Leitsatz (amtlich)
Hat die nach § 116 Abs.1 Nr.5 FGO zulassungsfreie Revision Erfolg, so ist eine vom Revisionskläger daneben eingelegte, auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Verfahrensmängel gestützte Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig.
Orientierungssatz
1. In einem Rechtsstreit wegen eines nicht in § 116 Abs. 1 FGO angeführten Verfahrensmangels kann neben einer auf einen wesentlichen Mangel im Sinne dieser Vorschrift gestützten Revision zulässig Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden (Literatur).
2. Der Mangel, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 FGO), kann nur mit der zulassungsfreien Revision, nicht aber mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gerügt werden (vgl. BFH-Beschluß vom 9.6.1986 IX B 90/85).
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 118 Abs. 3, § 119 Nr. 6
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) legte gegen das der Klage gegen Steuerhaftungsbescheide des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt --HZA--) nur zum Teil stattgebende Urteil des Finanzgerichts (FG) Revision mit der Begründung ein, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr.6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Diese Rüge hatte Erfolg. Der Senat hat die Entscheidung des FG durch Urteil vom heutigen Tage VII R 47/87 (BFHE 151, 328) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Neben der (zulassungsfreien) Revision hat der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision durch das FG Beschwerde eingelegt. Er begründet dieses Rechtsmittel wie folgt: Für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde bestehe unabhängig vom Erfolg der gleichzeitig eingelegten zulassungsfreien Revision ein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Beschwerde vorliegend auch auf die Rechtsgrundsätzlichkeit der Angelegenheit gestützt werde. Nur über die Zulassung der Revision aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit könne er --Kläger-- eine revisionsrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang erreichen. Die Rechtsgrundsätzlichkeit erblickt der Kläger darin, daß es einer Klärung durch den Bundesfinanzhof (BFH) bedürfe, ob allein der Zeitablauf von mehr als 12 Monaten zwischen mündlicher Verhandlung bzw. Verkündung und der Zustellung des Urteils --hier bezogen auf den Fall der Zustellung an Verkündungs Statt-- zur Annahme eines absoluten Revisionsgrundes ausreiche. Außerdem fehle es bislang an einer Entscheidung des BFH zu den Möglichkeiten und Grenzen einer Schätzung, wenn der von der Schätzung betroffene Steuer- und Haftungsschuldner --hier der vom HZA in Anspruch genommene Rechtsvorgänger des Klägers-- seine Mitwirkungspflichten nicht verletzt habe. Ferner macht der Kläger Verfahrensverstöße geltend, die er darin sieht, daß --wie er meint-- keine Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vor dem FG vorlägen, daß dessen Urteil erst kurz vor der Niederlegung bei der Geschäftsstelle, jedenfalls aber nach Ablauf der in § 104 Abs.2 FGO bestimmten Frist beschlossen worden sei und daß zwischen der letzten mündlichen Verhandlung und der Zustellung ein zu langer Zeitraum --14 Monate-- liege.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
Als Gründe für die Zulassung macht der Kläger die Grundsätzlichkeit der Rechtssache sowie Verfahrensfehler geltend, unter diesen den Mangel, der zur Aufhebung des FG-Urteils geführt hat (§ 119 Nr.6 FGO). Soweit sich der Kläger auf diesen Mangel beruft, ist die Beschwerde unzulässig, weil er nur mit der zulassungsfreien Revision, nicht aber mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gerügt werden kann (BFH-Beschluß vom 9.Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395 f., BStBl II 1986, 679; ständige Rechtsprechung). Soweit der Kläger sonstige Verfahrensmängel und die Rechtsgrundsätzlichkeit der Rechtssache geltend macht, ist seine Beschwerde nicht mehr zulässig, nachdem der Senat der nach § 116 Abs.1 Nr.5 FGO zulassungsfreien Revision des Klägers gegen das Urteil der Vorinstanz stattgegeben und die Sache an das FG zurückverwiesen hat.
Anerkannt ist, daß in einem Rechtsstreit wegen eines nicht in § 116 Abs.1 FGO aufgeführten Verfahrensmangels neben einer auf einen wesentlichen Mangel im Sinne dieser Vorschrift gestützten Revision zulässig Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden kann (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Tz.6; Klein/Ruban, Der Zugang zum BFH, 1986, Rdnr.231; Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, 1986, Rdnr.51; ebenso --auch für den Fall einer auf § 115 Abs.2 Nr.1 FGO gestützten Nichtzulassungsbeschwerde-- Gräber, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1968, 173, 177). Diese Möglichkeit muß offenstehen, weil auch bei zulassungsfreier Revision nur über den zulässigerweise geltend gemachten Verfahrensmangel zu entscheiden ist, sofern nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs.2 Nr.1 und 2 FGO vorliegt, § 118 Abs.3 Satz 1 FGO (vgl. dazu BFH-Urteil vom 22.April 1971 I R 149/70, BFHE 102, 353, 355, BStBl II 1971, 631; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 1977, § 118 Anm.16). Eine neben der zulassungsfreien Revision eingelegte, auf andere Gründe gestützte Nichtzulassungsbeschwerde kann jedoch nur Erfolg haben, wenn der Beteiligte mit seiner Revision nicht durchgedrungen ist. Im gegenteiligen Falle eines Erfolges der zulassungsfreien Verfahrensrevision ist das ursprünglich gegebene Rechtsschutzbedürfnis für die Nichtzulassungsbeschwerde weggefallen, besteht kein Bedürfnis mehr für die Zulassung anderer Verfahrens- oder Sachrügen (Gräber, DStR 1968, 173, 238, 239). So verhält es sich im Streitfalle, denn die Revision des Klägers hatte Erfolg.
Im übrigen liegen die vom Kläger gerügten anderen Verfahrensmängel nicht vor, soweit sich der Kläger auf das Fehlen von Niederschriften beruft. Eine etwa als Verfahrensfehler zu wertende verspätete Beschlußfassung wird vom Kläger nur vermutet, nicht aber i.S. von § 115 Abs.2 Nr.3 FGO geltend gemacht. Ob die Rechtssache im Hinblick auf die von der Beschwerde aufgeworfene sachlich-rechtliche Frage --Möglichkeiten und Grenzen einer Schätzung, wenn der Steuerschuldner seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt hat-- rechtsgrundsätzliche Bedeutung hätte (§ 115 Abs.2 Nr.1 FGO), könnte im Streitfalle nicht geprüft werden, da die Entscheidung der Vorinstanz wegen Fehlens der Gründe i.S. von § 119 Nr.6 FGO aufgehoben worden ist, die Grundlagen für ein Revisionsverfahren mithin nicht feststehen (vgl. auch Gräber, a.a.O., S.239). Die weiter vom Kläger für rechtsgrundsätzlich gehaltene Verfahrensfrage hat der Senat in seinem Urteil VII R 47/87 entschieden.
Fundstellen
Haufe-Index 61599 |
BStBl II 1988, 285 |
BFHE 151, 331 |
BFHE 1988, 331 |