Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur schlüssigen Rüge von Verfahrensmängeln
Leitsatz (NV)
1. Die ordnungsgemäße Darlegung eines Verfahrensmangels verlangt, dass die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - einen Verfahrensmangel i.S.v. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ergeben.
2. Eine schlüssige Rüge, das FG habe gegen seine Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung verstoßen, erfordert die Darlegung, zu welchen konkreten Tatsachen weitere Ermittlungen geboten waren, welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG hätte erheben müssen, wo Tatsachen vorgetragen waren, aus denen sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, welches Ergebnis die zusätzliche Ermittlungsmaßnahme oder Beweiserhebung aller Voraussicht nach gehabt hätte und inwieweit die unterlassene Ermittlungsmaßnahme oder Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können. Außerdem muss vorgetragen werden, dass der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde oder weshalb eine derartige Rüge nicht möglich war.
3. Wird gerügt, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zugrunde gelegt, so müssen die Aktenteile, die das FG nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt hat, genau bezeichnet werden. Darzulegen ist ferner, inwiefern der Verfahrensfehler für das angefochtene Urteil auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG ursächlich war.
4. Zur schlüssigen Rüge, das FG habe das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, muss der Beteiligte darlegen, inwiefern ihm das Gericht das rechtliche Gehör versagt hat, zu welchen der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachen oder Rechtsfragen er sich nicht hat äußern können, was er bei ausreichender Gewährung des Rechts auf Gehör noch vorgetragen hätte, dass er keine Möglichkeit besessen hat, die Gehörsverletzung bereits vor Ergehen der Entscheidung zu beanstanden, bzw. dass er den Verfahrensverstoß beim FG gerügt hat und inwiefern durch sein - lediglich infolge des Verfahrensfehlers - unterbliebenes Vorbringen die Entscheidung auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG anders hätte ausfallen können.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 13.09.2007; Aktenzeichen 2 K 724/04) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zuzulassen. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat den allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt.
Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die ordnungsgemäße Darlegung eines Verfahrensmangels verlangt, dass die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen --ihre Richtigkeit unterstellt-- einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ergeben (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. September 2006 VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297, und vom 29. Februar 2008 IV B 21/07, BFH/NV 2008, 974). Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Klägerin nicht gerecht.
a) Eine schlüssige Rüge, das Finanzgericht (FG) habe gegen seine Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung verstoßen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), erfordert die Darlegung, zu welchen konkreten Tatsachen weitere Ermittlungen geboten waren, welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG hätte erheben müssen, wo Tatsachen vorgetragen waren, aus denen sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, welches Ergebnis die zusätzliche Ermittlungsmaßnahme oder Beweiserhebung aller Voraussicht nach gehabt hätte und inwieweit die unterlassene Ermittlungsmaßnahme oder Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können. Außerdem muss vorgetragen werden, dass der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde oder weshalb eine derartige Rüge nicht möglich war (ständige Rechtsprechung, vgl. aus neuerer Zeit BFH-Beschluss vom 10. Oktober 2007 IV B 130, 131/06, BFH/NV 2008, 233; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 69, 70, jeweils m.w.N.).
Das Vorbringen der Klägerin entspricht diesen Anforderungen nicht. Die Klägerin erblickt einen Sachaufklärungsmangel darin, dass das FG diejenigen Tatsachen, die die Beendigung des gewerblichen Grundstückshandels durch Betriebsaufgabe zum Ende des Streitjahres 1998 bestätigt hätten, nicht hinreichend aufgeklärt habe. Die Klägerin legt aber bereits nicht dar, zu welchen konkreten Tatsachen insoweit weitere Ermittlungen geboten gewesen seien. Außerdem ist dem Vortrag der Klägerin nicht zu entnehmen, dass sie die angeblich mangelnde Sachaufklärung in der Vorinstanz gerügt hat oder weshalb eine derartige Rüge nicht möglich war. Nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin rügelos zur Sache verhandelt und den Klageantrag gestellt. Auf das Rügerecht ist damit wirksam verzichtet worden (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung).
Im Übrigen geht die Klägerin selbst davon aus, sie habe vor dem FG "alle Tatsachen, die den Betriebsaufgabetatbestand" begründet hätten, vorgetragen und "die entscheidungserheblichen Tatsachen in das Verfahren eingeführt" (S. 10 der Beschwerdebegründung). Dies verdeutlicht, dass sich die Klägerin letztlich nicht gegen die angeblich unzureichende Sachaufklärung durch das FG, sondern gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung wendet. Damit wird aber kein Revisionszulassungsgrund dargetan, wenn --wie im Streitfall-- eine willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Beurteilung nicht ersichtlich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 7. September 2005 IV B 67/04, BFH/NV 2006, 234, und vom 11. Juli 2007 IV B 121/06, BFH/NV 2007, 2241, jeweils m.w.N.).
Bezüglich der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach den §§ 179, 180 der Abgabenordnung (AO) ist in diesem Zusammenhang ergänzend darauf hinzuweisen, dass die einzelnen Feststellungen --soweit sie eine rechtlich selbständige Würdigung beinhalten und eines rechtlich selbständigen Schicksals fähig sind-- als selbständiger Gegenstand eines Klageverfahrens in Betracht kommen (BFH-Urteile vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544, und vom 6. Dezember 2000 VIII R 21/00, BFHE 194, 97, BStBl II 2003, 194, jeweils m.w.N.). Im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO ist neben der Einkunftsart und der Höhe der Einkünfte auch festzustellen, ob und inwieweit die Einkünfte nach § 34 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tarifbegünstigt sind (BFH-Urteil vom 21. Februar 1991 IV R 93/89, BFHE 163, 554, BStBl II 1991, 455). Dazu gehören auch Feststellungen, ob und in welchem Umfang die gewerblichen Einkünfte Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinne i.S. von § 16 EStG enthalten. Da die Klägerin den Gewinnfeststellungsbescheid für 1998 vor dem FG nur wegen der Zuordnung der Einkünfte zu denen aus Gewerbebetrieb angefochten hat, nicht aber hinsichtlich der Höhe der gewerblichen Einkünfte und des (Nicht-)Vorliegens eines begünstigten Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinns, waren diese Besteuerungsgrundlagen schon nicht Gegenstand der Klage. Das FG war folglich insoweit auch nicht zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet.
b) Soweit die Klägerin rügt, das FG habe seine Hinweispflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO dadurch verletzt, dass es die Klägerin nicht darauf hingewiesen habe, dass es den "Sachverhaltsteil, der auf eine Betriebsaufgabe hindeute", noch nicht für hinreichend aufgeklärt halte und sie nicht "zu einer genaueren Aufdeckung der Aktivitäten der Gesellschaft nach dem 31.12.1998" angehalten habe, fehlt --unbeschadet des oben Dargelegten-- insbesondere der Vortrag, aus welchem Grund für das FG Anlass bestand, der --fachkundig vertretenen-- Klägerin solche Hinweise zu erteilen (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 18. März 2003 I B 98/02, BFH/NV 2003, 1191, und vom 7. September 2001 VI B 120/01, BFH/NV 2002, 208). Zudem greift die Rüge auch der Sache nach nicht durch.
Wie das FG --zutreffend-- festgestellt hat, hat die Klägerin schon im Einspruchsverfahren, in dem sie sich zunächst wegen der geltend gemachten Betriebsaufgabe zum Ende des Jahres 1998 auch gegen die Höhe der gewerblichen Einkünfte gewandt hatte, ausdrücklich klargestellt, strittig sei allein die Frage, ob sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus Vermietung und Verpachtung erzielt habe. Auch im Klageverfahren war --wie bereits dargelegt-- allein die Zuordnung der Einkünfte streitig. Da sich die --sowohl im Einspruchs- als auch im Klageverfahren fachkundig vertretene-- Klägerin hiernach offenbar der Möglichkeit bewusst war, einen Aufgabeverlust für das Streitjahr 1998 geltend machen zu können, sie hiervon aber selbst wieder Abstand genommen hat, bestand auch für das FG keine Verpflichtung, seinerseits durch einen entsprechenden Hinweis auf die Geltendmachung eines Auflösungsverlusts hinzuwirken. Dabei kann hier dahinstehen, ob die Klägerin ihren Betrieb tatsächlich (bereits) 1998 aufgegeben hat und ob ein Auflösungsverlust entstanden ist.
c) Die Rüge, das FG habe seine richterliche Überzeugung fehlerhaft gebildet, ist ebenfalls unschlüssig.
Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO muss das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheiden. Das Gesamtergebnis des Verfahrens bilden alle rechtserheblichen Umstände tatsächlicher Art, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren (BFH-Urteil vom 2. Dezember 2004 III R 49/03, BFHE 208, 531, BStBl II 2005, 483, unter II.1.d der Gründe). Wird gerügt, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt, so müssen die Aktenteile, die das FG nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt hat, genau bezeichnet werden. Darzulegen ist ferner, inwiefern der Verfahrensfehler für das angefochtene Urteil auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG ursächlich war (Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 72, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
Mit dem Vortrag, das FG habe zwar die auf eine Betriebsaufgabe hindeutenden Umstände gekannt und im Tatbestand seines Urteils erwähnt, sie aber im Rahmen seiner Überzeugungsbildung und in den Entscheidungsgründen unberücksichtigt gelassen, wendet sich die Klägerin im Wesentlichen gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Sie beanstandet letztlich, das FG habe aus der --entgegen dem Vortrag der Klägerin-- auch in den Entscheidungsgründen vielfach angesprochenen Veräußerung der Gewerbeflächen Ende 1998 für das Vorliegen einer Betriebsaufgabe nicht die richtigen rechtlichen Schlussfolgerungen gezogen. Damit wird aber kein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO schlüssig gerügt.
d) Die Klägerin hat schließlich auch die geltend gemachte Verletzung ihres Rechts auf Gehör nicht hinreichend dargelegt.
Zur schlüssigen Rüge, das FG habe das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, muss der Beteiligte darlegen, inwiefern ihm das Gericht das rechtliche Gehör versagt hat, zu welchen der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachen oder Rechtsfragen er sich nicht hat äußern können, was er bei ausreichender Gewährung des Rechts auf Gehör noch vorgetragen hätte, dass er keine Möglichkeit besessen hat, die Gehörsverletzung bereits vor Ergehen der Entscheidung zu beanstanden, bzw. dass er den Verfahrensverstoß beim FG gerügt hat und inwiefern durch sein --lediglich infolge des Verfahrensfehlers-- unterbliebenes Vorbringen die Entscheidung auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG anders hätte ausfallen können (z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. August 1997 VIII B 81/96, BFH/NV 1998, 196, und in BFH/NV 2008, 974).
Gemessen daran ist die Rüge, das FG habe das Recht der Klägerin auf Gehör verletzt, unschlüssig. Das FG hat den Vortrag der Klägerin umfassend zur Kenntnis genommen. Es hat --wie sich aus dem Tatbestand des Urteils ergibt-- insbesondere nicht übersehen, dass die Klägerin im Rahmen des Einspruchsverfahrens zunächst auch die Auffassung vertreten hatte, mit der Veräußerung der Gewerbeflächen Ende 1998 sei von einer Betriebsaufgabe auszugehen (S. 6 der Urteilsreinschrift). Selbst wenn das FG dem Vortrag der Klägerin zum Vorliegen einer Betriebsaufgabe nicht die richtige Bedeutung beigemessen oder ihn in materiell-rechtlicher Hinsicht fehlerhaft gewürdigt haben sollte, läge hierin aber keine Verletzung des Rechts auf Gehör (vgl. BFH-Beschluss vom 2. März 1994 I B 219/93, BFH/NV 1994, 878, unter 2.b der Gründe, m.w.N.).
Fundstellen