Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenvorstellung
Leitsatz (NV)
Keine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit.
Zur Statthaftigkeit und Begründetheit von Gegenvorstellungen gegen materiell und formell rechtskräftige Beschlüsse.
Normenkette
FGO §§ 51, 128; ZPO §§ 42, 44, 567
Tatbestand
Der Senat hat die vom Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Kläger) eingelegten Beschwerden gegen die Beschlüsse des Finanzgerichts (FG) wegen Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) und Reisekostenentschädigung, Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, Richterablehnung, Bestellung eines Bevollmächtigten und Zurückweisung eines Bevollmächtigten als unzulässig verworfen, da der Kläger bei ihrer Einlegung nicht durch einen Angehörigen der in Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) aufgeführten Berufsgruppen vertreten war.
Die Anträge des Klägers auf Bewilligung von PKH für die genannten Verfahren hat der Senat mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt.
Gegen diese Beschlüsse wendet sich der Kläger mit den vorliegenden Gegenvorstellungen. Er macht geltend, der Vorsitzende Richter am Bundesfinanzhof (VRiBFH) X sei von der Mitwirkung an den angegriffenen Beschlüssen ausgeschlossen gewesen, da er zuvor an anderen Entscheidungen gegen den Kläger mitgewirkt habe. In diesen Verfahren seien verschiedene Schriftsätze unterdrückt worden. Im vorliegenden Verfahren unterdrücke VRiBFH X das Schreiben des Klägers vom 17. Juli 1995 an das FG, das mit anderen Anlagen zum Gegenstand der Gegenvorstellung gemacht werde. Unberücksichtigt bleibe auch, daß der Kläger einen Richter des FG gemäß § 139 der Zivilprozeßordnung (ZPO) um Erklärungen und Hinweise hinsichtlich der ergangenen Entscheidungen einschließlich "der zeitlichen Wirkung" ersucht habe, was dieser abgelehnt habe. VRiBFH X umgehe auch die Tatsache, daß das FG die Klägerin zu 2 nicht ins Verfahren einbezogen habe. Da die Beschlüsse nur gegen ihn (den Kläger zu 1) ergangen seien, könnten sie nicht in Rechtskraft erwachsen; zudem seien sie nichtig, da es am gesetzlichen Richter fehle.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat entscheidet über die Gegenvorstellungen unter Mitwirkung des VRiBFH X.
Ein Grund, wonach VRiBFH X vom Verfahren ausgeschlossen wäre (§ 51 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 41 ZPO) liegt offensichtlich nicht vor. § 41 Nr. 6 ZPO betrifft die Mitwirkung eines Richters bei einer Vorentscheidung in der gleichen Streitsache.
Sollten die Ausführungen des Klägers als Ablehnungsgesuch gegen VRiBFH X wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 51 FGO i. V. m. §§ 42 Abs. 2, 44 Abs. 1 ZPO) zu verstehen sein, wäre dies sowohl für die abgeschlossenen Verfahren (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Anm. 3, m. w. N.), aber auch im Verfahren über die vorliegenden Gegenvorstellungen nicht statthaft. Bei der Gegenvorstellung handelt es sich nicht um ein Rechtsmittel, sondern um einen im Gesetz nicht geregelten außerordentlichen Rechtsbehelf, der für den Verfahrensfortgang ohne unmittelbaren Einfluß ist. Sie ist darauf gerichet, das Gericht, das bereits entschieden hat, zu einer Überprüfung und ggf. Änderung der eigenen Entscheidung zu bewegen. Dabei handelt es sich um eine bloße -- an keine Form oder Frist gebundene -- Anregung an das Gericht (vgl. zuletzt Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 2. Februar 1995 VII B 182/94, BFH/NV 1995, 898; Gräber/Ruban, a.a.O., Vor § 115 Anm. 26 f., m. w. N.). Ihrer Natur nach handelt es sich bei der Gegenvorstellung daher um eine Petition, die zu überprüfen und zu bescheiden ist; eine weitere förmliche Entscheidung darüber ist allerdings nicht erforderlich. Diese Natur der Gegenvorstellung als bloße Anregung an das Gericht angesichts einer bereits ergangenen Entscheidung schließt die Berechtigung des Vorbringenden aus, die an der angegriffenen Entscheidung beteiligten Richter für das "Gegenvorstellungsverfahren" wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (vgl. Beschluß des Oberlandesgerichts -- OLG -- Düsseldorf vom 5. September 1988 1 Ws 861-862/88, Neue Zeitschrift für Strafrecht 1989, 86; OLG Hamm, Beschluß vom 29. April 1993 3 Ws 123/93, Monatsschrift für Deutsches Recht 1993, 789; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 53. Aufl., Übers. § 567 Anm. 8, m. w. N.). Eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kommt nur für ein gesetzlich geregeltes Verfahren und nur solange in Betracht, als die vom Gericht zu fällende Entscheidung noch nicht ergangen ist.
Da das Ablehnungsgesuch bereits nicht statthaft wäre, kann dahinstehen, inwieweit der Kläger mangels Postulationsfähigkeit an seiner wirksamen Anbringung gehindert gewesen wäre. Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob das Gesuch wegen Rechtsmißbräuchlichkeit unzulässig wäre, weil es nicht -- wie erforderlich -- eine Individualablehnung des VRiBFH X darstellt, sondern sich inhaltlich gegen die Sachbehandlung durch den gesamten Senat richtet. Letztlich kann auch offenbleiben, ob das Gesuch unbeachtlich wäre, weil es mit dem Vorwurf der Unterdrückung von Schriftsätzen beleidigende Äußerungen enthält.
2. Der Senat verbindet die Gegenvorstellungen zur gemeinsamen Entscheidung (§ 73 Abs. 1 FGO).
a) Die Gegenvorstellungen gegen die die Beschwerden des Klägers zurückweisenden Beschlüsse sind nicht statthaft. Diese Beschlüsse sind materiell rechtskräftig geworden und daher weder abänder- noch aufhebbar (BFH-Beschlüsse vom 1. Juli 1991 IV B 148/90, BFH/NV 1992, 48, m. w. N.; vom 23. März 1994 XI S 2, 3/94, BFH/NV 1995, 315; Gräber/Ruban, a.a.O., § 126 Anm. 4). Die Rechtskraft bindet nicht nur die Beteiligten, sondern auch das Gericht. Eine Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes -- GG --) liegt nicht vor. Wie ausgeführt, scheidet auch ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) aus.
Gegenvorstellungen gegen Entscheidungen des BFH im Beschwerdeverfahren unterliegen im übrigen dem Vertretungszwang des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG (Senatsbeschluß vom 22. Juni 1995 XI S 15/95, BFH/NV 1996, 164).
b) Die Gegenvorstellungen gegen die Beschlüsse, durch die Anträge des Klägers auf Bewilligung von PKH abgelehnt wurden, sind zwar zulässig, da diese lediglich formell, nicht jedoch materiell in Rechtskraft erwachsen (BFH-Beschlüsse vom 30. Juni 1993 XI S 7/93, BFH/NV 1993, 751; vom 12. Oktober 1994 II B 57/94, BFH/NV 1995, 333; Baumbach/Lauterbach, a.a.O., § 127 Anm. 20, Übers. zu § 567 Anm. 6; Zöller, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 567 Anm. 22 f.; Gräber/Ruban, a.a.O., Vor § 115 Anm. 26).
Diese Gegenvorstellungen sind aber unbegründet, da die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung nach wie vor keine Aussicht auf Erfolg hat, nachdem die Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sind und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zur Einlegung des Rechtsmittels durch einen befugten Vertreter unverändert nicht in Betracht kommt.
Das Schreiben des Klägers vom 17. Juli 1995 an das FG mit beigefügter Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Senat gewürdigt. Er hat dazu ausgeführt, daß die Vorlage einer entsprechenden Erklärung beim FG für ein Gesuch um Gewährung von PKH für ein Beschwerdeverfahren beim BFH grundsätzlich und auch im Streitfall nicht ausreicht. Zudem hat er dargelegt, daß eine Verpflichtung des FG, den Kläger über das erforderliche Verfahren aufzuklären, nicht bestand.
3. Eine Kostenentscheidung ist mangels einer gesetzlichen Regelung nicht zu treffen; § 135 FGO betrifft nur Rechtsmittelverfahren (BFH-Beschluß vom 27. Dezember 1994 X B 124/93, BFH/NV 1995, 534).
Fundstellen
Haufe-Index 421500 |
BFH/NV 1996, 774 |