Leitsatz (amtlich)
Eine Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Investitionshilfeabgabe-Haftungsbescheids ist nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil bei summarischer Betrachtung verfassungsrechtliche Bedenken gegen das InvHG bestehen.
Normenkette
FGO § 69
Verfahrensgang
Tatbestand
In der Hauptsache ist umstritten, ob der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) zu Recht gegen die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Beschwerdegegnerin) einen Haftungsbescheid wegen Investitionshilfeabgabe erlassen hat.
Da die Beschwerdegegnerin die für Rechnung ihrer Arbeitnehmer einbehaltenen Investitionshilfeabgaben für Januar 1983 nicht angemeldet und abgeführt hatte, erließ das FA einen Haftungsbescheid, gegen den die Beschwerdegegnerin Sprungklage erhob, der das FA nicht zustimmte. Dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung entsprach das FA nicht. Das Finanzgericht (FG) hat dem bei ihm gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattgegeben. Nach seiner Auffassung bestehen ernstliche Zweifel, daß die Beschwerdegegnerin für die nicht abgeführten Investitionshilfeabgaben hafte. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf die in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 514 abgedruckte Entscheidung des FG verwiesen.
Mit der Beschwerde rügt das FA Verletzung des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe zu Unrecht ernstliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit des Investitionshilfegesetzes vom 20. Dezember 1982 - InvHG - (BGBl I 1982, 1857, BStBl I 1982, 982). Zudem habe eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der die Interessen der Allgemeinheit und des einzelnen gegeneinander abzuwägen seien. Dabei gehe das Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Vollzug des InvHG vor.
Das FA rügt ferner, das FG hätte auch im Aussetzungsverfahren die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einholen müssen.
Das FA macht schließlich geltend, der Beschwerdegegnerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis.
Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BMF) vertritt im wesentlichen folgende Auffassung:
Art. 105 des Grundgesetzes (GG) sei im Streitfall nicht einschlägig. Das InvHG halte sich im Rahmen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) und Art. 74 Nr. 18 GG (Wohnungswesen).
Der Kreis verfassungsrechtlich zulässiger Abgaben sei nicht geschlossen. Für die Zulässigkeit komme es nicht stets auf eine homogene Gruppe und eine gruppennützige Verwendung wie in den Fällen der sog. gruppennützigen Sonderabgaben an.
Entscheidend sei, daß der Bundesgesetzgeber die Kompetenz zur Aufbringung der erforderlichen Mittel über eine nicht rückzahlbare Ergänzungsabgabe nach Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG gehabt hätte.
Auch die sich aus der Rückzahlungspflicht ergebende Bindung des Gesetzgebers für künftige Haushaltsjahre könne eine Verfassungswidrigkeit der Investitionshilfeabgabe nicht begründen.
Das InvHG verletzt nach Auffassung des BMF auch nicht Art. 3 Abs. 1 GG. So gebe es vor allem für die Beschränkung der Verrechnungsmöglichkeit gemäß § 4 Abs. 4 InvHG wohlerwogene sachliche Gründe.
Der Gesetzgeber sei insbesondere nicht gehalten gewesen, die Verrechnungsmöglichkeit auch Beziehern von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit für nichtbetriebliche Investitionen zu gewähren.
Der BMF macht schließlich geltend, etwaige ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des InvHG oder an der Vereinbarkeit entscheidungserheblicher Einzelnormen dieses Gesetzes mit Art. 3 Abs. 1 GG würden nicht zwangsläufig die Aussetzung der Vollziehung bedingen.
Die zu wahrenden Interessen der Allgemeinheit ständen im Streitfall einer Aussetzung entgegen. Hinzu komme, daß es nicht Sinn und Zweck der Vollziehungsaussetzung sei, die Hauptsacheentscheidung vorwegzunehmen oder ihrerseits "vollzogene Tatsachen" zu schaffen. Dies würde aber bei einer Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids geschehen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Aussetzungsantrags. Der Senat hat zwar ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids. Wegen der besonderen Verhältnisse im Streitfall war die begehrte Aussetzung jedoch zu versagen.
I.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das FG die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei der überschlägigen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, 426, BStBl II 1978, 579).
Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine dem Bescheid zugrunde liegende Norm begründet werden.
1. Die Anwendung des § 69 Abs. 3 FGO ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil das BVerfG unter den in § 32 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) genannten Voraussetzungen einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln kann. Aussetzung der Vollziehung und einstweilige Anordnung haben im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes unterschiedliche Funktionen zu erfüllen. In den Fällen der Aussetzung der Vollziehung liegt bereits ein vollziehbarer und in der Regel angefochtener Verwaltungsakt vor. Die Verwaltung hat bereits in den Rechtsbereich des einzelnen Steuerpflichtigen eingegriffen. Dies erfordert aber einen andersartigen vorläufigen Rechtsschutz, als er von § 32 BVerfGG bezweckt wird. Dem entspricht die Rechtsprechung des BVerfG, wonach eine einstweilige Anordnung dann nicht dringend geboten ist, wenn das erstrebte Ziel auch auf einem anderen Weg, insbesondere durch Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 FGO erreicht werden kann (Beschluß vom 17. Juli 1973 1 BvQ 8/73, BVerfGE 35, 379, m. w. N.; vgl. ferner Urteil vom 21. Februar 1961 1 BvR 314/60, BVerfGE 12, 180, 186, BStBl I 1961, 63 f.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Randnote 5 zu § 69 FGO; Fuss, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1959, 201; Granderath, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1971, 542).
2. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen, als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung. Es genügen auch insoweit gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechende Gründe (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Randnote 51 zu § 69 FGO; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Randnote 4137). Die Begründetheit des Aussetzungsantrags ist nicht nach den Grundsätzen zu beurteilen, wie sie das BVerfG für die einstweilige Anordnung gemäß § 32 BVerfGG entwickelt hat (vgl. insbesondere BVerfGE 3, 34; 6, 1; 7, 175; 29, 179). Das Gericht hat darüber zu befinden, ob die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ernstlich zweifelhaft ist. Dabei macht es aber keinen Unterschied, welche Art von Umständen diese Zweifel begründen.
Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß einstweilige Anordnung und Aussetzung der Vollziehung unterschiedliche Funktionen im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes haben.
II.
Entgegen der Auffassung der Finanzbehörden bestehen im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids, und zwar aufgrund der Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des InvHG. Diese Zweifel ergeben sich bei der gebotenen summarischen Betrachtungsweise. Die abschließende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des InvHG obliegt dem BVerfG.
Die Bedenken des Senats richten sich - wenn auch in unterschiedlicher Stärke - gegen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes sowie die Vereinbarkeit einzelner Vorschriften des InvHG mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Dabei ist davon auszugehen, daß die geltende Finanzverfassung des GG die Erhebung einer zinslosen Zwangsanleihe nicht ausdrücklich regelt.
1. Gesetzgebungskompetenz
a) Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ergibt sich bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Betrachtung nicht aufgrund der für die Steuergesetzgebung maßgeblichen Kompetenznormen des GG (Art. 105 GG). Zwar erläutert die Verfassung den Begriff "Steuer" nicht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG liegt dem GG jedoch die herkömmliche Begriffsbildung im deutschen Steuerrecht zugrunde (BVerfGE 3, 407, 435; 55, 299; vgl. ferner Bonner Kommentar, Randnote 24 zu Art. 105 GG; Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Randnote 2 zu Art. 105; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl., Randnote 7 zu Art. 105). Danach sind Steuern Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (vgl. § 1 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -, § 3 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -).
Die Investitionshilfeabgabe weist zwar einige einer Steuer verwandte Züge auf. Dennoch ist sie mit Rücksicht auf ihre Rückzahlbarkeit und damit im Unterschied zur Ergänzungsabgabe und zum Stabilitätszuschlag nicht als Steuer, sondern als ein zwangsweise erhobener zinsloser Kredit anzusehen. Sie dient nicht zur Erzielung von Einkünften im Sinn der vorstehend angeführten Begriffsbestimmung. Dabei ist davon auszugehen, daß der Gegenstand der Verpflichtung, d. h. die Abgabe selbst, nicht aber ein sich daraus mittelbar ergebender Vorteil den öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen endgültig verbleibt. Der erkennende Senat folgt insoweit der von Fischer-Menshausen (in: von Münch, Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., Randnote 6 a zu Art. 105), Isensee (Protokoll über die 45. Sitzung des Rechtsausschusses in der 9. Wahlperiode des Deutschen Bundestages - Protokoll - S. 560), Schneider (Protokoll, S. 569) und Tipke (Steuerrecht, 9. Aufl., S. 55, 488), vgl. ferner Becker/Riewald/Koch (Reichsabgabenordnung, Kommentar, Anm. 3 a zu § 1) vertretenen Ansicht, wonach die Einnahme dem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen "endgültig" zufallen muß, um sie als Steuer qualifizieren zu können.
b) Der erkennende Senat hat ferner Bedenken, ob Art. 74 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft) und Art. 74 Nr. 18 GG (Wohnungswesen) die Rechtsgrundlage für die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes bilden können.
aa) Zwar ist der Begriff "Recht der Wirtschaft" in Art. 74 Nr. 11 GG in einem weiten Sinn zu verstehen. Er umfaßt alle das wirtschaftsleben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnden Normen und dabei auch Gesetze, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingreifen (vgl. BVerfG-Urteil vom 10. Dezember 1980 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274, 308 f.). Das "Recht der Wirtschaft" in diesem Sinn umfaßt jedoch grundsätzlich nicht die Befugnis, außerhalb der durch Art. 105 ff. GG verliehenen Kompetenzen die Erhebung von Abgaben zu regeln. Außersteuerliche Abgaben stellen nach der Rechtsprechung des BVerfG gegenüber der Steuer die seltene Ausnahme dar (BVerfGE 55, 274). Der Senat versteht diese Rechtsprechung in der Weise, daß außersteuerliche Abgaben grundsätzlich nicht zur Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen Finanzbedarf eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben werden dürfen und ihr Aufkommen nicht zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben verwendet werden darf (vgl. BVerfGE 55, 299 ff.; 57, 139; Schmidt-Bleibtreu, Betriebs-Berater - BB - 1981, 1285 ff.).
Die Investitionshilfeabgabe ist nicht zu den Abgaben zu rechnen, die nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG als zulässig angesehen worden sind. Insbesondere handelt es sich nicht um eine sog. gruppennützige Sonderabgabe.
bb) Die Investitionshilfeabgabe ist nicht mit dem vom BVerfG als verfassungrechtlich zulässig angesehenen Konjunkturzuschlag vergleichbar. Bei diesem handelte es sich nicht um eine Abgabe, die in den Staatshaushalt floß und die zur Finanzierung öffentlicher Zwecke diente, sondern vielmehr um eine Lenkungsmaßnahme, bei der der öffentliche Haushalt nicht berührt wurde. Ebensowenig wie der Konjunkturzuschlag hatte das InvHG 1952 Finanzierungsfunktion. Zwar wurden auch hier formal Gelder erhoben und später wieder zurückgezahlt. Die aufgebrachten Mittel wurden jedoch nicht für den öffentlichen Haushalt verwendet.
cc) Ebenso scheidet Art. 74 Nr. 18 GG (Wohnungswesen) als Rechtsgrundlage für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus, weil es auf die Abgabelast, nicht auf die Ausgabekompetenz ankommt (vgl. Isensee, Protokoll, S. 564; Kisker, Protokoll, S. 566).
c) Der Senat hat ferner Bedenken gegen die Auffassung der Finanzbehörden, die Investitionshilfeabgabe sei als das mildere Mittel gegenüber der verfassungsrechtlich zulässigen Ergänzungsabgabe zulässig. Diese Rechtsansicht trägt der von der Finanzverfassung vorgegebenen eindeutigen Trennung zwischen den einzelnen Finanzierungsinstrumenten, insbesondere zwischen Steuern einerseits und außersteuerlichen Abgaben andererseits (vgl. BVerfGE 55, 274), nicht in dem gebotenen Umfang Rechnung. Sie berücksichtigt nicht ausreichend, daß Steuern, außersteuerliche Abgaben und die Aufnahme von Krediten selbständige finanzverfassungsrechtliche Instrumente mit unterschiedlichen Funktionen sind (vgl. dazu Kirchhof, Verfassungsrecht und öffentliches Einnahmesystem, in: Staatsfinanzierung im Wandel, Neue Folge Bd. 134 der Schriften des Vereins für Socialpolitik, 1983, 33 ff.), für die jeweils unterschiedliche finanzverfassungsrechtliche Regelungen gelten (vgl. auch Schneider, Protokoll, S. 572) und die nicht ohne weiteres austauschbar sind.
2. Vereinbarkeit einzelner Normen des InvHG mit dem GG
a) Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Senats richten sich vornehmlich gegen die Regelung des § 4 Abs. 4 InvHG. Danach ermäßigt sich die Abgabe bei Abgabepflichtigen, die ausschließlich oder teilweise Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit beziehen, um 20 v. H. der Summe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten bestimmter betrieblicher Investitionen. Diese Möglichkeit der Vermeidung der Investitionshilfeabgabe besteht nicht für die übrigen Steuerpflichtigen, die keine derartigen sog. Gewinneinkünfte beziehen, insbesondere nicht für die Bezieher von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, und zwar selbst dann nicht, wenn sie in den Wohnungsbau investieren.
Nach Auffassung des Senats widerspricht diese Regelung der vom Gesetz selbst statuierten Sachgesetzlichkeit, ohne daß hierfür ausreichende sachliche Gründe erkennbar sind (vgl. dazu Isensee, Protokoll, S. 564). Nach der derzeitigen gesetzlichen Regelung kann nämlich die Investitionshilfeabgabe von dem begünstigten Personenkreis sogar durch Investitionen vermieden werden, die mit dem Zweck des Gesetzes, nämlich Förderung des Wohnungsbaues, nicht in Einklang stehen.
Die Finanzbehörden machen zwar geltend, mit der Regelung des § 4 Abs. 4 InvHG solle vermieden werden, daß die für eine Wirtschaftsbelebung und eine Verbesserung der Beschäftigungslage unverzichtbaren betrieblichen Investitionen durch unvorhergesehene Zusatzbelastungen infolge der liquiditätsmindernden Wirkung der Abgaben gestört werden (vgl. auch Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 9/2074 S. 72). Der Gesetzgeber hat aber die Möglichkeit, die Investitionshilfeabgabe zu vermeiden, ausdrücklich vorgesehen. Dementsprechend ist entscheidungserheblich, ob es ausreichende Gründe für den Ausschluß des genannten Personenkreises von der Regelung des § 4 Abs. 4 InvHG gibt. Nach dem Vorbringen des BMF hätte eine über betriebliche Investitionen hinausreichende Möglichkeit, die Abgabe zu vermeiden, zur Folge gehabt, daß die verfügbaren Mittel zum großen Teil in volkswirtschaftlich wenig sinnvolle Verwendung fließen würden. Abgesehen davon, daß der BMF nicht dargelegt hat, worauf sich eine solche Annahme stützt, ist dem entgegenzuhalten, daß nach § 4 Abs. 4 InvHG auch Investitionen berücksichtigungsfähig sind, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem Wohnungsbau stehen. Überdies hätte es dem Gesetzgeber freigestanden, eine auf den Wohnungsbau bezogene sachliche Einschränkung der berücksichtigungsfähigen nichtbetrieblichen Investitionen festzulegen. Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob die Behauptung des BMF, bei Ausdehnung der Regelung des § 4 Abs. 4 InvHG sei die wirtschaftspolitische Wirksamkeit des InvHG in Frage gestellt, auch bei einer derartigen Ausgestaltung noch zutrifft.
b) Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das InvHG sieht der Senat noch verstärkt durch die Regelung des § 6 Abs. 3 InvHG. Danach wird beim Lohnempfänger die Abgabe durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben, und zwar beginnend schon ab 1. Januar 1983, während die Abgabeschuld sonst erst am 10. März des jeweiligen Anmeldungsjahrs an das FA zu entrichten ist (§ 6 Abs. 1 Satz 4 InvHG). Der Senat hat Zweifel, ob die von den Finanzbehörden hierfür vorgetragenen Praktikabilitätserwägungen die unterschiedliche Regelung rechtfertigen können. Entscheidend hierfür ist, daß die Investitionshilfeabgabepflicht zeitlich begrenzt ist und bei den von ihr betroffenen Lohnempfängern regelmäßig ebenfalls eine Veranlagung durchgeführt wird. Demgegenüber tritt der möglicherweise frühere Rückzahlungstermin zurück.
III.
Das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids rechtfertigt jedoch nicht zwangsläufig auch die Aussetzung der Vollziehung.
Das Gericht hat zwar bei Vorliegen der Voraussetzung des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO die Vollziehung grundsätzlich auszusetzen. Dies gilt jedoch nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67 (BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199) nicht ausnahmslos. Vielmehr kann sich in Sonderfällen etwas anderes ergeben (ebenso Gräber, Finanzgerichtsordnung, Randnote 9 zu § 69; Tipke/Kruse, a. a. O., Randnote 5 zu § 69 FGO; Söhn, NJW 1970, 315; vgl. ferner auch Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a. a. O., Randnoten 4151 ff., die nicht nur in Sonderfällen ein Ermessen einräumen wollen). Nach Tipke/Kruse (a. a. O.) liegt ein solcher "atypischer" Fall etwa dann vor, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit sich aus der Verfassungsmäßigkeit einer Norm ergeben, der Aussetzung der Vollziehung aber schwerwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen würden (ebenso Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a. a. O., Randnoten 4152/8 ff.). Nach Auffassung des erkennenden Senats betrifft das Streitverfahren einen Fall, der es erfordert, die Aussetzung der Vollziehung ausnahmsweise zu versagen. Allerdings reicht der Umstand, daß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die dem Bescheid zugrunde liegenden Normen begründet werden, nicht schon für sich allein gesehen aus, den Aussetzungsantrag des Beschwerdegegners abzuweisen. Entscheidend ist vielmehr die im Streitfall gebotene Beachtung der Verwerfungskompetenz des BVerfG, wobei Art und Zweck des InvHG von ausschlaggebender Bedeutung sind.
Zwar hat die Entscheidung des Senats unmittelbare Wirkung nur zwischen den Verfahrensbeteiligten. Gleichwohl würde sie in der praktischen Auswirkung einem zeitweiligen Außerkraftsetzen des InvHG gleichkommen. Bei summarischer Betrachtung hätte die Aussetzung zur Folge, daß der Zweck des Gesetzes, im Interesse einer alsbaldigen Belebung der Wirtschaft kurzfristig finanzielle Mittel zur Ankurbelung des Wohnungsbaues zu beschaffen, zeitweise zumindest in wesentlichen Teilen vereitelt würde (Zur Berücksichtigung wirtschaftspolitischer Überlegungen, vgl. Söhn, NJW 1970, 317, Anm. 33). Als wesentlicher Umstand kommt hinzu, daß das InvHG zeitbezogen ist. Die Aussetzung der Vollziehung hätte damit eine so weitreichende Wirkung, wie sie nur durch eine Entscheidung des BVerfG geschaffen werden kann. Der erkennende Senat sieht sich dadurch gehindert, den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Dabei berücksichtigt er, daß mit einer alsbaldigen Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des InvHG zu rechnen ist. Der Senat läßt im übrigen unerörtert, ob die Aussetzung auch dann zu versagen gewesen wäre, wenn die Verfassungswidrigkeit des InvHG insgesamt oder einzelner Teile davon für den Senat außer Zweifel ständen. Diese Voraussetzung liegt nicht vor.
IV.
Der Senat war nicht verpflichtet, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Gegenstand der Prüfung im Aussetzungsverfahren ist die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids. Eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des InvHG trifft der Senat nicht; er bringt lediglich im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids seine verfassungsrechtlichen Bedenken zum Ausdruck.
V.
Nach Ansicht des erkennenden Senats macht es keinen Unterschied, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer selbst Aussetzung der Vollziehung begehrt.
Fundstellen
Haufe-Index 74797 |
BStBl II 1984, 454 |
BFHE 1984, 396 |