Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsfolgen eines verfristeten Antrags auf Urteilsergänzung
Leitsatz (NV)
- Übergeht das FG bei seiner Entscheidung im Falle einer objektiven Klagehäufung einen Teil der bei ihm anhängigen Klage, bedarf es einer nachträglichen Urteilsergänzung gemäß § 109 FGO).
- Wird der Antrag auf Urteilsergänzung jedoch erst nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Zweiwochenfrist (§ 109 Abs. 2 FGO) gestellt, entfällt die Rechtshängigkeit des nicht entschiedenen Streitteils. Das Begehren kann dann im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten erneut durch Einspruch und Klage geltend gemacht werden.
Normenkette
FGO §§ 68, 69 Abs. 3 S. 1, § 107 Abs. 1, § 108; AO 1977 § 351 Abs. 1; FGO §§ 109, 110 Abs. 1 Nr. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 128 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Mit Urteil vom 13. November 1996 1 K … hatte das Finanzgericht (FG) aufgrund mündlicher Verhandlung der ―ursprünglich― wegen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer-Meßbeträgen 1983 und 1987 bis 1990 erhobenen Klage der Klägerin, Antragstellerin, Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) teilweise stattgegeben, indem es bestimmte Verbindlichkeiten in 1983 sowie Aufwendungen in 1987 bis 1989 als abzugsfähige Betriebsausgaben berücksichtigte und die angefochtenen Steuerbescheide des Beklagten, Antragsgegners, Beschwerdegegners und Beschwerdeführers (Finanzamt ―FA―) für 1983 und 1987 bis 1989 entsprechend geändert. Im übrigen wurde die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Streitjahr 1990, für das die Klägerin im Einspruchsverfahren (ebenso wie für die Jahre 1987 bis 1989) den Abzug sog. Factoringaufwendungen begehrte, wurde zwar im Urteilsrubrum und auch ―jeweils in der Zwischenüberschrift zu II. auf den Seiten 6 und 14― im Tatbestand sowie in den Gründen erwähnt, nicht aber im protokollierten Klageantrag der Klägerin und (bis auf die Zwischenüberschrift) auch nicht ―weder ausdrücklich noch der Sache nach― in den Urteilsgründen. Es findet sich gleichermaßen nicht in der Klagebegründung der Klägerin. - Das Urteil wurde der Klägerin am 7. März 1997 zugestellt, später durch Beschluß vom 14. Oktober 1997 ―aus anderen, hier unbeachtlichen Gründen― gemäß § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) berichtigt, dementsprechend im Original mit einem Berichtigungsvermerk versehen und sodann am 29. Oktober 1997 an die Klägerin zurückgesandt.
1. Am 16. Februar 1998 beantragte die Klägerin die erneute Berichtigung des Urteils gemäß § 107 Abs. 1 FGO, und zwar bezogen auf zwei weitere Ausgabenpositionen betreffend das Jahr 1990. Das FG lehnte dies ab, weil es an einer offenbaren Unrichtigkeit fehle.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der das FG nicht abgeholfen hat. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin am 30. Juni 1998 beantragt, den vom FA gemäß § 10d des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes zwischenzeitlich geänderten Bescheid über Körperschaftsteuer 1990 vom 26. Januar 1998, der keine Belehrung gemäß § 68 Satz 2 FGO enthielt, zum Gegenstand des ―von ihr als noch nicht abgeschlossen angesehenen― Klageverfahrens zu machen (§ 68 Satz 1 FGO); durch diesen Änderungsbescheid wurden ―nach einem zu versteuernden Einkommen von nach wie vor … DM― weitere Verluste aus 1991 von … DM berücksichtigt.
2. Unabhängig davon hat die Klägerin gegen diesen Änderungsbescheid Einspruch eingelegt und im Umfang der Körperschaftsteuer, die auf die beiden betreffenden Ausgabenpositionen entfällt, Aussetzung der Vollziehung bis einen Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung beantragt. Diesem Antrag hat das FG, nachdem er zuvor vom FA abgelehnt worden war, durch Beschluß vom 16. April 1998 stattgegeben. Es hält die Rechtmäßigkeit des geänderten Bescheides für ernstlich zweifelhaft, weil insoweit über die Klage der Klägerin im Urteil vom 13. November 1996 womöglich nicht abschließend entschieden worden sei.
Dagegen wendet sich das FA mit seiner Beschwerde, der ebenfalls nicht abgeholfen und die nicht begründet worden ist.
Die Klägerin ist der Auffassung, dieses Verfahren habe sich in der Hauptsache erledigt, nachdem sie den Änderungsbescheid des Beklagten über Körperschaftsteuer 1990 vom 26. Januar 1998 gemäß § 68 FGO wirksam zum Gegenstand des beim FG unter dem Az. 1 K … geführten Rechtsstreits gemacht habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Der mit dieser Beschwerde zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen (§ 73 Abs. 1 FGO) Beschwerde des FA ist zu entsprechen.
1. Soweit das FG es abgelehnt hat, sein Urteil vom 13. November 1996 zu berichtigen, ist dies zu Recht geschehen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin ist unbegründet.
a) Eine Berichtigung gemäß § 107 Abs. 1 FGO kommt nicht in Betracht, weil es an der dafür erforderlichen offenbaren Unrichtigkeit fehlt. Wie das FG zutreffend ausführt, liegt keine solche offenbare Unrichtigkeit vor, wenn auch nur die Möglichkeit eines Fehlers in der Rechtsanwendung oder Tatsachenwürdigung oder ein Verfahrensverstoß oder Denkfehler nicht ausgeschlossen werden kann. So aber verhält es sich im Streitfall. Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß eine Entscheidung über das zunächst rechtshängig gemachte Streitjahr 1990 durch Urteil vom Gericht bewußt unterlassen worden ist, weil dieses den in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag nicht auf dieses Streitjahr bezogen und sich an den so verstandenen Antrag gebunden gefühlt hat (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Ebenso ist es denkbar, daß das Gericht ohne nähere Angabe von Gründen über das Streitjahr 1990 mitentschieden und die Klage insoweit abgewiesen hat. Schließlich wäre es gleichermaßen denkbar, daß das FG den Antrag hinsichtlich des Streitjahres 1990 schlicht übersehen hat. Aus alldem wird ersichtlich, daß von einer offenbaren Unrichtigkeit in dem vorgenannten Sinn keine Rede sein kann.
b) Eine Berichtigung bzw. Ergänzung des Urteils gemäß § 108 oder § 109 FGO scheitert ohne Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen bereits daran, daß die Klägerin die hierfür vorgesehenen Zweiwochenfristen nach Zustellung des Urteils nicht eingehalten hat.
c) War der Berichtigungsantrag damit abzulehnen, ist die Anhängigkeit der Klage betreffend Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer-Meßbescheid 1990 entfallen; das Klageverfahren war abgeschlossen und die beiden angefochtenen Bescheide sind bestandskräftig. Dadurch bedingt konnte auch der zwischenzeitlich geänderte Körperschaftsteuerbescheid des FA vom 26. Januar 1998 nicht mehr zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht werden. Der dennoch gestellte Antrag der Klägerin gemäß § 68 FGO geht deshalb ins Leere.
2. Die Beschwerde des FA gegen die vom FG gewährte Aussetzung der Vollziehung dieses Änderungsbescheides hat demgegenüber Erfolg.
a) Sie ist zulässig. Das FG hat sie gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, obwohl es sich im Streitfall um einen Einzelfall handelt und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssachen nicht ohne weiteres erkennbar ist. Das FG hat seine Zulässigkeitsentscheidungen auch nicht näher begründet. Der Senat ist an diese Entscheidungen gleichwohl gebunden; es ist nicht davon auszugehen, daß sie in offensichtlich willkürlicher Weise ergangen wären (vgl. Bundesfinanzhof ―BFH―, Urteil vom 7. August 1967 VI R 297/66, BFHE 90, 29, BStBl III 1967, 789).
b) Die Beschwerde ist auch begründet.
aa) Entgegen der Annahme der Klägerin ist die Sache nicht infolge des von dieser gestellten Antrages gemäß § 68 FGO erledigt. Zwar wurde die Aussetzung der Vollziehung antragsgemäß nur bis einen Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung verfügt. Dieser Zeitraum ist jedoch nach Aktenlage noch nicht verstrichen. Der Antrag gemäß § 68 FGO ändert daran nichts, weil er, wie unter 1. c ausgeführt, ins Leere geht, was zur Folge hat, daß das Einspruchsverfahren gegen den Änderungsbescheid des FA noch nicht beendet ist.
Der gleichwohl von der Klägerin erklärten Erledigung der Hauptsache kommt angesichts dessen keine Bedeutung zu (vgl. ―m.w.N.― Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 138 Rz. 21).
bb) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll ―u.a. und soweit hier einschlägig― erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung).
cc) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides sind im Streitfall nicht gegeben.
Nach Lage der Dinge kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, daß das FG im Hinblick auf das Streitjahr 1990 und damit auch wegen Körperschaftsteuer 1990 keine abschließende Entscheidung durch sein Urteil getroffen hat, obwohl dies dem mit der Klage verfolgten Begehren der Klägerin entsprochen hätte. Zwar ergibt sich dieses Begehren nicht aus der im Tatbestand des Urteils wiedergegebenen (und in der mündlichen Verhandlung protokollierten, vgl. § 314 Satz 2 der Zivilprozeßordnung) Antragsfassung, es ergibt sich jedoch aus dem Rubrum des Urteils sowie aus der entsprechenden anderweitigen Erwähnung im Urteilstatbestand. Die Klägerin hat nicht ―durch Erledigungserklärung oder durch teilweise Klagerücknahme― zu verstehen gegeben, daß sie ihr mit der Klage anhängig gemachtes Begehren insoweit fallengelassen hätte. Bei sachgerechter Auslegung des Klagebegehrens wäre deswegen auch darüber zu entscheiden gewesen. Das ist offenbar unterblieben. Daß das FG auch die Klage betreffend das Jahr 1990 als unbegründet abgewiesen hat, wäre nach dem Urteilstenor zwar nicht ausgeschlossen; die Abweisung "im übrigen" könnte auch das Jahr 1990 beinhalten, auch dann, wenn es an der erforderlichen Begründung dieser Abweisung fehlt (vgl. § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO). Es spricht jedoch mehr dafür, daß es nicht zu einer solchen Entscheidung gekommen ist. Neben der fehlenden Angabe von Abweisungsgründen ist dies nicht zuletzt der Umstand, daß dies in Einklang mit der ausdrücklichen Beantragung steht. Davon geht auch der erkennende Senat des FG selbst aus.
Ist aber ―einerseits― aus dem Tatbestand des Urteils ersichtlich, daß die Klägerin eine Entscheidung auch über das Streitjahr 1990 begehrte, und ist ―andererseits― davon auszugehen, daß eine solche Entscheidung nicht getroffen worden ist, wäre eine Urteilsergänzung nach § 109 Abs. 1 FGO in Betracht gekommen, ohne daß es einer zuvorigen Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) bedurft hätte (vgl. dazu Brandt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 109 FGO Rz. 16, m.w.N.). Eine Urteilsergänzung mußte, wie unter 1. dargestellt, indes scheitern, weil die Klägerin die Zweiwochenfrist gemäß § 109 Abs. 2 FGO versäumt hat, wodurch, wie ebenfalls dargestellt, die Anhängigkeit der Klage betreffend Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer-Meßbescheid 1990 entfallen ist (vgl. Brandt, a.a.O., § 109 FGO Rz. 59; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 109 FGO Rz. 31, jeweils m.w.N.). Das bedeutet zugleich zwar auch, daß gegen den geänderten Bescheid des FA über Körperschaftsteuer 1990 vom 26. Januar 1998 grundsätzlich erneut Einspruch eingelegt werden konnte, ohne daß die Rechtskraft des FG-Urteils (vgl. § 110 Abs. 1 Nr. 1 FGO) dem entgegenstünde (Brandt, ebd.). Gleichermaßen konnte dessen Aussetzung der Vollziehung beantragt werden. Beide Rechtsbehelfe reichen jedoch nur soweit, wie die Änderung reicht (§ 351 Abs. 1 der Abgabenordnung ―AO 1977―). Nach Aktenlage ergibt sich, daß der angefochtene Körperschaftsteuerbescheid 1990 durch Bescheid vom 26. Januar 1998 lediglich geändert worden ist, um einen (weiteren) Verlustrücktrag (aus 1991) in Höhe von … DM zu berücksichtigen. Eine zusätzliche Beschwer der Klägerin ergab sich hierdurch nicht. Folglich beläßt das Verfahrensrecht für diese keine Möglichkeit mehr, um den von ihr erstrebten Betriebsausgabenabzug zu erreichen.
dd) Da das FG die Rechtslage abweichend beurteilt hat, war sein Beschluß aufzuheben und der Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung des geänderten Bescheides vom 26. Januar 1998 abzulehnen.
Fundstellen
Haufe-Index 154003 |
BFH/NV 1999, 644 |