Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrfache Revisionseinlegung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
- Das Recht, Revision zu beantragen, kann innerhalb der Revisionsfrist wiederholt wahrgenommen werden. Über das Rechtsmittel der Revision ist einheitlich auch dann zu entscheiden, wenn gleichzeitig mehrere Revisionseinlegungen eines Beteiligten gegen dasselbe Urteil zur Entscheidung vorliegen.
- Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Revisionsfrist ist nicht zu gewähren, wenn die verspätete Einlegung darauf zurückzuführen ist, dass zunächst durch eine Steuerberatungsgesellschaft Revision eingelegt wurde, weil die Sekretärin irrtümlich den Briefkopf der Steuerberatungsgesellschaft verwandt hat, weil sie der Auffassung war, die Revision sei durch die Gesellschaft und nicht durch den Prozessbevollmächtigten persönlich einzulegen, der Prozessbevollmächtigte bei Unterzeichnung der Revisionsschrift dies aber nicht bemerkt hat.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 120 Abs. 1 S. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1 Sätze 1-2
Tatbestand
I. Mit ihrer nach erfolglosem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1994 erhobenen Klage machten die zur Einkommensteuer zusammen veranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) geltend, ihre Gesamtsteuerbelastung mit Ertragsteuern sei verfassungswidrig, denn sie übersteige 50 v.H. des zu versteuernden Einkommens. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, ließ aber die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.
Gegen dieses Urteil legten die Kläger unter dem Briefkopf der X-Steuerberatungsgesellschaft mbH Revision ein. Im Revisionsschreiben ist die GmbH als Prozessbevollmächtigte genannt und der Unterschrift vorangestellt. Die Vollmacht lautet auf die GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer, Steuerberater Y. Auch der Fristverlängerungsantrag für die Revisionsbegründung sowie der Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wurden unter dem Briefkopf der Steuerberatungsgesellschaft erstellt, weisen jeweils vor der Unterschrift die X-Steuerberatungsgesellschaft mbH aus und sind zudem in der "Wir-Form" gestellt.
Nach einem Hinweis der Geschäftsstelle vom 16. Dezember 1999 legte Steuerberater Y, der zugleich Geschäftsführer der GmbH ist, mit Schreiben vom 22. Dezember 1999, eingegangen am 27. Dezember 1999, Revision beim FG ein und beantragte wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages trug er im Wesentlichen vor:
Aufgrund eines Büroversehens seien die entsprechenden Anträge nicht auf dem Briefbogen der Einzelfirma Y, Steuerberater, sondern auf dem Briefbogen der X-Steuerberatungsgesellschaft mbH verfasst worden. Seine ansonsten äußerst zuverlässige und außergewöhnlich sorgfältige Sekretärin, Frau Z, habe versehentlich den X-Bogen herangezogen und, wie es dort üblich sei, alle Schreiben in der "Wir"-Form abgefasst. Da sich der Unterzeichner häufig außer Haus befunden habe und ihm die Postmappen zwischen mehreren Kurzaufenthalten im … Büro vorgelegt worden seien, sei in diesem konkreten Fall die falsche Wahl der Briefbögen nicht aufgefallen. Da Frau Z zu diesem Zeitpunkt auch die entsprechenden Vollmachtformulare für die Kläger erstellt habe, habe sich auch hier der entsprechende Fehler bei der Wahl der Formulare eingeschlichen. Er beantrage sowohl hinsichtlich der Versäumung der Revisionsfrist als auch der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Diesem Schreiben beigefügt war eine eidesstattliche Versicherung der Sekretärin, in der diese versichert, dass sie im Zusammenhang mit den Schriftsätzen der Revisionseinlegung in der Streitsache davon ausgegangen sei, dass diese auf dem Firmenbogen der X-Steuerberatungsgesellschaft mbH zu schreiben gewesen seien und nicht unter dem Namen von Herrn Steuerberater Y.
Nach einem weiteren Hinweis der Geschäftsstelle, gefaxt am 27. Dezember 1999, wiederholten die Kläger durch ein an den Bundesfinanzhof (BFH) gerichtetes Fax ihres Prozessbevollmächtigten (Herrn Steuerberater Y) vom 29. Dezember 1999 ihren Wiedereinsetzungsantrag wegen der Versäumung der Revisionsfrist.
Die Kläger beantragen, das "Urteil" des FG vom 20. September 1999 aufzuheben und die Einkommensteuer 1994 so herabzusetzen, dass keine höhere Gesamtbelastung als 50 v.H. des zu versteuernden Einkommens für 1994 entsteht. Ferner beantragen sie das Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf das Verfahren 2 BvR 2194/99 zu der inhaltlich hier ebenfalls streitigen Frage des Halbteilungsgrundsatzes.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig.
Das Urteil des FG wurde den Klägern im Jahre 1999 zugestellt. Die Zulässigkeit der Revision beurteilt sich daher nach den bis 31. Dezember 2000 geltenden Vorschriften (vgl. Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG―, BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567).
1. Vor dem BFH muss sich jeder Beteiligte, sofern es sich nicht um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine Behörde handelt, durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen (Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ―BFHEntlG―). Das gilt auch für die Einlegung der Revision und der Beschwerde (Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFHEntlG). Hierauf wurden die Kläger durch die dem angefochtenen Urteil beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung hingewiesen.
Steuerberatungsgesellschaften sind nach ständiger Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 12. November 1976 III R 14-15/76 (BFHE 120, 335, BStBl II 1977, 121) von der Vertretungsbefugnis ausgeschlossen (BFH-Urteil vom 26. Februar 1999 XI R 66/97, BFHE 188, 13, BStBl II 1999, 363).
Im Streitfall ist die Revision vom 8. November 1999 durch die X-Steuerberatungsgesellschaft mbH eingelegt worden und damit unwirksam. Dies ergibt sich daraus, dass die Revisionsschrift die GmbH als Prozessbevollmächtigte nennt, unter dem Briefkopf dieser Gesellschaft erstellt, von einem der Geschäftsführer der Gesellschaft unterschrieben und dieser Unterschrift die Bezeichnung der Gesellschaft vorangestellt ist. Auch die nachfolgenden Anträge nach § 68 FGO und auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist sind sämtlich unter dem Briefkopf der GmbH gefertigt und weisen die Unterschrift des Geschäftsführers aus, dessen Name die Bezeichnung der GmbH vorangestellt ist. Zudem sind sie in der "Wir-Form" abgefasst.
Die Revision vom 22. Dezember 1999, eingegangen am 27. Dezember 1999, ist zwar von einer vor dem BFH vertretungsbefugten Person, von deren Bevollmächtigung der Senat ausgeht, eingelegt worden; sie ist jedoch erst nach Ablauf der Revisionsfrist beim FG eingegangen und daher ebenfalls wirkungslos. Das Recht, Revision zu beantragen, kann innerhalb der Revisionsfrist wiederholt wahrgenommen werden. Über das Rechtsmittel der Revision ist einheitlich auch dann zu entscheiden, wenn gleichzeitig mehrere Revisionseinlegungen eines Beteiligten gegen dasselbe Urteil zur Entscheidung vorliegen (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1984 IX R 16/81, BFHE 141, 467, BStBl II 1984, 833). Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen. Im Streitfall war die Revision vom FG zugelassen worden. Der Gerichtsbescheid ist der Prozessbevollmächtigten am 8. Oktober 1999 zugestellt worden. Die Rechtsmittelfrist lief daher am 8. November 1999 ab (§ 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung ―ZPO― und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches ―BGB―). Die Revisionsschrift ist jedoch erst am 27. Dezember 1999 beim FG eingegangen.
2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) wegen Versäumung der Revisionsfrist sind nicht gegeben. Die Fristversäumnis beruht nach eigenem Vorbringen auf einem schuldhaften Versäumnis des Prozessbevollmächtigten der Kläger, das den Klägern nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
Nach ständiger Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes darf ein Prozessbevollmächtigter die Ausfertigung einer Rechtsmittelschrift auch geschultem Büropersonal nicht eigenverantwortlich überlassen. Er hat vielmehr das Arbeitsergebnis jeweils sorgfältig zu überprüfen. Insbesondere muss er prüfen, ob die Rechtsmittelschrift vollständig ist, alle notwendigen Angaben richtig enthält und an das richtige Gericht adressiert ist (BFH-Beschluss vom 7. Juni 1991 IV R 32/91, BFH/NV 1991, 761, m.w.N.).
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat seine Sorgfaltspflichten zum einen dadurch verletzt, dass er es seiner Sekretärin überlassen hat zu entscheiden, ob die Revision namens der GmbH oder namens des Steuerberaters Y einzulegen sei, und zum andern, als er die fehlerhaften Schriftsätze bei Unterzeichnung der Revisionsschrift nicht bemerkt hat.
3. Da den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist nicht gewährt werden kann, kommt eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dem Verfahren 2 BvR 2194/99 nicht in Betracht. Denn dem Senat ist eine Sachentscheidung über die vorgreifliche Rechtsfrage verwehrt (BFH-Beschluss vom 10. November 1993 X B 83/93, BFHE 172, 197, BStBl II 1994, 119).
Ebenso wenig braucht der Senat zu entscheiden, ob die Rechtsbehelfsbelehrung im geänderten Einkommensteuerbescheid vom 10. Mai 2001 zutreffend ist. Da das Rechtsmittel unzulässig ist, sind die während des Revisionsverfahrens ergangenen Einkommensteuerbescheide für das Streitjahr nicht Gegenstand des Verfahrens geworden.
Fundstellen
Haufe-Index 649579 |
BFH/NV 2002, 49 |