Entscheidungsstichwort (Thema)
Tabaksteuerrechtlich freier Verkehr
Leitsatz (NV)
1. Im tabaksteuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats befinden sich auch aus einem dortigen Freilager entwendete Zigaretten. Werden sie unversteuert in das Steuergebiet verbracht, so entsteht deutsche Tabaksteuer.
2. Hinsichtlich der steuerstrafrechtlichen Grundlage einer steuerlichen Inhaftungnahme braucht im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids kein höheres Maß an Gewißheit vorzuliegen als bei einer nicht strafrechtlichen Grundlage.
Normenkette
TabStG § 19; AO 1977 §§ 71, 370 Abs. 1 Nr. 3; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2; RL 92/12/EWG Art. 6 Abs. 1 Buchst. a
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller), ein Rechtsbeistand, wird von dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Hauptzollamt -- HZA --) als Haftungsschuldner nach § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) für Tabaksteuer in Anspruch genommen (noch nicht bestandskräftiger Haftungsbescheid vom 22. Mai 1995). Nach Auffassung des HZA hat der Antragsteller seiner Mandantin A und anderen bei dem vorschriftswidrigen Verbringen von unverzollten und unversteuerten, im "Freihafen" -- richtig: Freilager -- Z ent wendeten Zigaretten in das Bundesgebiet Dezember 1994 Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet.
Dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids wurde nicht entsprochen (Verwaltungsakt vom 14. Juni 1995; Beschwerdeentscheidung vom 21. August 1995). Er wurde auch vom Finanzgericht (FG) abgelehnt. Dieses führte aus, Aussetzungsgründe seien nicht gegeben, insbesondere beständen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides. Aufgrund der Einlassungen des Antragstellers und der übrigen Beschuldigten sei davon auszugehen, daß durch das Handeln von A und anderen Tabaksteuer gemäß § 19 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) entstanden und sie verkürzt worden sei, wobei der Antragsteller Beihilfe geleistet habe. Ihm hätte nach den gesamten Umständen des Zigarettengeschäfts -- ausbedungene Barzahlung, Herkunft der Waren aus einem "Freihafen", nächtliche Beförderung aus Belgien zu einer deutschen Autobahn-Raststätte, dem Ort der Festnahme des Antragstellers und der Beteiligten -- klar sein müssen, daß das Verbringen nach Deutschland in dieser Form offensichtlich rechtswidrig gewesen sei. Seine Beihilfe habe zumindest in der Anmietung des für die Beförderung vorgesehenen Lastkraftwagens sowie darin bestanden, daß er zusammen mit A und B -- Kraftfahrer des Lastkraftwagens -- zur Abholung der Zigaretten nach Belgien gefahren sei. Seine Einlassung, erst bei der Rückkehr nach Deutschland seien ihm Bedenken gekommen, sei durch Bekundungen der Beschuldigten B und C widerlegt. Hinsichtlich der Haupttat sei der Steuertatbestand -- Verbringen zu gewerblichen Zwecken aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats (§ 19 TabStG) -- erfüllt. Im tabaksteuerrechtlich freien Verkehr befänden sich auch unrechtmäßig aus einem Verfahren der Steueraussetzung entnommene Zigaretten (§ 11 Abs. 1 TabStG; Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 92/12/EWG des Rates -- RL -- vom 25. Februar 1992, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 76/1).
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Anliegen weiter. Er rügt, daß das FG unter Verletzung des rechtlichen Gehörs, ohne eine angekündigte Stellungnahme nach Abschluß des Strafverfahrens abzuwarten, entschieden habe, und trägt vor, der zugrunde gelegte Steuertatbestand sei nicht verwirklicht, zumindest bestände keine Steuerschuld (mehr), da die Zigaretten unter Zollverschluß in den "Freihafen" Z zurückverbracht worden seien. Im übrigen sei das gegen ihn -- Antragsteller -- gerichtete Strafverfahren wegen Beihilfe zur versuchten Steuerhehlerei eingestellt worden. Eine strafbare Beihilfe sei auch nicht gegeben, weil ihm erst nach der Tatbegehung Bedenken gekommen seien. Er habe sich seiner Mandantin A nur für die Vermittlung eines legalen Zigarettengeschäfts aus dem "Freihafen" zur Verfügung gestellt, und zwar zur treuhänderischen Entgegennahme und Weitergabe des Kaufpreises von NN, genannt " ... ", nach Abzug der Provision. Nur zur Abholung steuerredlich erworbener Zigaretten sei er mit nach Belgien gefahren. Der Lastkraftwagen sei nicht von ihm, sondern von der A gemietet worden; er -- Antragsteller -- habe die A lediglich zur Vermietungsfirma gefahren. Im Strafverfahren hätten die Beteiligten eingeräumt, daß sie für die von ihnen lediglich vermutete Kenntnis des Antragstellers keine konkreten Tatsachen angeben könnten, die A auch, daß sie den Antragsteller im Glauben gelassen habe, das Geschäft betreffe verzollte und ordnungsgemäß auszuführende Waren. Hierfür werde im Hauptverfahren Zeugenbeweis angetreten werden. Dieses Verfahren werde auch ergeben, daß ihm -- Antragsteller -- wegen einer psychischen Behinderung nach posttraumatischer Hirnschädigung ein (voller) Schuldvorwurf nicht gemacht werden könnte.
Der Antragsteller beantragt, unter Abänderung der Vorentscheidung die Vollziehung des Haftungsbescheides auszusetzen.
Das HZA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Es hält die Vorentscheidung für zutreffend und führt u. a. aus, daß die Wiederausfuhr der Zigaretten nach Belgien keinen Anspruch auf Steuererlaß oder -erstattung begründe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist, weil vom FG zugelassen (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), statthaft, aber nicht begründet.
Das FG hat richtig entschieden, daß Aussetzungsgründe (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO) nicht ersichtlich sind. Insbesondere bestehen nicht die von der Beschwerde allein noch geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des auf § 71 AO 1977 gestützten Haftungsbescheides. Hinsichtlich des steuerstrafrechtlichen Hintergrundes der Inanspruchnahme des Antragstellers -- Beihilfe zur Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 -- ist kein höherer Grad von Gewißheit erforderlich als bei einer andersartigen, nicht strafrechtlichen Grundlage (vgl. Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, FGO § 69 Rdnr. 124). Die auch insoweit gebotene nur summarische Prüfung nach dem in der Vorentscheidung angewandten Maßstab läßt ernstliche Zweifel weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Beziehung erkennen.
Der Rüge, das FG habe dem Antragsteller nicht hinreichend rechtliches Gehör gwährt, ist nicht nachzugehen. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, käme es hierauf nicht an, weil sich der Antragsteller im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör verschaffen kann (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 132 Anm. 7, m. w. N.).
Der Steuerentstehungstatbestand nach § 19 TabStG ist -- mit steuerverkürzender Wirkung (§ 370 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977) -- durch die Haupttäter verwirklicht worden. Die Zigaretten sind unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG -- Verwendung von Steuerzeichen -- aus dem freien Verkehr Belgiens in das deutsche Steuergebiet verbracht worden. Der Begriff "freier Verkehr anderer Mitgliedstaaten" ist tabaksteuerrechtlicher Art; er bezeichnet den verbrauchsteuerrechtlichen Status, den die Waren in Belgien durch ihre Entwendung in einem Freilager erlangt hatten. Maßgebend ist insoweit Art. 6 Abs. 1 Buchst. a i. V. m. Art. 5 Abs. 2 RL. Die -- auch unrechtmäßige -- Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung (Freilager) bewirkt die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr (vgl. auch die der RL entsprechende Entnahmevorschrift in § 11 Abs. 1 TabStG). Das TabStG (§ 19), das die RL in innerstaatliches Recht umsetzt (amtliche Begründung zum Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz in BTDrucks 12/3432 S. 70; vgl. auch § 31 Nr. 15 Buchst. d TabStG; s. ferner § 2 Abs. 6, § 31 Nr. 1 TabStG), ist auch ohne eine ausdrückliche Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. a RL, sollte sie in diesem Zusammenhang überhaupt gesetzestechnisch in Betracht gekommen sein, hinreichend klar. Daß das Gemeinschaftsrecht in Belgien richtlinienkonform umgesetzt worden ist, erscheint nicht zweifelhaft. Im übrigen verdeutlicht auch die Systematik des TabStG, daß ein gewerbliches "unversteuertes" Verbringen aus einem anderen Mitgliedstaat, wenn kein Verkehr unter Steueraussetzung (§ 16 Abs. 1 Satz 1) vorliegt, unter § 19 fällt. Einer besonderen richtlinienkonformen Auslegung bedarf es zur Gewinnung dieses aus Wortlaut, Zweck und Systematik des Gesetzes abzuleitenden Ergebnisses nicht. Auch dies hat das FG zutreffend entschieden. Durch das Rückverbringen der Zigaretten wird die Entstehung der Steuer und deren Verkürzung nicht in Frage gestellt. Das gilt jedenfalls deshalb, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Erlaß/eine Erstattung, wie vom HZA ausgeführt, nicht erfüllt sind. Die Beschwerde bringt insoweit auch keine Einwendungen vor.
An der Beteiligung (Beihilfe) des Antragstellers an der Haupttat bestehen gleichfalls keine ernstlichen Zweifel. Hierzu verweist der Senat ohne eigene Begründung (§ 113 Abs. 2 Satz 3 FGO) auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz. Die Beschwerdebegründung gibt zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlaß. Abgesehen davon, daß die -- neuen -- Einlassungen der Beschuldigten nicht durch präsente Beweismittel belegt sind, stehen sie im Widerspruch zu früher gemachten Angaben. Soweit es darauf ankommen sollte, wird in einem künftigen Klageverfahren zu beurteilen sein, ob den Beteiligten geglaubt werden kann. Sollte dies der Fall sein, eine Belastung des Antragstellers durch die Beteiligten mithin entfallen, so bleibt gleichwohl noch zu entscheiden, ob sich dessen Tatbeteiligung aus den sonstigen, feststehenden Umständen ergibt. Bei der derzeitigen Sachlage bestehen insoweit keine durchgreifenden Bedenken. Auch die Schuldfähigkeit des Antragstellers läßt sich erst in einem Klageverfahren beurteilen. Im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lassen sich den vorgebrachten Gesichtspunkten auch in tatsächlicher Hinsicht keine gewichtigen, gegen die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids sprechenden Gründe entnehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 421621 |
BFH/NV 1996, 934 |