Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit des FG im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 2 FGO
Leitsatz (NV)
Für die Entscheidung über die Klage gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 2 FGO ist das FG auch dann sachlich zuständig, wenn es bereits in der Hauptsache entschieden hat und gegen das Urteil Revision eingelegt ist.
Normenkette
FGO §§ 35, 37, 69 Abs. 2-3, § 70
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat durch Urteil vom 27. November 1984 die Klage des Klägers betreffend Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer 1972 bis 1978 und Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1977, 1. Januar 1978 und 1. Januar 1979 als unbegründet abgewiesen. Dagegen haben der Kläger und seine Ehefrau Revision eingelegt, die beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen IV R 202/85 anhängig ist.
Nach Ergehen des Urteils vom 27. November 1984 haben der Kläger und seine Ehefrau (Kläger) beim Beklagten (Finanzamt - FA -) Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide beantragt. Der Antrag wurde vom FA mit Bescheid vom 9. Juli 1985 abgelehnt. Die Beschwerde dagegen wurde von der Oberfinanzdirektion (OFD) als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung richtete sich die Klage, mit der beantragt wurde, das FA zu verpflichten, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide bis zur Entscheidung über die Revision auszusetzen, hilfsweise, den Rechtsstreit zuständigkeitshalber an den BFH zu verweisen.
Auf den Hilfsantrag erklärte sich das FG, ohne über den Hauptantrag zu entscheiden, für unzuständig und verwies die Sache an den BFH. Das FG war der Auffassung, nach Ergehen seines Urteils in der Hauptsache und Einlegung der Revision gegen dieses Urteil sei gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der BFH als Gericht der Hauptsache auch zur Entscheidung über die Klage betreffend Aussetzung der Vollziehung zuständig.
Entscheidungsgründe
Der Beschluß des FG war aufzuheben und die Sache an das zuständige FG zurückzuverweisen.
Für die Entscheidung über die Klage ist nicht der BFH, sondern das FG zuständig (vgl. §§ 35, 37 FGO). Eine Zuständigkeit des BFH ergibt sich entgegen der Auffassung des FG nicht aus der Vorschrift des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO. Nach dieser Vorschrift kann auf Antrag auch das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen. Das in diesem Fall einzuschlagende Beschlußverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO steht selbständig neben dem Klageverfahren nach § 69 Abs. 2 FGO. Im Streitfall haben die Kläger nicht das Beschlußverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO, sondern das Klageverfahren nach § 69 Abs. 2 FGO eingeleitet; denn sie haben den Aussetzungsantrag beim FA gestellt und nach Ablehnung dieses Antrags und Ergehen der ihre Beschwerde zurückweisenden Entscheidung der OFD Klage beim FG erhoben. Im Klageverfahren nach § 69 Abs. 2 FGO ist der BFH nur für die Entscheidung über die Revision gegen das Urteil des FG zuständig, nicht hingegen für die Entscheidung über die Klage. Unerheblich ist, daß das FG bereits in der Hauptsache entschieden hat. Der Antrag beim FA nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO kann bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts gestellt werden, also auch noch nach Ergehen eines mit der Revision angefochtenen Urteils des FG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, an der festzuhalten ist, daß die Möglichkeit, vorläufigen Rechtsschutz nach § 69 Abs. 3 FGO zu erlangen, die Einleitung eines Verfahrens nach § 69 Abs. 2 FGO nicht ausschließt (vgl. Entscheidungen vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67, BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199, 201; vom 24. Juni 1985 GrS 1/84, BFHE 144, 124, BStBl II 1985, 587; vom 10. Oktober 1985 IV B 30/85, BFHE 144, 395, BStBl II 1986, 68, und vom 13. März 1986 IV S 16/85, BFH/NV 1986, 606, 607). Die Zuständigkeiten bestimmen sich auch in diesem Falle nach den allgemein für das Klageverfahren geltenden Regeln.
Der Große Senat hat in dem Beschluß in BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199 entschieden, daß nach Erhebung der Klage gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung der OFD die Einleitung eines Beschlußverfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO beim FG nicht zulässig ist. Es kann offenbleiben, ob hieraus zu folgern ist, daß, solange das FG im Verfahren nach § 69 Abs. 2 FGO über die anhängige Klage noch nicht entschieden hat, auch ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO beim BFH unzulässig ist. Denn im Streitfall haben die Kläger keinen Antrag beim BFH nach § 69 Abs. 3 FGO gestellt, sondern sich lediglich hilfsweise damit einverstanden erklärt, daß der BFH über ihre Klage gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD entscheide. Eine Zuständigkeit des BFH dafür ist aber, wie dargelegt, nicht gegeben und kann auch nicht durch einen Antrag der Kläger begründet werden. Angesichts der hinsichtlich Rechtssicherheit und Bestandskraft bestehenden Unterschiede zwischen Entscheidungen im Klageverfahren und solchen im Beschlußverfahren (vgl. dazu Beschluß in BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199, 201, 202) geht es auch nicht an, das Verhalten der Kläger als Rücknahme ihrer Klage bei gleichzeitiger Einleitung eines Beschlußverfahrens beim BFH zu werten.
Zu Unrecht beruft das FG sich auf den BFH-Beschluß vom 21. Januar 1977 VII B 81/76 (BFHE 121, 161, BStBl II 1977, 312). Im damaligen Rechtsstreit hatte das FG im Klageverfahren nach § 69 Abs. 2 FGO die Klage als unbegründet zurückgewiesen; gegen das Urteil war Revision eingelegt worden. Für den gleichzeitig gestellten Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vollziehung hat sich der VII. Senat des BFH nach § 69 Abs. 3 FGO für zuständig erklärt. So ist es im Streitfall aber nicht. Im Streitfall fehlt es an der Entscheidung des FG im Klageverfahren und ist ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO nicht gestellt worden.
Danach war der Verweisungsbeschluß des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Eine Bindung des BFH an den Verweisungsbeschluß des FG besteht nicht (§ 70 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 424290 |
BFH/NV 1990, 44 |