Entscheidungsstichwort (Thema)
Schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO bei Entscheidung über das Ablehnungsgesuch im angefochtenen Urteil
Leitsatz (NV)
Hat das Finanzgericht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters das Ablehnungsgesuch in dem mit der Revision angefochtenen Urteil als unzulässig beurteilt, setzt die schlüssige Rüge des Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO nicht nur den Vortrag voraus, der abgelehnte Richter habe an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt. Vielmehr müssen auch die Ablehnungsgründe substantiiert vorgetragen werden und es muss substantiiert dargelegt werden, aus welchen Gründen das Ablehnungsgesuch entgegen der Auffassung der Vorinstanz zulässig ist.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1, § 116 Abs. 1 Nrn. 1-2; ZPO § 42 Abs. 2
Tatbestand
I. 1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ―eine GmbH, deren alleiniger Geschäftsführer der Steuerberater (A) ist― erhob am 5. März 1998 beim Finanzgericht (FG) Köln gegen den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) Klage wegen auf Schätzungen beruhender Steuerbescheide und der Festsetzung eines Verspätungszuschlags. In der Klageschrift beantragte sie, die angefochtenen Bescheide aufzuheben. Das FG forderte die Klägerin durch Schreiben vom 9. März 1998 unter Fristsetzung gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Schreibens den Gegenstand ihres Klagebegehrens zu bezeichnen. Da die Klägerin darauf nicht reagierte, wies das FG durch Gerichtsbescheid vom 22. April 1998 die Klage als unzulässig ab. An dem Gerichtsbescheid wirkten der Vorsitzende Richter (B) und der zum Berichterstatter bestellte Richter am FG (C) mit. Die Klägerin beantragte mündliche Verhandlung, die das FG zunächst auf den 23. Juni 1998 terminierte.
2. Mit Schriftsatz vom 19. Juni 1998 lehnte die Klägerin C wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das FG hob den Termin zur mündlichen Verhandlung auf und wies durch Beschluss vom 22. September 1998 das Ablehnungsgesuch als unzulässig ab. Es vertrat die Auffassung, die Klägerin habe gemäß § 43 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i.V.m. § 51 Abs. 1 FGO durch den Antrag auf mündliche Verhandlung ihr etwaiges Ablehnungsrecht verloren. Auch an diesem Beschluss wirkten B und C mit. Die Klägerin legte Beschwerde ein.
3. Am 24. September 1998 setzte das FG erneut einen Termin zur mündlichen Verhandlung fest, nunmehr auf den 27. Oktober 1998. Daraufhin lehnte die Klägerin mit Schriftsatz vom 26. Oktober 1998 auch B wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Über dieses Ablehnungsgesuch entschied das FG nicht durch Beschluss, sondern im Urteil vom 27. Oktober 1998, mit dem es die Klage abwies. Es beurteilte das B betreffende Ablehnungsgesuch als unzulässig, da es keine substantiierte und nachvollziehbare Darlegung eines Ablehnungsgrundes enthalte und allein der Prozessverschleppung diene. An dem Urteil wirkten B und C mit. Die Revision ließ das FG nicht zu.
4. Mit einem von A unterzeichneten Schriftsatz hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde und Revision eingelegt. Zur Begründung der Revision hat sie sinngemäß vorgetragen: Das Rechtsmittel sei gemäß § 116 FGO ohne Zulassung statthaft. An dem FG-Urteil hätten B und C mitgewirkt, die sie wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt habe. Zwar sei das die Ablehnung des C betreffende Beschwerdeverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Unzweifelhaft müsse dem Ablehnungsantrag aber stattgegeben werden. Zu dem B betreffenden Ablehnungsantrag liege überhaupt noch keine Entscheidung vor. Es sei Sinn und Zweck des vom FG "durchgepeitschten" Urteils, diesen Antrag "abzuwürgen". Auch ihm müsse letztendlich entsprochen werden. Das FG-Urteil sei zudem nicht mit Gründen versehen. Es fehle der Vortrag des FA. Das FA habe sich nicht zur Sache eingelassen und keinen Antrag gestellt. Der Vortrag der Klägerin sei daher vom FA zugestanden worden und unstreitig. Darauf gehe das Urteil ebenso wenig ein wie auf ihren Vortrag, dass die Schätzungsbescheide nicht gemäß § 121 der Abgabenordnung (AO 1977) begründet worden seien.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
1. unter Änderung des FG-Urteils die angefochtenen Bescheide und die Festsetzung des Verspätungszuschlags aufzuheben,
2. hilfsweise, unter Abänderung der Bescheide bzw. des Verwaltungsaktes die Körperschaftsteuer 1995 und die Körperschaftsteuervorauszahlungen 1997 auf jeweils 0 DM herabzusetzen, die Feststellungen gemäß § 47 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zum 31. Dezember 1995 dementsprechend zu ändern, die Umsatzsteuer 1995 auf 10.138,70 DM und den Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer auf 0 DM festzusetzen,
3. hilfsweise das FG-Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA hat keinen Antrag gestellt. Es hält die Revision jedoch für unzulässig.
5. Der beschließende Senat hat mit Beschlüssen vom heutigen Tag die Beschwerde wegen der Ablehnung des C als unbegründet zurückgewiesen und die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig. Sie war daher durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO).
1. Gemäß § 116 Abs. 1 FGO bedarf es keiner Zulassung zur Einlegung der Revision, wenn einer der in § 116 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 FGO bezeichneten wesentlichen Mängel des Verfahrens gerügt wird. Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision wegen dieser Mängel ist jedoch nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist mindestens einer der Verfahrensmängel schlüssig gerügt worden ist (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850; vom 26. Juli 1994 VII R 87/93, BFH/NV 1995, 406; vom 21. September 1994 VIII R 80-82/93, BFH/NV 1995, 416; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 116 Rz. 3). Die Rüge ist schlüssig, falls die zu ihrer Begründung vorgetragenen Tatsachen ―als wahr unterstellt― den Schluss auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen (BFH-Beschluss in BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850).
2. Die Klägerin hat keinen der in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmängel schlüssig gerügt.
a) Über das B betreffende Ablehnungsgesuch hat das FG nicht durch Beschluss, sondern im angefochtenen Urteil entschieden. Aufgrund der Mitwirkung des B an dem Urteil kommt die Rüge eines Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO in Betracht (s. BFH-Beschlüsse vom 23. November 1994 X B 170/93, BFH/NV 1995, 793; vom 29. Mai 1996 III B 61/95, BFH/NV 1997, 38; Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., 1995, § 51 FGO Rz. 120). Die Klägerin geht zwar ―wie ihre Revisionsbegründung zeigt― davon aus, das FG habe bisher über das B betreffende Ablehnungsgesuch noch nicht entschieden und müsse diese Entscheidung nachholen. Dieser (Rechts-)Irrtum der Klägerin schließt es aber nicht aus, ihren Tatsachenvortrag, sie habe B wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dennoch habe er an dem angefochtenen Urteil mitgewirkt, daraufhin zu prüfen, ob er eine schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO enthält.
Voraussetzung einer schlüssigen Rüge des Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist in Fällen wie dem Streitfall, in denen das erkennende Gericht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters das Ablehnungsgesuch in dem mit der Revision angefochtenen Urteil als unzulässig beurteilt hat, allerdings nicht nur, dass rechtzeitig vorgetragen wird, der abgelehnte Richter habe an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt. Vielmehr müssen auch die Ablehnungsgründe substantiiert vorgetragen werden und der Revisionskläger muss substantiiert darlegen, aus welchen Gründen das Ablehnungsgesuch entgegen der Auffassung der Vorinstanz zulässig ist. Ohne einen derartigen Vortrag lässt sich nicht entscheiden, ob ―den Tatsachenvortrag des Revisionsklägers als wahr unterstellt― dem Ablehnungsgesuch zu entsprechen ist und somit das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war.
An einem solchen Sachvortrag fehlt es im Streitfall. Die Klägerin hat zur Ablehnung des B lediglich vorgetragen: B habe empört auf ihn betreffende Vorhaltungen in früheren Ablehnungsanträgen von Mandanten des A reagiert und er habe an der Zurückweisung des C betreffenden Ablehnungsgesuchs mitgewirkt und dadurch und durch die Terminierung der mündlichen Verhandlung auf den 27. Oktober 1998 bei der Klägerin den Eindruck erweckt, er wolle die Sache "durchpeitschen", um den von ihm als Querulanten angesehenen A "klein zu kriegen". Der Vortrag über das Verhalten des B in anderen Verfahren, an denen die Klägerin nicht beteiligt war, ist zu wenig substantiiert, um entscheiden zu können, ob das seinerzeitige Verhalten des B Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit (§ 42 Abs. 2 ZPO) der Klägerin gegenüber rechtfertigen könnte. Die Mitwirkung des B am Beschluss vom 22. September 1998 und die Terminierung der mündlichen Verhandlung vor Abschluss des Beschwerdeverfahrens reichen allein noch nicht aus, um Zweifel an der Unparteilichkeit des B der Klägerin gegenüber zu wecken. Es entspricht ordnungsgemäßer Prozessführung, wenn der Vorsitzende eines Senats auf den Fortgang des Rechtsstreites hinwirkt, obwohl über ein vom FG für unzulässig gehaltenes Ablehnungsgesuch noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Allenfalls bei Hinzutreten weiterer Umstände, die Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters wecken könnten, kann aus einer solchen Prozessführung auf eine Befangenheit des Richters geschlossen werden. Solche weiteren Umstände hat die Klägerin jedoch nicht vorgetragen. Zu der aufgrund der Zeitpunkte der Ablehnungsgesuche naheliegenden Schlussfolgerung des FG, die Ablehnung des B diene nur der Prozessverschleppung, hat sich die Klägerin nicht geäußert.
b) Die Klägerin hat auch keinen Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO schlüssig gerügt. In Fällen einer Richterablehnung setzt die schlüssige Rüge dieses Verfahrensmangels voraus, dass vorgetragen wird, ein an der Entscheidung der Vorinstanz mitwirkender Richter sei "mit Erfolg" abgelehnt worden. Nach dem Vortrag der Klägerin in der Revisionsbegründung hatten die B und C betreffenden Ablehnungsgesuche bisher keinen Erfolg.
c) Auch einen Verfahrensmangel gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO hat die Klägerin nicht schlüssig gerügt. Die Rüge, es fehle im FG-Urteil der Vortrag des FA, betrifft nicht die Entscheidungsgründe des Urteils, sondern dessen Tatbestand. Sie ist zudem unverständlich, da die Klägerin gleichzeitig vorgetragen hat, das FA habe sich nicht zur Sache eingelassen. Die Rüge, das FG habe sich nicht mit dem Vortrag der Klägerin zur fehlenden Begründung der angefochtenen Bescheide auseinander gesetzt, ist unschlüssig, da das FG nach dem eigenen ―und zutreffenden― Vortrag der Klägerin die Klage wegen verspäteter Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens als unzulässig abgewiesen hat. Somit waren die etwaigen Begründungsmängel der angefochtenen Bescheide entscheidungsunerheblich. Das FG musste sich deshalb mit dem entsprechenden Vortrag der Klägerin nicht auseinander setzen. Die Klägerin hat im Übrigen übersehen, dass sich das FG dennoch ―auf Blatt 9 des Urteils― mit dem entsprechenden Vortrag befasst und ihn ausdrücklich als nicht entscheidungserheblich angesehen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 422722 |
BFH/NV 2000, 1114 |