbescheid herangezogen werden. Der Fiskus habe durch die Hingabe der ZZV, bei der es sich um einen ganz normalen, nach § 929 BGB zu übertragenden Inhaberverrechnungsscheck handele, am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilgenommen wie jede andere natürliche und juristische Person auch und unterliege damit den Rechtsbestimmungen über den Scheckverkehr. Dem Inhaber des Schecks könnten wegen der abstrakten Natur der Scheckverbindlichkeit Einwendungen nur in beschränktem Umfang entgegengehalten werden. Daher könne das FA ihm (dem Kläger) gegenüber keine Einwendungen erheben, die es einem früheren, möglicherweise unrechtmäßigen Besitzer gegenüber hätte geltend machen können. Das FG sei überdies über seine Behauptung hinweggegangen, sein Bruder habe den Scheck rechtmäßig erworben, und auch der Hilfsargumentation nicht Rechnung getragen, daß er (der Kläger) den Scheck gutgläubig empfangen habe. Hierzu sei Zeugenbeweis angeboten worden, worüber sich das FG nicht durch den schlichten Hinweis habe hinwegsetzen können, das FA habe auf telefonische Nachfrage die Antwort erhalten, der Zeuge könne sich an den Vorfall nicht erinnern. Eine etwaige unrichtige telefonische Auskunft sei - anders als bei einer richterlichen Zeugenvernehmung - nicht strafbewehrt.
Das FA trägt vor, der Kläger habe in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Sachbezugswerte nicht aufgeführt, die ihm als Wehrpflichtigen durch die Gewährung für Kost und Logis, Bekleidung und Heilfürsorge zugeflossen seien. Im übrigen sei von einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse auszugehen, da der Kläger inzwischen seinen Wehrdienst beendet haben müsse.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 155 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 575 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
1. Nach § 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter PKH, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht oder nur zum Teil in der Lage ist, die Kosten der Prozeßführung zu tragen, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aussicht auf Erfolg besteht, wenn bei der gebotenen summarischen Prüfung für den Erfolg der Klage eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Diese Voraussetzung erscheint dem Senat vorliegend als gegeben.
a) Die hinreichende Aussicht auf Erfolg ergibt sich allerdings noch nicht - wie der Kläger meint - daraus, daß das FA die Rückforderung durch Leistungsbescheid geltend gemacht hat. Die öffentlich-rechtliche Natur des Rückforderungsanspruchs folgt daraus, daß gemäß § 37 Abs. 1 AO 1977 Steuererstattungsansprüche - auch im Falle der rechtsgrundlosen Zurückzahlung von Steuern nach Abs. 2 der Vorschrift - ,,Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" sind. Daher kann eine ohne rechtlichen Grund zurückgezahlte Steuer gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 auch dann, wenn die Zahlung - wovon das FA im Streitfall ausgeht - an einen unberechtigten Dritten erfolgt sein sollte, der bislang noch nicht am Steuerschuldverhältnis beteiligt war, vom FA durch Bescheid zurückgefordert werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juni 1986 II R 38/84, BFHE 146, 519, BStBl II 1986, 704). § 37 Abs. 2 AO 1977 bezweckt den Ausgleich aller ungerechtfertigten und irrtümlichen Steuererstattungen. Maßgeblich für eine Rückforderung gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 ist danach allein, daß das FA zum Zwecke der Tilgung eines Erstattungsanspruchs innerhalb eines wirklichen oder vermeintlichen Steuerschuldverhältnisses eine - wenn auch fehlgeleitete - Zahlung willentlich erbracht hat (Beschluß des BFH vom 18. Oktober 1988 V B 68/88, BFH/NV 1990, 4; Urteile des FG Baden-Württemberg vom 27. November 1987 IX K 432/83, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1988, 335 m. w. N. aus der älteren Rechtsprechung; ebenso Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., Stand April 1989, § 37 AO 1977 Tz. 8, 30; Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 37 AO 1977 Anm. 32, 70; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl. 1989, § 37 Anm. 6). Da auf der Zahlungsanweisung der Name des Erstattungsberechtigten und der Zahlungsgrund (Lohnsteuererstattung 1986) enthalten waren, wurde zudem für den Kläger erkennbar dokumentiert, daß vom FA eine Zahlung im Rahmen eines Steuerschuldverhältnisses geleistet werden sollte. Wenn er unter diesen Umständen die Anweisung auf seinem Konto gutschreiben ließ, begab er sich damit in den öffentlich-rechtlichen Bereich und mußte damit rechnen, bei einer unberechtigten Einziehung einem öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch ausgesetzt zu werden, bei dem die zivilrechtlichen Grundsätze über den Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB keine Anwendung finden (vgl. Tipke / Kruse, a. a. O., § 37 AO 1977 Tz. 25 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
b) Die hinreichende Aussicht auf Erfolg der Klage ergibt sich entgegen der Rechtsauffassung des Klägers auch nicht daraus, daß das FA den Kläger und nicht seinen Bruder als Rückzahlungsverpflichteten in Anspruch genommen hat. Der Rückforderungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 richtet sich gegen den ,,Leistungsempfänger"; das ist in der Regel der tatsächliche Empfänger der Zahlung (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 6. Dezember 1988 VII R 206/83, BFHE 155, 40, BStBl II 1989, 223). Ausnahmen bestehen nur dann, wenn der Empfänger erkennbar als Vertreter, Bote oder Zahlstelle des Empfangsberechtigten auftritt (Urteil des BFH vom 22. August 1980 VI R 102/77, BFHE 131, 372, BStBl II 1981, 44; Beschluß des BFH vom 8. April 1986 VII B 128/85, BFHE 146, 229, BStBl II 1986, 511; Klein / Orlopp, a. a. O., § 37 Anm. 6). Bei der mittelbaren Stellvertretung sowie bei dem hier nach Behauptung des Klägers vorliegenden Treuhandverhältnis richtet sich der Rückforderungsanspruch gegen den Treuhänder selbst (ebenso zu § 812 BGB Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 27. April 1961 VII ZR 4/60, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1961, 1461; Palandt / Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, 50. Aufl. 1991, § 812 Tz. 47; vgl. auch BFHE 131, 372, BStBl II 1981, 44 zu dem im eigenen Namen auftretenden Strohmann).
c) Die hinreichende Aussicht auf Erfolg der Klage folgt jedoch daraus, daß das FG zu Unrecht hat dahinstehen lassen, ob der Bruder des Klägers rechtmäßig oder unrechtmäßig in den Besitz des Schecks gekommen sei, obwohl der Kläger den rechtmäßigen Erwerb der ZZV durch seinen Bruder behauptet und hierfür Beweis angetreten hat.
Bei der Zahlungsanweisung zur Verrechnung handelt es sich gemäß § 15 Abs. 4 Satz 4 der Postgiroordnung (BGBl I 1984, 1478, 1481) i. V. m. Art. 5 Abs. 2 des Scheckgesetzes (ScheckG) um einen Inhaberverrechnungsscheck, der nach § 929 BGB übertragen wird und bei dem das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier folgt (Baumbach / Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 17. Aufl., Einleitung ScheckG, Tz. 17, 31). Da ein gutgläubiger Erwerb des möglicherweise abhandengekommenen Schecks nach Art. 21 ScheckG bei der uneigennützigen Verwaltungstreuhand im Verhältnis zwischen Treugeber und Treuhänder mangels Verkehrsgeschäfts ausgeschlossen ist (Palandt / Bassenge, Bürgerliches Gesetzbuch, § 903 Tz. 38), kann der Kläger den Zahlungsbetrag nur dann mit Rechtsgrund erworben haben, wenn sein Bruder als Treugeber selbst Eigentümer des Schecks (ZZV) gewesen ist. Dieser soll dem Kläger gegenüber behauptet haben, die ZZV vom Steuerpflichtigen V zur Tilgung einer Schuld ordnungsgemäß erworben zu haben. Der Kläger hat hierzu Beweis angeboten (Zeugnis . . .). Im Verfahren über die Gewährung von PKH reicht zur Darlegung der hinreichenden Erfolgsaussicht ein schlüssiges Vorbringen mit Beweisantritt aus (vgl. Zöller, Zivilprozeßordnung, § 114 Rdnr. 31), demzufolge im Hauptverfahren eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt (Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, § 114 Anm. 2, B, a). Da im Hauptverfahren benannte Zeugen nicht als ungeeignet abgelehnt werden dürfen (vgl. § 244 Abs. 3 der Strafprozeßordnung - StPO -), ist auch im Verfahren der PKH eine die Ablehnung der beantragten PKH rechtfertigende vorweggenommene Beweiswürdigung grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Das gilt jedenfalls dann, wenn es - wie hier - um die erstmalige Vernehmung von Zeugen geht, deren Ergebnis typischerweise nicht zuverlässig vorausgesagt werden kann (BFH-Beschluß vom 13. Juni 1988 IV B 114/86, BFH/NV 1988, 804). Der Hinweis des FG auf die unwiderlegten Feststellungen des FA kommt im Streitfall einer vorweggenommenen Beweiswürdigung gleich. Das FG hat deshalb zu Unrecht die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage verneint.
d) Im übrigen muß bei der Entscheidung über die hinreichende Aussicht auf Erfolg berücksichtigt werden, daß die Klage nicht nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn festgestellt wird, daß der Bruder des Klägers die ZZV berechtigt erworben hat, oder wenn dies trotz Beweisaufnahme offenbleibt, wobei zu berücksichtigen ist, daß das FA für den fehlenden Rechtsgrund i. S. des § 37 AO 1977 die Feststellungslast ebenso trägt, wie für den Mangel der sachlichen Berechtigung des Klägers an der ZZV, sondern ggf. auch dann, wenn die ZZV erst zu einem Zeitpunkt unterschlagen worden ist, als die Verlustgefahr bereits auf den berechtigten Empfänger (Steuerpflichtigen) übergegangen war (vgl. dazu Urteil des BFH vom 10. November 1987 VII R 171/84, BFHE 151, 123, BStBl II 1988, 41). Die Zahlung an den Kläger würde dann gleichzeitig die Verbindlichkeit gegenüber dem V tilgen, so daß die Zahlung nicht mehr - wie § 37 AO 1977 voraussetzt - auf Rechnung des FA, sondern auf Rechnung des V erfolgt wäre mit der Folge, daß das FA an den V keine weitere Zahlung mehr erbringen müßte und es Sache des V - und nicht des FA - wäre, seinerseits gegen einen etwaigen unberechtigten Dritten vorzugehen. Dies käme insbesondere dann in Betracht, wenn der Scheck (ZZV) nicht an die Adresse des Klägers, sondern auf dessen Wunsch an einen Bevollmächtigten versandt und erst nach Zugang bei dem Bevollmächtigten abhanden gekommen ist.
2. Es erscheint zweckmäßig, daß die zur Zeit fehlende Spruchreife hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers durch das sachnähere FG herbeigeführt wird (vgl. BFH-Beschluß vom 13. Juni 1988 IV B 114/86, BFH/NV 1988, 804 m. w. N.; Zöller, a. a. O., 16. Aufl. 1990, § 575 Tz. 15). Der Senat kann nicht abschließend über die Beschwerde entscheiden, weil er zwar die sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH (die hinreichende Aussicht auf Erfolg) bejaht, die Erfüllung der persönlichen Voraussetzung (die Bedürftigkeit des Antragstellers) jedoch nicht feststeht. Denn nach den Ausführungen des FA ist davon auszugehen, daß der Kläger inzwischen seinen Wehrdienst beendet hat; dadurch könnte eine Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten sein. Hierüber wird sich das FG durch Anforderung einer weiteren Erklärung nach § 117 ZPO Gewißheit verschaffen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 417739 |
BFH/NV 1992, 148 |