Entscheidungsstichwort (Thema)

Tabaksteuerrechtlich freier Verkehr

 

Leitsatz (NV)

Im tabaksteuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates befinden sich auch aus einem dortigen Freilager entwendete Zigaretten. Werden sie unversteuert in das deutsche Steuergebiet verbracht, so entsteht Tabaksteuer in der Person des Verbringers.

 

Normenkette

TabStG § 19; RL 92/12/EWG Art. 6 Abs. 1 Buchst. a

 

Tatbestand

In der Nacht vom ... 1994 verbrachte der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) in Begleitung anderer Personen mindestens ... Stück unverzollter und un versteuerter Zigaretten, die aus dem "Freihafen" -- richtig: einem Freilager -- in Z entwendet und nach H/Belgien verbracht worden waren, von dort in das deutsche Steuergebiet. Die zum Verkauf in Deutschland bestimmten Zigaretten konnten auf einem Autobahnparkplatz sichergestellt werden; der Antragsteller und andere Beschuldigte, darunter der Rechtsbeistand K, wurden festgenommen. Die durch die Staatsanwaltschaft später freigegebenen Zigaretten wurden auf zollamtliche Veranlassung im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren zurückbefördert.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt -- HZA --) setzte gegen den Antragsteller gemäß § 19 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) Tabaksteuer in Höhe von ... DM fest und lehnte die begehrte Aussetzung der Vollziehung ab. In gleicher Weise entschied das Finanzgericht (FG) über den Aussetzungsantrag. Es führte aus, Aussetzungsgründe seien nicht gegeben, insbesondere beständen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Aufgrund der Einlassungen des Antragstellers und der übrigen Beschuldigten sei davon auszugehen, daß der Steuertatbestand in der Person des Antragstellers verwirklicht worden sei. Im tabaksteuerrechtlich freien Verkehr befänden sich auch unrechtmäßig aus einem Verfahren der Steueraussetzung entnommene Zigaretten (§ 11 Abs. 1 TabStG; Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 92/12/EWG des Rates -- RL -- vom 25. Februar 1992, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 76/1). Auch eine Vollziehungsaussetzung wegen unbilliger Härte scheide aus. Der Antragsteller könne sich nicht darauf berufen, daß ihm die festgesetzte Steuer nach § 22 Abs. 1 Satz 1 TabStG zu erlassen sei. Es sei nicht ersichtlich, daß ein entsprechender Antrag gestellt worden sei, auch lägen die Voraussetzungen des Erlaßtatbestandes nicht vor (keine Rückbeförderung im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren).

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht der Antragsteller geltend, ein steuerpflichtiger Tatbestand liege nicht (mehr) vor. Er -- Antragsteller -- sei lediglich wegen Beihilfe zur versuchten Steuerhehlerei, nicht einmal bezogen auf die Tabaksteuer, verurteilt worden. Daß es sich um unverzollte und unversteuerte Zigaretten gehandelt habe, sei ihm nicht bekannt gewesen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides auszusetzen.

Das HZA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist, weil vom FG zugelassen (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), statthaft, aber nicht begründet. Das FG hat richtig entschieden, daß Aussetzungsgründe (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO) nicht ersichtlich sind. Insbesondere bestehen nicht die von der Beschwerde allein noch geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides. Auf steuerstrafrechtliche Gesichtspunkte kommt es im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht an.

Der Antragsteller hat den Steuerentstehungstatbestand nach § 19 TabStG verwirklicht. Die Zigaretten sind unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG -- Verwendung von Steuerzeichen -- aus dem freien Verkehr Belgiens in das deutsche Steuergebiet verbracht worden. Der Begriff "freier Verkehr anderer Mitgliedstaaten" ist tabaksteuerrechtlicher Art; er bezeichnet den verbrauchsteuerrechtlichen Status, den die Waren in Belgien durch ihre Entwendung in einem Freilager erlangt hatten. Maßgebend ist insoweit Art. 6 Abs. 1 Buchst. a i. V. m. Art. 5 Abs. 2 RL. Die -- auch unrechtmäßige -- Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung (Freilager) bewirkt die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr (vgl. auch die der RL entsprechende Entnahmevorschrift in § 11 Abs. 1 TabStG). Das TabStG (§ 19), das die RL in innerstaatliches Recht umsetzt (amtliche Begründung zum Verbrauchsteuer- Binnenmarktgesetz in BTDrucks 12/3432 S. 70; vgl. auch § 31 Nr. 15 Buchst. d TabStG; s. ferner § 2 Abs. 6, § 31 Nr. 1 TabStG), ist auch ohne eine ausdrückliche Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. a RL, sollte sie in diesem Zusammenhang überhaupt gesetzestechnisch in Betracht gekommen sein, hinreichend klar. Daß das Gemeinschaftsrecht in Belgien richtlinienkonform umgesetzt worden ist, erscheint nicht zweifelhaft. Im übrigen verdeutlicht auch die Systematik des TabStG, daß ein gewerbliches "unversteuertes" Verbringen aus einem anderen Mitgliedstaat, wenn kein Verkehr unter Steueraussetzung (§ 16 Abs. 1 Satz 1) vorliegt, unter § 19 fällt. Einer besonderen richtlinienkonformen Auslegung bedarf es zur Gewinnung dieses aus Wortlaut, Zweck und Systematik des Gesetzes abzuleitenden Ergebnisses nicht. Auch dies hat das FG zutreffend entschieden. Durch das Rückverbringen der Zigaretten wird die Entstehung der Steuer nicht in Frage gestellt. Die Voraussetzungen für einen Erlaß der Tabaksteuer sind nicht erfüllt (vgl. auch § 24 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Tabaksteuergesetzes); dementsprechend ist auch kein Steuererlaß gewährt worden. Die Frage, ob der Antragsteller den zoll- und steuerrechtlichen Status der Zigaretten gekannt hat, stellt sich nicht, da er nicht als Haftender (Steuerhinterzieher usw.), sondern als Steuerschuldner in Anspruch genommen wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421725

BFH/NV 1996, 935

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