Entscheidungsstichwort (Thema)
Unstatthaftigkeit einer sog. außerordentlichen Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit nach Inkrafttreten des AnhRüG
Leitsatz (NV)
1. Nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (AnhRüG) ist die außerordentliche Beschwerde unstatthaft. Sie ist unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsmittelklarheit.
2. Eine Umdeutung des von einem anwaltlich vertretenen Antragsteller ausdrücklich als außerordentliche Beschwerde bezeichneten Begehrens in eine Anhörungsrüge kommt nicht in Betracht.
Normenkette
FGO § 133a; AnhRüG
Verfahrensgang
FG Münster (Beschluss vom 27.04.2007; Aktenzeichen 8 V 280/07 E,F) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 128 Abs. 3, § 132 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO steht den Beteiligten die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach § 69 Abs. 3 FGO nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Daran fehlt es im Streitfall, da das Finanzgericht (FG) in dem Beschluss vom 27. April 2007 den Antrag auf AdV zurückgewiesen hat, ohne eine Beschwerde zuzulassen. Deshalb ist die Beschwerde unstatthaft und als unzulässig zu verwerfen.
2. Ebenso unstatthaft ist die von dem Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) eingelegte und ausdrücklich als solche bezeichnete sog. außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit.
a) Eine außerordentliche Beschwerde ist generell unstatthaft. Nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (AnhRüG) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3220) zum 1. Januar 2005 ist ein derartiger außerordentlicher, gesetzlich nicht geregelter Rechtsbehelf ausgeschlossen.
b) Eine im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildung in der Vergangenheit in Fällen sog. greifbarer Gesetzeswidrigkeit für denkbar gehaltene außerordentliche Beschwerde genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit (vgl. dazu Beschluss des Plenums des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 30. April 2003 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, 416). Das BVerfG hat ausdrücklich klargestellt, dass außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffene außerordentliche Rechtsbehelfe gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtsmittelklarheit verstoßen und bisher außerhalb des gesetzten Rechts entwickelte Rechtsbehelfe den verfassungsrechtlichen Anforderungen an diesen Verfassungsgrundsatz nicht genügen. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns verlange, dass Rechtssuchenden der Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorgezeichnet werden müsse.
Nachdem das BVerfG in Fortführung seines Plenumsbeschlusses in BVerfGE 107, 395 auch unter der geänderten Rechtslage seit Inkrafttreten des AnhRüG zum 1. Januar 2005 entschieden hat, dass eine außerordentliche Beschwerde unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsmittelklarheit sei (Kammerbeschluss vom 16. Januar 2007 1 BvR 2803/06, bisher nicht veröffentlicht), ist generell die Statthaftigkeit einer außerordentlichen Beschwerde abzulehnen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. November 2005 VIII B 181/05, BFHE 211, 37, BStBl II 2006, 188; vom 26. Januar 2006 II B 93/05, BFH/NV 2006, 1157; vom 21. Februar 2006 V S 25/05, BFH/NV 2006, 1128; vom 14. März 2007 IV S 13/06 (PKH), BStBl II 2007, 468).
3. Eine Umdeutung des ausdrücklich als außerordentliche Beschwerde bezeichneten Begehrens des Antragstellers in eine Anhörungsrüge nach § 133a FGO führt ebenfalls nicht zum Erfolg.
a) Da der Anhörungsrüge kein Devolutiveffekt zukommt (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 133a Rz 2, m.w.N), ist die Anhörungsrüge bei dem Gericht zu erheben, das die gerügte Entscheidung erlassen hat, also beim FG. Das FG hat aber eine Auslegung des Begehrens des anwaltlich vertretenen Antragstellers und eine Umdeutung der außerordentlichen Beschwerde in eine Anhörungsrüge ausdrücklich abgelehnt und sein Begehren als außerordentliche Beschwerde behandelt.
b) Für eine Umdeutung in eine Anhörungsrüge wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den beschließenden Senat ist ebenfalls kein Raum, da hierfür eine schlüssige Darlegung, dass das Gericht den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, erforderlich ist. An einer solchen Darlegung fehlt es jedoch.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 i.V.m. § 143 Abs. 1 FGO. Eine Gebührenfreiheit nach § 66 Abs. 8 des Gerichtskostengesetzes besteht bei einer nicht statthaften Beschwerde nicht (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 211, 37, BStBl II 2006, 188; vom 26. Januar 2005 VII B 332/04, BFH/NV 2005, 905; vom 20. Mai 2005 V B 19/05, BFH/NV 2005, 1830).
Fundstellen